Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

September/2019

Spalte:

907–909

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Metzner, Rainer

Titel/Untertitel:

Der Brief des Jakobus.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2017. 368 S. = Theologischer Handkommentar zum Neuen Testament, 14 (neu). Geb. EUR 54,00. ISBN 978-3-374-04981-3.

Rezensent:

Susanne Luther

Mit seinem Kommentar in der Reihe Theologischer Handkommentar zum Neuen Testament hat Rainer Metzner, Privatdozent für Neues Testament an der Humboldt-Universität zu Berlin und Pfarrer in der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz, einen Ansatz zur Interpretation des Jakobusbriefs vorgelegt, der das eigene theologische Profil des Verfassers und die literarische Struktur des Textes verstärkt in den Blick nimmt.
Der 321 Seiten umfassende Kommentar beinhaltet – den Vorgaben der Reihe entsprechend – nach Vorwort, Inhalts- und Abkürzungsverzeichnis eine 24-seitige Bibliographie, die die umfangreich gewordene Literatur der deutsch- und fremdsprachigen Jakobusbriefforschung in bemerkenswerter Fülle aufnimmt. Darauf folgt ein Einleitungskapitel (1–50), das in sieben Unterkapiteln die Frage nach Verfasser (§ 1), Adressaten (§ 2), Zeit und Ort der Abfassung (§ 3), die literarische Gattung und den Aufbau (§ 4), die literarischen Beziehungen (§ 5), die theologische Prägung (§ 6) sowie die Text- und Kanongeschichte (§ 7) thematisiert. Jeweils wird nach einer umfassenden sorgfältig abwägenden Sichtung der Forschungslage deutlich, welche Grundannahmen den Vf. in seiner Kommentierung leiten: Hinsichtlich des Verfassers des Jakobusbriefs (§ 1, 3–13) wird – gegen die aktuell dominant vertretenen Positionen (echte bzw. pseudepigraphe Verfasserangabe) – die bislang in der Forschung nur marginal in Erwägung gezogene Position stark gemacht, dass »der Brief von einem sonst unbekannten Jakobus geschrieben wurde« (8). Als ein orthonymes Schreiben, wie sie im frühen Christentum ab dem 2. Jh. belegt sind, stamme der Brief von einem der christlichen Oberschicht zugehörigen »Lehrer, dem nicht an seiner Person, sondern an seiner Botschaft gelegen« sei (11). Die in Jak 1,1 genannten Adressaten (§ 2, 13–16) liest der Vf. im übertragenen Sinn, er sieht »alle Christen und überall angesprochen« (13). Der Brief richte sich konkret an einen »mehr oder weniger großen Kreis von Ortsgemeinden« (16), er wird somit dezidiert im Kontext des frühen Christentums verortet. Zudem wird davon ausgegangen, dass die Adressaten einem »fortgeschrittene[n] Stadium der hellenistischen Christenheit« (13) zuzuordnen seien, »deren Existenzgründung schon einige Zeit zurückliegt« (15), da das Schreiben erkennen lasse, dass sie bereits »eine eigene christliche Identität besitzen, die nicht mehr von ihren Anfängen einer spezifisch jüdischen oder heidnischen Vergangenheit bestimmt ist« (14). Wenngleich der Vf. anerkennt, dass »Informationen zu Lokal- und Zeitkolorit [weitgehend] fehlen« (14), so versucht er doch, aus den im Brief angesprochenen konkreten Problemen ein Bild der Adressatenschaft zu erschließen. Die Positionierung hinsichtlich Zeit und Ort der Abfassung (§ 3, 16–25) basiert primär auf der Annahme der orthonymen Autorschaft sowie der Rezeption des Schreibens und führt zu einer Datierung um 130–140 n. Chr., als Entstehungsort wird Rom angenommen. Die literarische Form (§ 4, 25–32) des Schreibens, so der Vf., erweise dieses als »echte[n] Brief, der auf spezifische Gemeindeprobleme reagiert« (27), der durch »einen lebendigen dialogisch-kommunikativen, appellativ-hortativen Charakter« (27) die Merkmale eines par-änetischen Briefs erfülle, sich aber – entgegen der antiken paganen Konvention – nicht an eine Einzelperson, sondern an eine Gruppe richte. Hinsichtlich der vieldiskutierten Frage nach Aufbau, Gliederung, Form und Struktur des Schreibens folgt der vorliegende Kommentar der neueren Forschungsliteratur, die eine gewisse formale Struktur befürwortet. Er nimmt eine Dreiteilung des Briefes in Eing ang (1,2–18), Hauptteil (1,19–5,6), Schluss (5,7–20) an und erkennt im Hauptteil »kleinere, oft assoziativ miteinander verbundene