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Ausgabe:

Juli/August/2019

Spalte:

814–816

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Wittekind, Folkart

Titel/Untertitel:

Theologie religiöser Rede. Ein systematischer Grundriss.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2018. VI, 334 S. Kart. EUR 29,00. ISBN 978-3-16-156067-5.

Rezensent:

Eberhard Blanke

Die »Theologie religiöser Rede« von Folkart Wittekind (Universität Duisburg/Essen) bietet auf 334 Seiten einen komprimierten Grundriss Systematischer Theologie. Mit einem luziden Aufbau und einer programmatischen Ausrichtung platziert sich dieser Entwurf an der Stelle einer »reflexiven (post)funktionalen Deutung der materialen Gehalte der Dogmatik« (93). Im weitesten Sinne ist das Buch zwischen einer historisch-liberalen und einer kerygmatisch-konservativen Theologie anzusiedeln (vgl. 47). Dabei fällt auf, dass die her-meneutisch-reflexive Programmatik weitgehend in Gestalt struktu- reller Überlegungen auftritt. Eine besondere Pointe gewinnt die Programmatik dadurch, dass W. ausschließlich an einer Theologie interessiert ist, die einen Bezug zum »modernen aufgeklärten Pro-tes­tantismus, […] als […] Variante von Religion, die auf der Möglichkeit einer rationalen Begründung von religiösen Überzeugungen beharrt« (21) hat. Durch diesen Bezug sowie im gesamten Duktus des Grundrisses tritt damit das Merkmal historischer Kontingenz (39 f.) der Religion als auch der Theologie in den Vordergrund. W. geht von einem »realen Wandel« (34) von Religion und Theologie im Laufe der Geschichte aus.
Die äußere Gliederung des Buches spiegelt den inneren Aufbau in seiner trinitarischen Dreigliedrigkeit wider. Das Buch umfasst 15 Paragraphen, von denen drei als Prolegomena und drei als Epilegomena fungieren. Der als »Materiale Theologie« überschriebene Mittelteil ist in drei Abschnitte zu Gott, Christus und Heiliger Geist mit erneut jeweils drei Paragraphen eingeteilt. Jeder Paragraph wird mit einem Abstract eröffnet und sodann in drei Punkte unterteilt, deren erster die jeweilige Fragestellung umkreist, deren zweiter die theologischen Diskussionen aufgreift und deren dritter eine eigene Antwortoption bietet. Das Buch schließt mit einem Begriffs- und Personenregister. Ein besonderes Merkmal des Textes ist es, dass W. auf Zitate und somit auf Literatur- und Querverweise verzichtet. Dies gibt dem Grundriss die Anmutung einer in sich gegründeten Autonomie (60 f.), die W. sowohl für die Theologie als auch für die religiöse Rede in Anspruch nimmt.
Das Ziel W.s liegt darin, eine wissenschaftliche Theologie religiöser Rede zu entwickeln (4 f.). Zu diesem Zweck muss sich die Theologie von der religiösen Rede ablösen und diese in eigener Begriffsbildung rekonstruieren (6.24). Die Distanz der Theologie zu der von ihr rekonstruierten religiösen Rede dient beiden Seiten: Die Theologie kann auch außerreligiös nachvollzogen werden und die religiöse Rede kann als religiöse Rede bei sich bleiben. Das Verhältnis beider zueinander wird dadurch asymmetrisch: Die Theologie benötigt religiöse Rede als einen von ihr unterstellten Gegenstand, wohingegen die religiöse Rede der Theologie nicht bedarf. Dies liegt auch daran, dass die religiöse Rede bzw. der sich darauf beziehende Glaube bereits in sich als reflexiv konstruiert wird. »Diese reflexive Religion des Glaubens liegt in dem ihm innewohnenden Bewusstsein der Verwendung von religiösen Gehalten in einem religiösen Sinn.« (24; auch 71) Dieser Reflexivität der religiösen Rede bzw. ihrer Inhalte (99), die sich im Vollzug als religiös einstellt, geht die Theologie strukturanalog nach. Sie bezieht sich auf eine in sich reflexiv verstandene religiöse Rede, die einen dreigliedrigen Zirkel von Inhalt, Aneignung und symbolischer Produktion durchläuft (51 ff.283).
Hierbei handelt es sich um einen hermeneutisch-reflexiven Zirkel, der zu einem selbstbezüglichen Vollzug führt (47). »Glaube ist dem Wesen nach immer nur aktualer Vollzug […] Bereits die Konstitution und die Geltung der Religion ist von dem Vollzogenwerden der religiösen Deutung im Sinn des Benutzers abhängig.« (48) Dem Sinn nach handelt es sich um die Einheit der Differenz von religiös Gesagtem als religiös Gemeintem (19.38). Das Ziel des hermeneutisch-reflexiven Zirkels einer Theologie religiöser Rede sieht W. im Funktionieren religiöser Rede bzw. in der »Selbstdurchsichtigkeit« (12.26.65) des reflektierten Glaubens. Mithin gilt:
