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Ausgabe:

Juli/August/2019

Spalte:

748–750

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Glanville, Mark R.

Titel/Untertitel:

Adopting the Stranger as Kindred in Deuteronomy.

Verlag:

Atlanta: Society of Biblical Literature Press 2018. XVII, 321 S. = Ancient Israel and Its Literature, 33. Kart. US$ 39,95. ISBN 978-0-88414-310-9.

Rezensent:

Eckart Otto

Die Monographie von Mark R. Glanville, Professor of Old Testament and Congregational Studies am Missional Training Centre in Phoenix/Arizona, ist eine exegetisch wichtige, in vielerlei Hinsicht die Deuteronomiumsforschung bereichernde und in der gegenwärtigen politischen Situation zunehmender Ströme von displaced persons in der Welt sehr aktuelle Studie, die es sich zur Aufgabe macht, nachzuverfolgen, wie das Buch Deuteronomium auf Bedürfnis und Wunsch von »displaced people of dependent strangers« nach Integration in ihre sozialen und religiösen Kontexte reagiert im Horizont der Spannung in der israelitischen Religion zwischen einem exklusiven Erwählungsbewusstsein und einer Ethik der Integration sozial deklassierter personae miserae.
Angesichts des Dissenses in der Forschung, ob der Fremde (ger) im Deuteronomium ein Ausländer oder ein aus seinem sozialen Kontext der Verwandtschaft herausgefallener indigener Judäer sei, will der Vf. Klarheit gewinnen, indem er eine literaturhistorisch informierte Exegese mit sozialanthropologischen Forschungsergebnissen verbindet. So unterscheidet der Vf. literaturhistorisch zwischen der Redaktion der Gesetze des Deuteronomiums in Dtn 12–26, die vornehmlich vorexilisch-deuteronomisch (dtn) sei, und des Rahmens in Dtn 1–11; 27–34, der deuteronomistisch-exilische (dtr) und postdtr-nachexilische Re­daktionen verbindet. Er wendet sich nach einem kritischen Überblick über die Forschungspositionen von C. Bultmann, M. A. Awabdy und R. Ebach den deutero-nomischen Gesetzen zum ger in Dtn 12–26 in Gestalt dreier Gruppen der Sozial-, Gerichts- und Festgesetze zu. Die Sozialgesetze in Dtn 23,16 f.; 24,6–25,4.13 f. zeigen wie auch das deuteronomistische Sabbatgebot in Dtn 5,12–15 den ger als eine Person mit einem Grenz(liminal)-Status zwischen sozialem Fremdsein und Integration in familiare Clanstrukturen, die das Deuteronomium fördern will. Der ger sei nicht sozial unabhängig, sondern lebe in einer Gastfamilie, in die er dennoch nicht völlig integriert sei. Das Deuteronomium zeige u. a. in Dtn 24,14 f. Ansätze zu einer Integration des »displaced« Judäers in seine Gastfamilie als seine neue soziale Heimat verbunden mit seiner Einbindung in die innerjudäische Bruderethik des Gesetzes des Deuteronomiums, was durch die Rezep-tion im Sabbatgebot unterstrichen werde. Thesen, die ger-Gesetze des Deuteronomiums seien nur »legally and economically orientated«, so C. Crouch (VT.S 162, 2014, 222), weist der Vf. als Verkürzung der religiösen Substanz der geschwisterlichen Integrationsethik des Deuteronomiums zurück, was nicht zuletzt das Sabbatgebot in der Rezeption des deuteronomischen Gesetzes bestätige. Dem widersprechen auch die Gesetze der deuteronomischen Gerichtsordnung und ihre deuteronomistischen sowie post-dtr Rezeptionen. Ausgangspunkt ist das deuteronomische Gebot in Dtn 24,17a »du sollst das Recht eines Fremden und einer Waisen nicht beugen«, das durch die Sozialgebote in Dtn 24,6–25,4 gerahmt wird. Während in den Gesetzen zur Gerichtsordnung in Dtn 16,18–17,13; 19,5–21, die das B undesbuch rezipieren, die Fremden mit den Bedürftigen im Gegensatz zum Bundesbuch in Ex 23,1–8 nicht genannt werden, sind sie deuteronomistisch in Dtn 1,16–17; 10,17f. und in Dtn 27,19 post-dtr wieder integriert worden, was darauf hinweise, dass zwischen dem 7. und 5. Jh. ein »internal displacement« in Israel zu-genommen habe, worauf das Deuteronomium mit verstärktem Rechtsschutz für die Fremden reagiert habe. Eine dritte Gruppe der deuteronomischen Gesetze sind die zur Kult- und Festordnung in Dtn 14,22–29; 16,1–17; 26,1–15, denen in der Studie des Vf. besondere Bedeutung zu­kommt, widersprechen sie doch der These, die Fremden im Gesetz des Deuteronomiums seien Ausländer, die nur so-zial, nicht aber religiös