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Ausgabe:

Juli/August/2019

Spalte:

779–781

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Ehmann, Johannes

Titel/Untertitel:

Geschichte der Evangelischen Kirche in Baden. Bd. 1: Reformatorische Bewegungen im Südwesten des Reichs (1518–1557): Von Luthers Heidelberger Disputation bis zum Augsburger Frieden und seinen Nachwirkungen.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2018. 284 S. m. zahlr. Abb. Geb. EUR 38,00. ISBN 978-3-374-05574-6.

Rezensent:

Ulrich Oelschläger

Diese Monographie von Johannes Ehmann ist der erste Band einer auf vier Bände angelegten Geschichte der Evangelischen Kirche in Baden und behandelt die Vorgeschichte dieser Landeskirche. E. spürt darin den reformatorischen Bewegungen im Südwesten nach, in dessen Gebiet die kleine Markgrafschaft lag. Seine Darstellung berücksichtigt dabei den Südwesten auch über die Gebiete hinaus, die zum heutigen Baden bzw. zur badischen Landeskirche gehören.
Ist die badische Reformation durch Markgraf Karl II. auch erst 1556 durchgeführt werden, so sind es die Heidelberger Disputation von 1518 und die Begegnungen junger Theologen mit Luther in deren Umfeld wichtige Ausgangspunkte für reformatorische Im­pulse im Südwesten, die das entstehende Baden im Laufe der Zeit prägen. So bezeichnet E. auch im Vorwort die Darstellung von »Person und Raum« als »Leitstruktur« seiner Arbeit. Viele der reformatorischen Impulse scheitern. E. wirft vor allem einen Blick auf die vielen Impulsgeber, deren Biographie und reformatorische Wirkung in der Darstellung den größten Raum in der Studie einnimmt. Bereits die ausführliche Einführung lässt deutlich werden, dass E. einen breiten Leserkreis anzusprechen beabsichtigt, indem er mit Ausführungen zu den Begriffen »Reformation« und »Reformatorische Bewegungen« beginnt und danach auf die zu beach tenden außerbadischen Räume eingeht. Die politische Gebietsstruktur wird da­bei auch durch eine farbige Karte veranschaulicht. Kaiser Karl V., Kurfürsten, Fürsten, Reichsritter, Städte, Diözesen und geistliche Stände sind im beschriebenen Raum im 16. Jh. wichtige Akteure, in deren Einflussbereich mehr oder auch weniger bekannte Reformatoren wirkten. Diese konnten jene entweder ge-winnen oder sie mussten ihnen weichen. Spezieller informiert E. zum Schluss der Einführung über die Geschichte der badischen Kirchengeschichtsschreibung anhand einer kurzen Darstellung und kritischen Würdigung der Werke von Johann Daniel Schöpflin, Johann Christian Sachs und Karl-Friedrich Vierordt.
Der zweite und Hauptteil der Monographie (Personen und Räume [Städte und Territorien]) beginnt unter der Überschrift »Martin Luther (1483–1546) in Heidelberg (1518)«. Dadurch wird eine breite Leserschaft zu der spezielleren Thematik badischer Geschichte vom bekannten und für diese Geschichte wichtigen Ausgangspunkt, der Heidelberger Disputation von 1518, hingeführt, zumal viele der später genannten Akteure bei diesem Ereignis anwesend waren (Martin Bucer, Johannes Brenz, Paul Fagius, Martin Frecht, Franziscus Irenicus, Erhard Schnepf und weitere). Verlauf, Akteure und theologische Grundpositionen werden benannt, Letztere durch die (wie in der gesamten Monographie) grau und in Kursivdruck als Quellen markierte ins Deutsche übersetzte Disputationsthesen belegt.
Bis auf einige Titel und bekannte Formulierungen sind alle lateinischen Texte übersetzt, die deutschen – leider nicht konsequent – modernisiert. Da das betrachtete Gebiet im sich vielfach überschneidenden Wirkungsfeld der Wittenberger und Schweizer Reformation liegt, Akteure unterschiedlich von Luther, Zwingli und Calvin beeinflusst sind, kommt es hier zu einer außerordentlich differenzierten innerprotestantischen Konfessionsbildung, bei der auch mancher Prediger sein Gebiet verlassen muss. Durch »Informationskästchen« – durch Linien eingerahmte, die spezielle Darstellung übergreifende Informationen, zu Streitpunkten etwa – wird einer weniger fachkundigen Leserschaft das Verständnis er­leichtert: Solche allgemeinen Informationen gibt es zu den »sogenannten Hauptschriften Luthers von 1520« (74), den unterschiedlichen Lehrauffassungen zum Abendmahl (78), zu via moderna und via antiqua (111), Reichsreligionsgesprächen (134), tertii usus legis (175), Kirchenzucht (237) und weiteren.
