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Ausgabe:

September/2019

Spalte:

916–918

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Leppin, Hartmut

Titel/Untertitel:

Die frühen Christen. Von den Anfängen bis Konstantin.

Verlag:

München: C. H. Beck Verlag 2018 (2., durchges. Aufl 2019). 512 S. m. 21 Abb. = Historische Bibliothek der Gerda Henkel Stiftung. Lw. EUR 29,95. ISBN 978-3-406-72510-4.

Rezensent:

Adolf Martin Ritter

Dem Frankfurter Althistoriker Hartmut Leppin ist, wie der Presse zu entnehmen war, am 13. März dieses Jahres, in den Räumen der Gießener Justus-Liebig-Universität, der Erwin-Stein-Preis verliehen worden. Damit sollten seine besonderen Leistungen in Disziplinen übergreifender Forschung und der Vermittlung ihrer Re­sultate an eine interessierte Öffentlichkeit gewürdigt werden. Aus theologischer, speziell kirchenhistorischer Sicht kann man diese Auszeichnung nur als hoch verdient bezeichnen. Denn seit Jahren schon kann jeder, der es wissen will, mitbekommen, dass die-ser Althistoriker neben der politischen Ideengeschichte des klassischen Griechenlands die Christentumsgeschichte der Antike zu seinem bevorzugten Forschungsgebiet erkoren und es immer wieder verstanden hat, sich auch einer fachfremden Leserschaft in allgemein verständlichen Publikationen mitzuteilen.
Es begann mit einer Untersuchung über »Das christliche Kaisertum bei den Kirchenhistorikern Socrates, Sozomenus und Theodoret«, seiner Berliner althistorischen Habilitationsschrift (im Druck erschienen unter dem Titel »Von Constantin dem Großen bis Theodosius II.« [Hypomnemata 110], Göttingen 1996); es setzte sich fort in einem Bändchen über »Die Kirchenväter und ihre Zeit« (innerhalb der »Beck’sche[n] Reihe WISSEN«, München 2000), in welchem je vier Griechen und Lateiner, von »Athanasius bis Gregor dem Großen«, porträtiert werden, sowie in einer Monographie über die Schlüsselfigur im Prozess der Durchsetzung der »Konstantinischen Wende«, nämlich Theodosius den Großen (Darmstadt 2003; vgl. meine Rezension in ThLZ 131 [2006], 48 f.); acht Jahre danach und ebenso lange nach Erscheinen der voluminösen, in vielem brillant argumentierenden Monographie des Tübinger Kollegen M. Meier über »Das andere Zeitalter Justinians. Kontingenzerfahrung und Kontingenzbewältigung im 6. Jahrhundert n. Chr.«, Göttingen 2003 (Hypomnemata 147) – legte er ein eigenes Werk über dasselbe Thema vor (»Justinian. Das christliche Experiment«, Stuttgart 2011), das nicht minder zur Kenntnis genommen zu werden verdient. Den vorläufigen Schluss- und in gewisser Weise auch Höhepunkt bildet das hier zu besprechende Buch.
2015 wurde L. der begehrte Leibniz-Preis verliehen. Er dient zur Finanzierung eines Projektes, betitelt mit »Polyphonie des spätantiken Christentums«. Auf der Homepage der Frankfurter Universität (GU Home, Fachbereich 08, Historisches Seminar, Abt. Alte Geschichte) ist darüber zu erfahren, dass die Vielfalt »im Hinblick auf Austauschprozesse zwischen verschiedenen Formen von Chris-tentümern« erforscht werden soll, »nicht nur innerhalb des Römischen Reiches, sondern auch an dessen Peripherie und jenseits seiner Grenzen«.
»Dabei sollen gerade auch die sogenannten orientalischen Christentümer betrachtet werden, deren wichtigste Texte nicht in den klassischen Sprachen Latein und Griechisch […] geschrieben wurden. Ein weiteres wichtiges Anliegen des Projektes ist es, die Forschungen zum spätantiken Christentum in eine weltgeschichtliche Perspektive im Spannungsfeld von Universalreichen und Universalreligionen einzuordnen.«