»Die Theologie, die sich auf den aufgeklärten Protestantismus bezieht bzw. ihn als zu konstruierende Variante von ›Glauben‹ annimmt, geht davon aus, dass zumindest in ihm eine Selbstdurchsichtigkeit des Glaubens besteht. […] Bereits der sich selbst durchsichtige Glaube ist ein voraussetzungsloses Schweben in der religiösen Rede, deren Gegenstand und Wirklichkeit ihr eigenes Funktionieren ist.« (31; auch 98 und 105)
Die Theologie nimmt den dreipoligen Vollzug religiöser Rede zum Anlass, ihren hermeneutischen Zugriff darauf ebenfalls dreistellig zu gestalten. Die dafür in Anspruch genommenen Begriffe und Gehalte werden am Symbol der Trinität ausgerichtet. Insofern beschreibt die Theologie eine historisch einzigartige und kontingente religiöse Rede mit trinitarischer Struktur (vgl. 71 ff.). In diesem Sinne werden die Momente des Inhalts, der persönlichen Aneignung sowie der fortlaufenden Reproduktion religiöser Rede entfaltet: Der Bezug auf Gott macht religiöse Rede religiös, Chris-tus symbolisiert den Glauben(den) in Person und der Heilige Geist steht für das Movens zur Symbolproduktion. Damit wird die Trinität zum Symbol für das Schweben im dreipoligen hermeneutischen Zirkel (67). Als verbindender Mittelpunkt gilt hierbei die existenzielle Aneignung des Glaubens: »Das Christentum besteht darauf, dass religiöse Kommunikation erst in der Zuwendung, in der Anrede und in der personalisierenden Aneignung zur religiösen Kommunikation wird.« (174)
Durch den selbstbezüglichen Vollzug religiöser Rede kommt es zu einigen Umstellungen in der systematisch-theologischen An­ordnung, so dass z. B. die Schriftlehre in die Gotteslehre (95 ff.), die Sakramentenlehre in die Christologie (162 ff.), die Ämterlehre in die Sakramentenlehre (180 f.) und sowohl die Hamartiologie (290 ff.) als auch die Eschatologie (305 ff.) in die Epilegomena verschoben werden. Diese Neu-Arrangements entsprechen der autonomen Konstruktivität der Theologie, die in sich konsistent zu sein beansprucht. »Systematische Theologie ist damit zu verstehen als das wissenschaftliche Konstrukt eines sich selbst durchsichtigen Glaubens, und zwar indem die Gehalte des Glaubens so interpretiert werden, dass sie beschreiben, wie der Glaube sich selbst und sein Funktionieren versteht.« (3)
Das innere Funktionieren religiöser Rede wird daran erkennbar, dass sie als ein spezifisches Sprachspiel innerhalb anderer gesellschaftlicher Sprachspiele auftritt. Dazu verfügt sie über eigene Gegenstände, Inhalte und Gehalte: »Die Inhalte religiöser Rede sind nicht schon an sich selbst die Garanten für das Vorliegen des ge­meinten hermeneutischen religiösen Aktes, sondern nur im Zu­sammenhang mit ihrer Funktion innerhalb des Gesamtkomplexes religiöser Rede. […] Nur mit ihrer Hilfe konstituiert sich die Religion als eine eigene Deutungssprache menschlicher Existenz und ihres Sinns« (283). Sie bedarf keiner äußeren Begründungen, sondern setzt sich im Vollzug ihrer Inhalte, ihrer Aneignung und ihrer Reproduktion selbst. Die hierin liegende De-Ontologisierung der religiösen Rede gilt dann auch für die Theologie.
In seiner Theologie religiöser Rede legt W. einen eigenständigen und mutigen Grundriss vor, der manches Mal bis an die Grenzen der Möglichkeiten dessen geht, was sich in diesem kompakten Rahmen sagen lässt. Abschließend seien drei weiterführende Bemerkungen angefügt.
Erstens ist die (Systematische) Theologie gut beraten, ihren Blick verstärkt auf selbstbezügliche und darin konstruktivistische Modelle zu lenken, wie sie W. exemplarisch vorführt. Damit werden (hinfällig gewordene) begründungstheoretische Figuren von in sich rekursiv stabilisierten Theoremen abgelöst.
Zweitens ist allerdings zu fragen, ob die selbstbezügliche Reflexivität religiöser Rede zur von W. behaupteten Selbstdurchsichtigkeit führen kann, oder ob nicht vielmehr jede Rede nur deshalb möglich ist, weil sie von einem blinden Fleck herrührt bzw. diesen mit sich führt (so 83 über andere Theorien), der von der Theologie selbst zu berücksichtigen wäre.
Als Desiderat ist drittens festzustellen, dass W.s Entwurf eine kommunikations- bzw. gesellschaftstheoretische Kontextierung seiner Theologie im Hinblick auf die unterstellten gesellschaftlichen Sprachfelder vermissen lässt. Zwar läuft im Hintergrund der Bezug auf den Gesamtkomplex einer kulturell verfassten Welt mit, doch kann und muss eine Systematische Theologie heute mehr darüber sagen, um am Ende die Frage beantworten zu können, wozu diese Theologie religiöser Rede dienen kann.