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Ausgabe:

September/2019

Spalte:

887–889

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Freye, Andreas

Titel/Untertitel:

Emil Kautzsch (1841–1910). Alttestamentler und Orientalist.

Verlag:

Berlin u. a.: Peter Lang 2018. XII, 440 S. m. 43 Abb. = Beiträge zur Erforschung des Alten Testaments und des Antiken Judentums, 62. Geb. EUR 79,95. ISBN 978-3-631-75902-8.

Rezensent:

Ernst-Joachim Waschke

Bei der Baseler Dissertation von Andreas Freye (Betreuer: Hans-Peter Mathys) handelt es sich um eine wissenschaftliche Biographie zu Emil Kautzsch. Die Fragestellung ist simpel, aber zureichend: »Wer war Emil Kautzsch und was hat er in seinem Fachgebiet ge-leistet?« (1). Einleitend weist der Vf. darauf hin, dass der in seiner Zeit angesehene und hoch dekorierte Alttestamentler heute fast völlig in Vergessenheit geraten ist. Mit der Dissertation möchte er deshalb »das Leben und Wirken von Emil Kautzsch würdigen und somit einen wichtigen Alttestamentler und Orientalisten der zweiten Hälfte des 19. Jh.s und dem Beginn des 20. Jh.s wieder einem breiteren Umfeld bekannt machen« (ebd.). Dass ihm dies, der selbst wie Kautzsch in Plauen (Vogtland) geboren wurde, mit dieser Arbeit gelungen ist, sei schon vorab vermerkt. Allerdings handelt es sich bei einer Dissertation auch immer um eine zeitlich begrenzte Qualifikationsarbeit. Sie soll und kann nicht alles leisten. So erklärt sich, dass das Kapitel über die Darstellung der »Fächer Orientalistik und Altes Testament im 19. Jahrhundert und der Wandel der Universitätslandschaft« (3–8) fast ausschließlich auf den Arbeiten von Sabine Mangold, »Eine ›Weltbürgerliche Wissenschaft‹ – Die deutsche Orientalistik im 19. Jahrhundert«, Stuttgart 2004, und Martina Baumgarten, »Professoren und Universitäten im 19. Jahrhundert. Zur Sozialgeschichte deutscher Geistes- und Naturwissenschaftler«, Göttingen 1977, beruht, deren Ansichten mehr oder weniger unkritisch übernommen werden. Hier wie auch zum nachfolgenden Kapitel (8–12) über die Universitäten (Leipzig, Basel, Tübingen und Halle), an denen Kautzsch gewirkt hat, hätte sehr viel mehr und differenzierter geschrieben werden können. – Die Lebensdaten sind in den Archiven in Plauen, Basel und Halle gründlich recherchiert.
Im ersten Teil werden in fünf Kapiteln seine »Kindheit und Jugend« (13–20), sein »Studium und Lehrtätigkeit in Leipzig« (21–34) sowie sein Wirken als Professor an den Universitäten in Basel (35–178), Tübingen (179–198) und Halle (199–242) dargestellt.
Dass die Beschreibung der acht Baseler Jahre den gleichen Zeitraum seiner Tätigkeit an der Universität Tübingen um ein Vielfaches übersteigt und selbst die 22 Jahre seiner Tätigkeit in Halle weit in den Schatten stellt, ist vermutlich weder der Quellenlage noch dem Umstand geschuldet, dass sich Kautzsch in Tübingen nicht wohlgefühlt und daselbst auch keine Freundschaften geschlossen hat. Sie ist vielmehr darin begründet, dass in die Baseler Zeit der Streit um die Pseudo-Moabitica, Kautzschs erste Orientreise (1876) sowie die Gründung des Deutschen Palästina-Vereins gehören. Auf die Darstellung dieser Ereignisse, vorab der Pseudo-Moabitica (58–117), legt der Vf. ausdrücklich sein Gewicht, und der akribischen Aufschlüsselung dieser Daten verdankt die Biographie wohl auch den Zusatz »Orientalist«. Meines Wissens gehörte diese Bezeichnung weder zur Denomination einer der von Kautzsch besetzten Professuren noch hat er sich selbst so