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Ausgabe:

Juli/August/2019

Spalte:

764–766

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Hauck, Marion Christina

Titel/Untertitel:

DYNAMIS EIS SOTERIAN. Eine Untersuchung zum semantischen Hintergrund eines neutestamentlichen Syntagmas.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht (Neukirchener Theologie) 2018. 384 S. = Wissenschaftliche Monographien zum Alten und Neuen Testament, 154. Geb. EUR 60,00. ISBN 978-3-7887-3328-5.

Rezensent:

Emmanuel L. Rehfeld

Die vorliegende Monographie geht auf eine von D. S. du Toit betreute, für den Druck überarbeitete Münchener Dissertation zurück (Zweitgutachter: L. Stuckenbruck). Ihre Verfasserin, Marion Christina Hauck (Jahrgang 1984), zuvor wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Friedrich-Schiller-Universität Jena, bestimmt als Aufgabe und Ziel ihrer Arbeit, »den sprachlichen (namentlich: den semantischen) Horizont aufzuklären, vor dem die δύναμις-Begrifflichkeit in Verbindung mit σῴζειν κτλ.–Terminologie bei neutestamentlichen Autoren (Paulus, Verfasser des 1. Petrusbriefes) Verwendung gefunden hat und von den antiken Lesern bzw. Hörern dieser Schriften vermutlich verstanden worden ist« (26).
Aus der »Einführung« (23–33) geht hervor, dass H. bei ihrer angestrebten Rekonstruktion der ›kulturellen Enzyklopädie‹ »des antiken Lesers bzw. Hörers« vorrangig an pagane, »nicht-jüdische« Rezipienten denkt und deren mutmaßliches Verständnis des Syntagmas δύναμις εἰς σωτηρίαν zu erhellen sucht (26). Ihrer »Grundannahme« (33) folgend, konzentriert H. sich in ihrer Untersuchung auf profangriechische, jedenfalls außerbiblische Texte ganz unterschiedlicher Epochen, wobei sie auch Texte »des griechischsprachigen, unapokalyptischen Juden Philo von Alexandrien« (33) berücksichtigt, die »eine große zeitliche und kulturelle Nähe zu neutestamentlichen Schriften« auszeichne (183). Fast vollständig ausgeklammert bleibt die Septuaginta (s. immerhin 271–274 und einige verstreute Hinweise). Für eine dezidiert »neutestamentliche Studie« (26) ist eine derart eingeschränkte Textbasis ein deutliches Manko. Schon von daher hätte »das im Rahmen dieser Forschungsarbeit untersuchte griechische Textmaterial der Ergänzung durch die Befragung weiterer Quellen« bedurft (so H.s Caveat im Vorwort, 7; vgl. 369).
Hinsichtlich der außerbiblischen Gräzität einschließlich Philos (34–233) kommt H. zu dem wenig verblüffenden Ergebnis, »dass die Wortgruppe um δύναμις und σῴζειν, σωτηρία, σωτήριος an allen analysierten Stellen im übergreifenden Kontext einer prekären Situation, die als Gefahrensituation zu charakterisieren ist, begegnet« (225, vgl. 368 u. ö.). Weiterführend sind allenfalls die Spezifizierung der verschiedenen Gefahrenkontexte (Gefährdung des dauerhaften Bestandes der sterblichen Gattungen und des Kosmos, Gefährdung durch Krankheit, Krieg und politisch-gesellschaftliche Ohnmacht) und der entsprechenden Gegenmittel (z. B. Medizin, Geld, defensive und offensive Wehrmittel) sowie die Herausarbeitung typischer »Wortcluster«. Einigermaßen vorinformierten Leserinnen und Lesern dürfte es freilich genügen, die Zusammenfassung dieses ersten Hauptteils zur Kenntnis zu nehmen, zumal dort alle zuvor behandelten Belege erneut ausführlich zitiert werden (225–233).
In einem zweiten Schritt (234–357) werden diese Ergebnisse »auf neutestamentliche Texte […] appliziert« (33) bzw. Letztere »in den breiteren Rahmen der zeitgenössischen paganen Sprache« eingepasst (234, vgl. 29.266 f.273). Dabei wird unter Berufung auf psycholinguistische Konzepte (30) und das sogenannte »Prinzip kontextueller Wahrscheinlichkeit« (254) regelmäßig aus »terminologischen Kongruenzen« (27, Anm. 17) unmittelbar auf sachliche Vergleichbarkeit und Abhängigkeit geschlossen, ohne dass die neutestamentlichen Texte vorab einer gründlichen textimmanenten Auslegung unterzogen worden wären. Erst die Schlusszusammenfassung (358–367) nimmt auch deutlich(er) sachliche Differenzen und Innovationen in den Blick (359 f.361).