Die regionale Darstellung beginnt mit dem am nördlichsten Zipfel des heutigen Baden gelegenen bis heute katholisch geprägten Wertheim. Nach Graf Georg II., der Luther persönlich auf dem Reichstag in Worms kennengelernt hatte, geht E. auf drei Persönlichkeiten näher ein und macht deutlich, dass sich nur in einem Teil des Gebietes Reformatorisches halten konnte. Mit dem beeindruckenden Prediger Jakob Otter, der in Kenzingen und Steinach predigte, und dem Ritter Hans Landschad von Steinach setzt E. seine Darstellung fort und macht hier deutlich, wie sich die unterschiedlichen Einflüsse von Johannes Brenz und Martin Bucer auf die Kraichgauer Ritterschaft einerseits und Steinach andererseits auswirkten, um sich dann der Geschichte der Täufer in der Region zuzuwenden. Hier geht er von den Anfängen in Zürich über die Konstitution gegen die Täufer, der die protestantische Seite auf dem Reichstag in Speyer 1529 zustimmte, zu Balthasar Hubmaier in Waldshut als typischem oberdeutschen Beispiel innerhalb der in sich differenten Täuferszene als Erscheinung der frühen Reformation, die wegen ihres zeitweiligen Zusammengehens mit den aufständischen Bauern und wegen ihrer zum Teil »staatsfeindlichen Absonderung« den Argwohn der Obrigkeit erregten. Johannes Schwebel, Ambrosius Blarer, Caspar Hedio, Franz Irenicus, Mat-thias Erb, Katharina Zell, Anselm Pflüger, Paul Fagius, Olympia Fulvia Morata, Martin Schalling (Vater und Sohn) sind neben verschiedenen Personen aus der Ritterschaft weitere Beispiele wichtiger reformatorischer Impulsgeber in der durch komplizierte Herrschaftsverhältnisse geprägten Region.
Die Verbindung zum Humanismus bekommt in der Darstellung durch E. ein besonderes Gewicht, ebenso erhalten die Auseinandersetzungen innerhalb des sich – spätestens seit dem zweiten Wormser Religionsgespräch von 1557 – langsam konfessionell entzweienden Protestantismus besondere Aufmerksamkeit. Interessant dabei ist der Hinweis auf die »Vorabschattung des Marburger Religionsgesprächs von 1529« im Jahre 1525, wo auf der Burg des Grafen Dietrich von Gemmingen bereits ein Abendmahlsgespräch stattfand. Mit Paul Fagius gerät innerhalb der Humanistenszene ein wichtiger Hebraist in den Blick, der in Isny gemeinsam mit dem bekannten jüdischen Gelehrten Elia Levita eine Druckerei betrieb; Levita, der durch sein Sefer ha Bachur (von Sebastian Münster ins Lateinische übertragen) eine wichtige Grundlage für die Beschäftigung mit dem Hebräischen legte. Mit Ambrosius Blarers Schwester Margarete, Katharina Zell und Olympia Fulvia Morata treten auch drei Frauen ins Blickfeld, wobei Katharina Zell sicher die wichtigs-te ist – nicht zuletzt durch ihr diakonisches Wirken wie der Aufnahme, Beherbergung und Versorgung vertriebener flüchtiger Reformer. Interessant ist das Zitat einer Quelle in deutscher Übersetzung, in der Erasmus in den Colloquia die Magdalia die Männer warnt, es gebe in Italien und Spanien nicht wenige vornehme Frauen, die es mit jedem Mann aufzunehmen vermöchten und, wenn man nicht aufpasse, gar in den Universitätsdisputationen den Vorsitz führten, in den Kirchen predigten und die Mitren der Bischöfe in Beschlag nähmen (136). Sowohl bei Margarete als auch bei Olympia betont E. besonders deren humanistische Bildung.
Der dritte Teil der Monographie (Wege der Reformation. Wege zur Reformation) stellt die vielen Detailinformationen noch einmal in einen größeren reformationsgeschichtlichen Zusammenhang.
Kritisch anzumerken wäre vielleicht, dass die Hinweise in den Fußnoten, besonders die auf frühere Stellen, in der Publikation genauer sein dürften. Der Band ist aber eine gut lesbare Einführung in die Geschichte der badischen Kirche und lässt auf die Erscheinung der weiteren Bände hoffen.