bezeichnet. Darüber hinaus wird an dieser Darstellung deutlich, dass die Biographie mehr aus der Sicht eines Historikers als aus der eines Philologen oder Theologen geschrieben ist. Während zu dem Streit über die Pseudo-Moabitica fast jedes Detail erwähnt und die Protagonisten dieser Auseinandersetzung mit ihren verschiedenen Ansichten ausführlich dargestellt werden, begnügt sich der Vf. sowohl bei der von Kautzsch herausgegebenen Hebräischen Grammatik von Wilhelm Gesenius (118–122), bei der Übersetzung des Alten Testaments sowie der Apokryphen und Pseudepigraphen als auch bei der Bibli schen Theologie mit den weithin bekannten Grunddaten (215– 224). In diesem Zusammenhang fasst er Gunkels Würdigung zu Kautzschs Artikel Religion of Israel in die Worte, dass dieser »die selbst definierte Aufgabe von Kautzsch darin sah, Forschungsleis-tungen anderer Gelehrter zu sichten, zusammenzustellen und be­kannt zu machen« (224). Ob dies auch als eine Art Gesamturteil zur wissenschaftlichen Leistung Emil Kautzschs gelten kann und möglicherweise eine Erklärung dafür bietet, dass Kautzsch im Gegensatz etwa zu Wellhausen und Gunkel in Vergessenheit geriet, bleibt allerdings offen. Dem »Nichtverhältnis« zu Julius Wellhausen ist dann ein eigener Abschnitt gewidmet (125–130). Das Urteil, dass die Rezension von Kautzsch zu Wellhausens Geschichte Israels in der Theologischen Literaturzeitung von 1879 »der Wegbereiter für den Erfolg Wellhausens« gewesen sein soll (125), dürfte genauso wenig stimmen wie die Schlussfolgerung, dass diese vermeintliche Undankbarkeit gegenüber seinem Förderer Wellhausens Charakter in ein schlechtes Licht stellt (130).
Zu hinterfragen ist auch die gleich zu Beginn der Biographie vertretene Behauptung, dass Kautzsch schon zu Beginn seines Theologiestudiums in Leipzig »sicher keine kirchliche Laufbahn anstrebte« (22). Warum beschäftigt er sich in Leipzig neben dem Alten Testament vor allem mit der Praktischen Theologie und legt 1865 sein zweites theologisches Examen ab? Seine insgesamt starke kirchliche Bindung, die Lust und Freude am Predigen, wie sie in der Biographie immer wieder zum Ausdruck kommen, sprechen eigentlich dagegen.
Manch anderes Fehlurteil wäre noch zu korrigieren. Sicher steht für das 19. bis ins 20. Jh. außer Frage, »dass die Beschäftigung mit Palästina auch einen religiösen Hintergrund hatte« (175). Die Annahme allerdings, dass »der Großteil der Forscher ohne religiösen Hintergedanken tätig war«, dürfte ebenso wenig stimmen wie die Behauptung, dass »ein historisch-kritisches Denken« in den Bibelwissenschaften »erst mit Wellhausens Geschichte Israels im Jahr 1878« aufgekommen sei (ebd.). Da die Universität Halle 1694 gegründet worden ist, muss auf S. 202 die 300 in 200 korrigiert werden.
Der zweite Teil der Biographie (243–394) bietet echte Kärrnerar-beit, in dem erstmals »Der handschriftliche Nachlass von Emil Kautzsch« öffentlich zugänglich gemacht worden ist. Hierfür ge­bührt dem Vf. ausdrücklicher Dank. Misslich ist allerdings, dass es zwischen dem biographischen Teil und dem Nachlass keine Querverweise gibt und dass offensichtlich auch das Privatarchiv der Familie Kautzsch keine Berücksichtigung gefunden hat.
Ein Verzeichnis der Werke von Kautzsch (395–400) und ein An­hang (401–437) über seine Lehrveranstaltungen in Leipzig, Basel, Tübingen und Halle sowie Literatur- und Abbildungsnachweise stehen am Ende einer interessanten Biographie, auf deren Grundlage weitergearbeitet werden könnte und sollte.