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Ausgabe:

Juli/August/2019

Spalte:

783–785

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Hild, Christian

Titel/Untertitel:

Die Reformatoren übersetzen. Theologisch-politische Dimensionen bei Leo Juds (1482–1542) Übersetzungen von Zwinglis und Bullingers Schriften ins Lateinische.

Verlag:

Zürich: Theologischer Verlag Zürich 2016. 544 S. Kart. EUR 70,00. ISBN 978-3-290-17870-3.

Rezensent:

Klaus Unterburger

Die in Saarbrücken eingereichte Dissertationsschrift von Christian Hild kombiniert theologiegeschichtliche und germanistische Methoden. Sie analysiert zwei Übersetzungen Leo Juds, des wohl wichtigsten Übersetzers in der Schweizer Reformation, von Werken Huldrych Zwinglis und Heinrich Bullingers aus der frühneuhochdeutschen Volkssprache ins Lateinische. Er betritt hier weitgehend Neuland, da bislang fast immer dessen sehr viel zahlreichere Verdeutschungen lateinischer Werke in den Blick ge­nommen wurden. Durch die Analyse der Übersetzungen und ihrer Abweichungen von den Prätexten sollen die Intentionen Juds als Übersetzer herausgearbeitet und mit der jeweiligen historisch-politischen Situation korreliert werden. Auf diese Weise erhofft sich H. die Schärfung des theologischen Profils Leo Juds innerhalb der Schweizer Reformation, da Jud bislang oft einfach als Parteigänger Zwinglis charakterisiert wurde. Je nachdem, wie seine Übersetzungstätigkeit gewertet wurde, ist die Forschung bislang zu differenten Ansichten in der Frage von dessen theologischer Abhängigkeit oder Selbständigkeit gekommen: Dass seine Translate starke Abweichungen von den Prätexten beinhalten, ist klar. Die Motive, die dahinterstehen, wurden freilich unterschiedlich akzentuiert.
Der Elsässer Jud war seit der gemeinsamen Studienzeit in Basel eng mit Zwingli verbunden; in Einsiedeln wurde er sein Nachfolger als Leutpriester. Seither übersetzte er viele Schriften des Erasmus, dann auch Martin Luthers. Seit 1523 wirkte er als Pfarrer an der Stiftskirche St. Peter in Zürich und wurde dort im reformatorischen Geschehen Zwinglis enger Mitstreiter, der einen großen Anteil an der Entstehung der Züricher Bibel hatte. Nach der Niederlage von 1531 und Zwinglis Tod trat Jud für eine Entflechtung der Kirche von der weltlichen Obrigkeit ein und ging hierbei auf Distanz zu Heinrich Bullinger, ja geriet vorübergehend sogar unter den Einfluss von Caspar von Schwenckfeld. Nachdem er aber seit 1533 wieder auf Bullingers Kurs eingeschwenkt war, arbeitete er an der Confessio Helvetica prior mit und übersetzte diese ins Deutsche. Leo Juds Übersetzungen ins Deutsche verfolgen nach dem Zeugnis seiner Selbstaussagen einen ganzen Motivkomplex, da er einerseits immer wieder von Freunden gebeten wurde, daneben aber das Wort Gottes verkünden und reformatorisches Gedankengut pro-pagieren und schließlich auch eigene theologische Überlegungen transportieren wollte. Dies ist im Kontext humanistischer und re­formatorischer Übersetzungstätigkeit grundsätzlich nicht außergewöhnlich; die große Zahl von Übertragungen durch Jud ist in der Wittenberger Reformation dabei wohl am ehesten mit Justus Jonas (1493–1555) vergleichbar, der 35 Schriften Luthers und Melanchthons verdeutscht hat und deren reformatorisches Gedankengut herausarbeiten wollte.
H. analysiert Juds Übersetzungen von Zwinglis »Ußlegen und gründ der Schlußreden« von 1523 und Bullingers »Von dem unverschampten Fräfel … der selbstgenannten Widertöuffern« von 1531. Beide Übersetzungen ins Lateinische sind 1535 erschienen. Analysiert werden die Translate detailliert nach Varianzen; beide Übersetzungen sind ein Stück weit ebenso als Bearbeitungen (augmentativ und diminuitiv sowie zweck- und zielgruppengerichtet) zu charakterisieren. Die Abweichungen werden dann inhaltlich interpretiert. Zwinglis »Ußlegen«, also sein Kommentar zu jenen 67 biblischen Thesen, mit denen er in der ersten Züricher Disputation erfolgreich