integriert werden sollten (M. A. Awabdy). Gerade der Festkalender in Dtn 16,1–17 und das »kleine ge-schichtliche Credo« in Dtn 26,5b–10 seien Texte, um die exegetische Schlachten geschlagen worden seien, ohne der Verknüpfung von Theologie und Ethik in diesen Texten Aufmerksamkeit zu schenken. Dtn 16,11a.14 wie auch Dtn 14,28 f. bestätigen nach Meinung des Vf.s die rituelle Integration der Fremden in die Familien- und Clanstrukturen Judas, wofür die 6+1-Struktur der Sabbat-Theologie, die Exodusmotivik und das Altargesetz in Dtn 12 den religiösen Horizont lieferten. Die kultische Integration der Fremden schloss, so der Vf. mit P. Altmann (BZAW 424, 186–190), auch ihre Teilnahme am Passa-Mazzotfest mit ein. Auch in Dtn 26,11 erkennt der Vf. die Ethik der Integration, die deuteronomistisch in Dtn 26,5b dadurch noch unterstrichen werde, dass Israel als ger gezeichnet sei. Auch wenn der Fremde »a liminal figure on the cusp of inclusion« sei, werde er doch im Gesetz des Deuteronomiums so weit als integriert verstanden, dass er mit dem »Bruder« rechtlich (Dtn 1,16 f.) und sozial parallelisiert und kultisch in die Gastfamilie integriert worden sei.
Abschließend wendet sich der Vf. der deuteronomistischen und post-deuteronomistischen Rahmung der Gesetze des Deuteronomiums in Dtn 1–11; 27–34 zu. In Dtn 10,12–11,1 gehe es um die Integration des Fremden nicht nur in Familien- und Clanstrukturen, sondern in das Volk Israel als Bundesvolk. So wie JHWH den Fremden liebt, sollen die Israeliten den Fremden in seiner Gastfamilie als Mitglied des Volkes lieben, was impliziert, dass der Vf. Thesen zurückweist, der Vers Dtn 10,19 sei sekundärer Zusatz zu seinem literarischen Kontext, so J. E. R. Kidd (BZAW 283, 78–81), was der Grundlage entbehre, da Dtn 10,12–11,1 insgesamt literarisch spät sei. Auch in Dtn 29,10 gehe es wie schon im Gesetz des Deuteronomiums nicht um Fremde als Ausländer, die außerhalb des Verbandes Israel stehend in den Bund integriert werden sollen. Vielmehr sollen die innerjudäisch Entwurzelten hier wie in Dtn 31,9–13 in die Bundesgemeinschaft integriert werden, indem sie, so in Dtn 31, die Tora hören, lernen und nach ihr gottesfürchtig handeln sollen. Der Rahmen des Deuteronomiums stehe also in Bezug auf die Fremden in ungebrochener Kontinuität mit den Gesetzen, die im Rahmen rezipiert werden, wie der Vergleich von Dtn 31,12a mit Dtn 16,11 zeige. Nur sei in der Rahmung des Deuteronomiums der Bereich der kultischen Integration von der Gastfamilie in den Festgesetzen verstärkt auf das Volk insgesamt erweitert worden. Ein Schlüsseltext ist in diesem Zusammenhang das post-deuterono-mistische Gesetz zur Integration in den q āhāl in Dtn 23,2–9. In der nur synchronen Interpretation des Deuteronomiums von M.  A. Awabdy (a. a. O., 66–83.123–125) dient das Gesetz der Erklärung, wie aus der rein sozialen Integration von Fremden als Ausländer in den Gesetzen des Deuteronomiums in deren Rahmung eine religiöse Integration werden konnte. Auch konnte es bei einer vom Vf. nicht geteilten Frühdatierung von Dtn 23,2–9 zur These kommen, es handle beim Fremden im Gesetz des Deuteronomiums um einen Ausländer, so wieder R. Ebach (BZAW 471, 66–104). Es wäre hilfreich g ewesen, wenn der Vf. Dtn 23,2–9 einer ausführlicheren Exe­gese unterzogen hätte, doch weist er zu Recht darauf hin, dass nach seiner Meinung die ger-Gesetze des Deuteronomiums nicht zu Personen passen, die schon seit drei Generationen im Land leben und als solche nicht mit den personae miserae der Witwen und Waisen parallelisiert werden können. Vor allem aber werde mit der Interpretation des ger als Ausländer im Gesetz des Deuteronomiums der kultischen Integration der Fremden in den Kult- und Festgesetzen in Dtn 14 und Dtn 16 zu wenig Beachtung geschenkt.
Der Vf. hat eine in den Argumenten klar strukturierte, in ihren Ergebnissen überzeugende Studie vorgelegt, die auch darin eine Stärke hat, dass sie die exegetischen Argumente mit solchen der Sozialanthropologie verknüpft. Die internationale Literatur zum Thema ist in der Breite aufgearbeitet und im Für und Wider diskutiert, so dass mit der Monographie insgesamt ein beachtlicher Beitrag zur Deuteronomiumsforschung geleistet worden ist.