Die von H. favorisierte interpretatio Graeca (33) schlägt sich sowohl in den Übersetzungen biblisch-theologischer Schlüsselwörter wie χάρις (»Gunst« statt »Gnade«) und σωτηρία (»Rettung« oder »Bewahrung« statt »Heil«) nieder als auch in dem Bestreben, mutmaßlich theologische Sachverhalte profan zu erklären (s. exemplarisch die Ausführungen zum 1Petr, 326–357).
Der oft assoziative (30–32) Versuch semantischer Vermittlung dürfte dem Paradigma einer »strukturalistischen Semantik« ge­schuldet sein, dem die Arbeit verpflichtet ist (27 f.). An sprachgeschichtlichen Entwicklungen und einer entsprechenden Einordnung der Belege ist sie – trotz der theoretischen Betonung des Kontextprinzips (28) – kaum interessiert. Das zeigt sich auch daran, dass das allein nach thematischen Gesichtspunkten gegliederte erste Kapitel (34–182) zeitlich wie räumlich sehr disparate Texte in sich vereint (Lysias, Platon, Aristoteles, Corpus Hippocraticum, Polybios, Dionysios von Halikarnassos, Plutarch, Epistulae des Themis-tokles), die teilweise sogar nachneutestamentlicher (Galen, Maximos von Tyros, Johannes Stobaios!) bzw. christlicher Herkunft sind (Apollinaris von Laodicea).
Wohl ebenfalls auf den Einfluss des strukturalistischen Paradigmas geht die äußerst weite Definition von »Syntagma« zurück, die H. stillschweigend voraussetzt. Ihr gelten als »Syntagma« nahezu alle syntaktischen Gebilde, in denen die fraglichen Begriffe (inkl. möglicher Synonyme) in irgendeiner Weise gemeinsam auftauchen (H. spricht auch von »Kookkurrenzen«, 30). Nur unter dieser Prämisse lässt sich im Blick auf Röm 1,16 (dazu 266–326) und 1Petr 1,5 (dazu 326–357) von einem (variablen) »Syntagma« δύναμις εἰς σωτηρίαν sprechen. (Gleiches gilt auch für viele der paganen Be-lege.)
Namentlich in 1Petr 1,5 ist der Präpositionalausdruck εἰς σωτηρίαν gar nicht von der Wendung ἐν δυνάμει θεοῦ abhängig, sondern vom Partizip φρουρούμενος, wobei die auf εἰς σωτηρίαν bezogene Apposition ἑτοίμην ἀποκαλυφθῆναι ἐν καιρῷ ἐσχάτῳ das Heil als eine klar futurisch-eschatologische Größe ausweist (diffus 329 f.; klarer 362, Anm. 30).
Die Unschärfe des »Syntagma«-Begriffs zieht sich durch die »semantischen Kontextanalysen« (368), die das Herzstück der Arbeit bilden und einen eigentümlich zwiespältigen Eindruck hinterlassen: Flächige Paraphrasen wechseln sich ab mit peniblen Passagen, die den Lesefluss ebenso beeinträchtigen wie die vielen durch »bzw.« und Schrägstriche verbundenen Aneinanderreihungen nicht immer äquivalenter Formulierungen. Die Arbeit hätte an Klarheit gewonnen, wenn präziser formuliert und deutlich ge­strafft worden wäre.
Gleichzeitig lässt die Auseinandersetzung mit der Forschungsliteratur zu wünschen übrig. So wird etwa in dem sachlich problematischen Exkurs über 1Kor 1,18–2,5 (316–326) die einschlägige Habilitationsschrift von H.-C. Kammler (WUNT 159) nicht einmal zur Kenntnis genommen (stattdessen zitiert H. aus einem »unveröffentlichten Manuskript«). Generell wird zur Absicherung bzw. Bekräftigung der eigenen Position häufig nur gerade einmal eine Referenz angegeben (sei es ein alter oder neuer Kommentar, oft auch bloß eine Einleitung). Nicht nur die apotropäische Deutung des Todes Jesu (297–301.365 f., im Anschluss an C. Eschner) oder die wiederholte Rede vom Glauben als »Bedingung« der σωτηρία (270 u. ö.) bedürften jedoch einer gründlichen Diskussion.
Davon abgesehen lässt sich natürlich fragen, ob das Verständnis von δύναμις in Verbindung mit σωτηρία in Röm 1,16 und 1Petr 1,5 wirklich so ›problematisch‹ ist, wie H. annimmt (23–26 m. Anm. 1). So wirft die ausdrücklich als »Forschungsarbeit« (7.369) bezeichnete Monographie schließlich die Frage nach dem Zielpublikum solcher Forschung auf. Während der Erkenntnisgewinn für Fachexegetinnen und -exegeten gering ausfallen wird, dürfte die zwar fleißige, aber (auch stilistisch) nicht immer fehlerfreie und recht redundante Arbeit die meisten anderen schon angesichts der (zu) reichlich zitierten Originaltexte schnell ermüden. Fazit: Ein von dem Anliegen philologischer Exegese her (23) begrüßenswerter Beitrag, der leider in der Durchführung gerade argumentativ oft nicht überzeugt und vom Ertrag her enttäuscht.