Ich erwähne das, weil das Buch »Die frühen Christen« auf mich wie eine erste verheißungsvolle Frucht des genannten, hochambitionierten Projektes wirkt, obwohl ich mir denken kann, dass die Vorbereitungen – natürlich – längst vorher einsetzten; die fälligen »ack-nowledgements« (447) bestätigen das. Wie auch immer: Be­schäftigten sich die vorhergehenden Veröffentlichungen L.s zum spätan- tiken Christentum überwiegend mit der nachkonstantinischen Zeit, so rücken nun die Jahrhunderte bis zu Konstantin in den Mittelpunkt der Untersuchung. Dabei kommt die im DFG-Projekt intendierte Ausweitung der Perspektive (und dementsprechend auch der Quellenbasis) auf den christlichen Orient (das armenisch-, syrisch-, georgisch-, koptisch- und äthiopisch-sprachige Christentum) noch allenfalls in Ansätzen zur Geltung. Dagegen fügt sich das Buch insofern bereits vollkommen in den Rahmen des DFG-Projektes, als auch hier der Fokus auf die »Polyphonie« gerichtet ist, wie schon die ersten Sätze der Einleitung verraten:
»Seltsam müssen frühe Christen in der römischen Welt gewirkt haben: Sie behaupteten, ihren eigenen Messias zu haben, und dennoch tauchten einige weiterhin im Tempel von Jerusalem und in Synagogen auf. Sie behaupteten, eine ganz spezielle Botschaft empfangen zu haben, und sie lebten doch mitten unter den anderen. Viele mieden die städtischen Feste, widersetzten sich staatlichen Funktionären, verließen ihre Familien und bekundeten doch, gute Bürger zu sein …«. Kurzum: »Die frühen Christen bildeten keineswegs eine homogene Gruppe, geschweige denn eine Kirche.« (7)
Zum Aufbau ist zu sagen: In einer methodologischen »Einleitung« (7–22) wird die Leserschaft darauf vorbereitet, dass ihr keine »lineare Geschichte vom Urchristentum bis zur Großkirche« geboten werde. Zu erwarten sei vielmehr eine Geschichte, die »keiner inneren Logik« folge und »nicht durch höhere Kräfte bestimmt« sei. »Chris-ten« würden »bei ihren unterschiedlich erfolgreichen Versuchen« beobachtet, »sich in der Welt einzurichten, und mochten sie auch den Modus der Weltfeindlichkeit wählen«; es gehe mit anderen Worten »um bestimmte Situationen, um Problemlösungen, die Christen suchten, diskutierten, fanden, Problemlösungen, die sich teils sedimentierten«, »teils aber nicht durchsetzten«, statt einer »folgerichtige[n] Entwicklung« also um »ein Tasten und Erproben« (9). Zum Beginn der Geschichte der Christen heißt es weiterhin: er sei leicht zu bestimmen, denn »Jesus konnte naturgemäß kein Christ sein; auf sein Wirken gehe« das Buch deshalb nicht ein (ebd.). Folgerichtig folgt denn auf die »Einleitung« noch ein »Prolog« (23–31), unter der Überschrift »Ein Leichnam kommt der Welt abhanden«, in dem von der Kreuzigung Jesu und den »tastenden« Versuchen von Gläubigen und Ungläubigen die Rede ist, sich auf dies »Skandalon« einen Reim zu machen, es einzuordnen. Erst dann beginnt der Hauptteil, in dem in vier großen, bis zu zehnfach, in einer »ungefähren zeitlichen Reihenfolge«, untergliederten Kapiteln ein Überreichtum an Texten und Sachverhalten angesprochen wird. Kapitel 1 (33–133) handelt unter der Überschrift »Weder Juden noch Heiden« von der Frage der Identität der Christen zwischen diesen, Kapitel 2 (135–253) von den Formen ihrer Selbstorganisation ( »Christliche Autoritäten«), Kapitel 3 (255–344) von ihren alltäg-lichen Betätigungen (»[Nicht] von dieser Welt: Selbstsorge und Nächstenliebe«) und Kapitel 4 (345–414) von ihrer Haltung zu »Obrigkeiten« auf allen Ebenen, zu Militär und Eliten (»Bürger zweier Reiche«). Angesichts der Tatsache, dass vieles mehrfach, in unterschiedlicher Perspektive zur Sprache kommt und der Überblick nicht leicht fällt, ist es sehr zu begrüßen, dass in einem ausführlichen »Rückblick und Ausblick« (415–443) historische Linien ausgezogen und Verschränkungen aufgezeigt werden.
Der Kirchenhistoriker hat allen Anlass, sich beim »profan«-historischen Kollegen für eine erneute, diesmal besonders ergebnisreiche Einmischung in seine Domäne ausdrücklich zu bedanken. Die wenigen Zitate aus dem neuen Buch werden allerdings auch erahnen lassen, dass es reichlich Gesprächsstoff zwischen den Disziplinen gibt, nicht nur über das theologische Urteil (als einziges Proprium von Kirchengeschichte), dem L. bewusst ausweicht, ohne seine Berechtigung zu bestreiten. Das Gespräch aber muss, aus Gründen des beschränkten Besprechungsraumes, andernorts stattfinden.