Essays (Abhandlungen)« (31). Eine weiterreichende Berücksichtigung des literarischen Anspruchs des Schreibens unterbleibt. Wenngleich hinsichtlich der literarischen Beziehungen (§ 5, 32–42) nicht auf Abhängigkeiten geschlossen wird, so betont der Vf., dass sich der Verfasser des Jakobusbriefs in der Autorität des Lehrers diverser Vorlagen aus dem »für ihn und seine Adressaten gültigen Strom frühchristlicher Überlieferung« bedient, zudem die Schrift zitiert sowie auch unterschiedliche frühjüdische sowie griechisch-römische Traditionen ungekennzeichnet einfließen lässt und seinen Belangen entsprechend adaptiert. Ebenfalls gegen vorangehende Kommentare positioniert sich der Vf. zur theologischen Prägung (§ 6, 42–46), wenn er zu Recht konstatiert, dass im vielfältigen Themenspektrum des Jakobusbriefes zwar viele spezifisch theologische Themen nicht behandelt werden, dass man aber »aus den Fehlstellen weder auf eine frühe Entwicklungsstufe des Briefes noch auf mangelnde theologische Kompetenz des Autors schließen [darf]. Der Jakobusbrief ist weder ein theologischer Traktat noch ein theologisches Kompendium. Frühchristliche Briefe sind Gelegenheitsschreiben, die nicht immer und alles sagen müssen, was ihre Autoren wissen. Bestimmte Themen können unerwähnt bleiben, wenn sie unstrittig sind« (43). Dennoch lasse der Jakobusbrief Theologie im Sinne »qualifizierte[r] Rede von Gott, Christus, Wort, Glaube usw.« (42) sowie eigene theologische Grundüberzeugungen erkennen, vor allem ein ausgeprägtes Gottesbild sowie ein Menschenbild, das »sowohl hinsichtlich der anthropologischen Voraussetzungen als auch der ethischen Konsequenzen« (45) charakterisiert sei. Die ethische Schwerpunktsetzung des paränetischen Briefs wird allein im Kontext dieser theologischen Reflexion beleuchtet, jedoch nicht als eigenständiges Anliegen des Briefes wahrgenommen. Das Einleitungskapitel schließt mit einer kurzen Darstellung der Text- und Kanongeschichte (§ 7, 46–50).
Auf die Einleitung folgt eine fortlaufende Kommentierung des Briefes anhand von klar gegliederten Sinneinheiten (51–321). Die der exegetisch präzisen, zugleich kompakten und gut lesbaren Auslegung jeweils vorangestellten Literaturhinweise ermöglichen eine vertiefte Beschäftigung mit den Textabschnitten. In elf gesonderten Exkursen werden spezifische Themen kurz und präzise dargestellt (Die Tradition von Jak 1,2–4a; Armut und Reichtum im Jakobusbrief; Die Klimax Begierde, Sünde und Tod; Das vollkommene Gesetz der Freiheit; Alternative Deutungen von 2,18; Jakobus und Paulus; Die Lehrer; Weisheit im Jakobusbrief; Die Tradition von Jak 4,6–10; Die Adressaten von 4,13–5,6; Jak 5,12 und Mt 5,33–37). Nur auf einen Exkurs kann hier eingegangen werden: Zu »Jakobus und Paulus« (163–166) präsentiert der Vf. kurz die unterschiedlichen in der Forschung vertretenen Positionen »für eine Bezugnahme von Jak 2 auf Paulusbriefe oder paulinische Tradition« (163) und führt jeweils deren zentrale Argumente an. Ausgehend von der Datierung ins 2. Jh. n. Chr. wird daraufhin konstatiert, dass der Verfasser des Jakobusbriefs eine bereits verselbständigte Form der paulinischen Tradition in Bezug auf den Zusammenhang von Glaube, Werke und Rechtfertigung kannte und diese in seiner Argumentation eigenständig mit weiteren bekannten Traditionen verband, »ohne dabei Paulus im Blick zu haben, gegen ihn oder seine Anhänger vorgehen zu wollen«, denn Paulus liege »bereits so weit zurück, dass er für Jakobus kein Thema mehr ist« (166).
Der vorliegende Kommentar ist mit Nachdruck zu empfehlen. Er bietet eine sorgfältige und gut lesbare Analyse des Jakobusbriefs und eröffnet eine ganze Reihe neuer Perspektiven auf dessen Verständnis. Die Stellungnahmen zu einleitungswissenschaftlichen wie einzelexegetischen Aspekten werden in der forschungsgeschichtlichen Debatte verortet, sind exegetisch präzise und theo-logisch eindeutig. Im Zentrum der Darstellung stehen nicht die ethische Schwerpunktsetzung des Textes oder der literarische An­spruch seines Autors, sondern das eigene theologische Profil des Jakobusbriefs sowie dessen anthropologische Voraussetzungen und sozialethische Konsequenzen.