war, wurden zum Grundlagentext der dortigen Reformation und waren zugleich Zwinglis umfassendstes theologisches Werk. Juds Übersetzung ins Lateinische zwölf Jahre später wollte vor dem Hintergrund einer stagnierenden Züricher Bündnispolitik (die spezifische reformatorische Identität Zürichs verhinderte den Anschluss an den Schmalkaldischen Bund; die Stuttgarter Konkordie von 1534 empfand man in Zürich als unbefriedigend) andere Gelehrte in Zwinglis Gedankenwelt leichter einführen. Der Rückgriff auf den frühen Zwingli bot Gemeinsamkeiten mit den Wittenbergern, bevor Spekulationen über die Realpräsenz Christi im Abendmahl beide entzweiten. Wie der späte Zwingli betonte man in Zürich damals den Gabe- und Gnadencharakter des Abendmahls und suchte eine Einigung mit allen Schweizern und mit Straßburg; Zwinglis Positionierung im Abendmahlsstreit in seiner mittleren Phase wurde also ein Stück weit umschifft. In diese Situation zielte die lateinische Übersetzung der »Ußlegen«; tatsächlich erfolgten im 18. Artikel in Bezug auf das Abendmahl die weitreichendsten Eingriffe, bei denen Zwingli in Richtung der gegenwärtigen Züricher Position aktualisiert wurde. Wie ein roter Faden zieht sich die Abgrenzung von der römisch-katholischen Tradition durch die Abweichungen, die häufig Zwinglis Position aus anderen seiner Schriften noch ergänzen. Rein Kontextbedingtes (auf die Situation Zürichs 1523 Bezogenes) wird hingegen mitunter weggelassen. Auch Juds Übersetzung der Confessio Helvetica prior von 1536 verdeutlicht/präzisiert diese durch Zwinglis späte Theologie. Man kann also konstatieren, dass Juds Übersetzung vor allem den Zweck verfolgte, den frühen Zwingli in die Gegenwart zu versetzen und gerade den widerstrebenden Bernern zu demonstrieren, dass die Züricher Abendmahlskonkordie als Vorstufe der Confessio mit den Anfängen der Reformation in der Schweiz übereinstimme.
In denselben zeitlichen Kontext fällt auch die Übersetzung von Bullingers Traktat gegen die Täufer. Bullinger wollte mit starker Hand und in klarer Abgrenzung gegen diese vorgehen, gerade als der Rat zu einer Milderung tendierte, und so unterstrich er die Gefahren für das Gemeinwesen durch diese. Juds Übersetzung steht im Kontext seiner Wiederannäherung an Bullinger; in seinem Vorwort bezeichnet er die Täufer als Skelette, die mit Musikinstrumenten umherziehen und eine große Gefahr für die wiedergeborenen Gemeinden darstellen. So zeichnet sich die Übersetzung auch durch zahlreiche Hinzufügungen aus, die die Gefährlichkeit der Täufer und die Notwendigkeit harter Strafen betonen und Bullingers Text durch das Neue Testament oder Zwingli theologisch ergänzen. Ziel war es wohl vor allem, den Züricher Rat zum entschiedeneren Durchgreifen zu bewegen, da die Täufer gegen jede Obrigkeit gerichtet seien.
In beiden Schriften kann H. eine Aktualisierung Zwinglis auf die Situation Zürichs in den Jahren 1534/1535 nachweisen, einmal mehr auf die außenpolitische Bündnispolitik, einmal stärker nach innen in der Haltung der Obrigkeit zur Präsenz von Täufern. Gemeinsam ist beiden Schriften auch eine stärkere Betonung des Gesetzes auch für die Gerechtfertigten sowie der gerade von Bullinger prononciert vertretenen Bundestheologie. Ebenso wird die täuferische Seelenschlaflehre bekämpft, da die Seele Entelechie des Körpers sei. Beide Schriften zeichnen sich überdies durch das Streben aus, Einheit und Einigkeit nach innen und außen herzustellen. Mit der Übersetzung ins Lateinische ist eine Entregionalisierung intendiert; in beiden Schriften werden andernorts ausgeführte Gedanken Zwinglis er­gänzt. So kann H. durchaus eine eigenständige Akzentsetzung Juds in seiner Übersetzertätigkeit 1534/1535 herausarbeiten, da er tiefere Schichten der Originale aktualisierend seiner Gegenwart vor Augen stellen wollte und so gerade als Gefolgsmann Zwinglis und Bullingers mittels seiner Übersetzung eine eigenständige Position in den betreffenden Diskursen einnahm.