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Ausgabe:

Juli/August/2019

Spalte:

739–740

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Autor/Hrsg.:

Brüning, Christian, u. Robert Vorholt

Titel/Untertitel:

Die Frage des Bösen. Perspektiven des Alten und Neuen Testaments.

Verlag:

Würzburg: Echter Verlag 2018. 128 S. = Die Neue Echter Bibel – Themen, 6. Kart. EUR 14,40. ISBN 978-3-429-02172-6.

Rezensent:

Jörg Noller

Der Begriff des Bösen ist nicht nur philosophisch, sondern auch theologisch von zentralem Interesse. Problematisch ist der Begriff deswegen, weil er zum einen überaus normativ, zum anderen nicht klar definiert ist. Die griechische und lateinische Sprache hat für das Böse nur ein einziges Wort: das kakón bzw. das malum. Darunter fallen Phänomene wie körperliche Leiden (das sogenannte malum physicum), aber auch Übel, die moralisch qualifiziert sind (das sogenannte malum morale). Beide Bedeutungen lassen sich nur schwer voneinander trennen, gehen ineinander über oder werden im Kontext von Tun-Ergehens-Zusammenhängen gedacht. Der von Christian Brüning und Robert Vorholt verfasste und in der Reihe »Neue Echter Bibel« erschienene Band besteht aus drei Teilen. Christian Brüning, Mönch und Priester in der Benediktinerabtei Gerleve, widmet sich dem Begriff im Alten Testament, Robert Vorholt, Ordinarius für Exegese des Neuen Testaments an der Universität Luzern, behandelt die Vorkommnisse im Neuen Testament. Ein dritter, synthetisch angelegter Teil rekapituliert pointiert die wichtigsten Ergebnisse und bezieht sie aufeinander.
Der erste Teil zeigt deutlich, dass und wie im Alten Testament das Böse in einem umfassenden Sinne verstanden wird. Es ist auf die Lebenserfahrung des Menschen bezogen, betrifft Niederlagen im Krieg, Tod und Unmoral. Es ist ein Inbegriff desjenigen, was nicht als gut erachtet wird (vgl. 11). Brüning führt dies auf die »ganzheitliche Denkweise des Hebräischen« und seine »synthetische Lebensauffassung« (11) zurück. Das Böse ist ein »relativer Begriff« und ein Böses »an sich« steht nicht im Zentrum (vgl. 12). Anders gestaltet sich die Frage nach dem Bösen, wenn darunter nicht ein Zustand oder ein Ereignis, sondern ein Subjekt verstanden wird. Hierfür hat das Alte Testament zahlreiche Formen und Bezeichnungen, wie etwa feindliche Mächte oder der Tod (hebr. Scheol), der nicht nur eine Macht, sondern auch einen Raum, einen dynamischen »Machtbereich« oder eine »Wirkmacht« bezeichnet, die das Leben des Menschen gefährdet (14). Angesichts der allpräsenten Gefährdung des Lebens widmet sich das Alte Testament besonders der Frage nach dem Verhältnis von Gott und dem Bösen. Das Böse kann in diesem Verhältnis, wie die Sündenfallerzählung zeigt, als eine Bedrohung der Partnerschaft zwischen Mensch und Gott verstanden werden. Der Sündenfall bewirkt nicht nur Entzweiung mit Gott, sondern auch mit der Natur, den anderen Menschen, und dem Menschen mit sich selbst, was sich besonders im Phänomen der Scham zeigt (vgl. 17). Das Böse hat damit eine theologische, anthropologische und kosmologische Dimension. Es ist jedoch kein eigenständiges Prinzip, und es stammt auch nicht aus Gott, sondern aus der Freiheit des Menschen. Schließlich steht die Frage nach der Bewältigung des Bösen im Zentrum des Alten Testaments. Diese Dimension zeigt sich besonders in den Klageliedern, die als ein Ringen mit Gott um eine Antwort verstanden werden können, und ganz besonders im Buch Hiob und seiner »Theodizee« (vgl. 50 f.)
Der zweite Teil legt dar, dass und wie im Neuen Testament das Problem des Bösen in einem christologischen Kontext relevant wird. Es wird zu einer »kontrastierenden Verstehensfolie« (63), vor deren Hintergrund sich das Heilshandeln Jesu deutlich abzeichnet. Gegenüber dem Alten Testament rücken nun auch Dämonen und die Figur des Teufels stärker ins Zentrum. Der Teufel ist der »Verderber« und »Versucher« des Menschen, der ihn von Gott entzweien möchte und bereits in der Erzählung des Sündenfalls am Werk war (86). Doch wird der Teufel nicht derart gefasst, dass er als kosmisches Prinzip mit Gott in Art eines Dualismus um die Macht ringt. Denn die Perspektive des Neuen Testaments ist wesentlich auf die Erlösung der Menschheit durch Jesus Christus gerichtet. Das Böse dient dazu, dem Menschen seine Erlösungsbedürftigkeit bewusst zu machen (87). Besonders im Rahmen der paulinischen Theologie rückt das Böse in eine Nähe zum Phänomen der Sünde. Die Sünde erscheint als eine Macht, durch die der Mensch mit sich selbst nicht mehr identisch ist und unfrei wird. Nur der Glaube an Jesus Christus kann den Menschen aus dieser Verstrickung befreien (106).
Der dritte und letzte Teil des Buches fasst die wichtigsten Ergebnisse zusammen und ist thesenfreudig gehalten. Das Böse sei »keineswegs eine ›wesentliche Frage des Glaubens‹« (113). Auch finde sich im Alten Testament keine Unterscheidung zwischen moralischem und physischem Übel (113). Sicherlich wird das Böse nicht als ein Prinzip oder eine Substanz gedacht und Gott dualistisch entgegengestellt. Aber es bildet doch eine Art zentrale Hintergrundfolie, vor der sich Gottes Heilsmacht, insbesondere das Handeln Jesu Christi, abzeichnet. Sicherlich finden wir in der Bibel auch keine streng terminologische Unterscheidung zwischen dem malum physicum und dem malum morale. Aber gerade die Sündenfallerzählung zeigt, dass die verschiedenen Formen des Bösen durchaus als Momente gedacht und aufeinander bezogen sind, etwa dann, wenn die Gesetzesübertretung im Sündenfall physische Leiden zur Folge hat.
Das Buch bietet einen systematisch geordneten Überblick über die verschiedenen Arten des Bösen im Alten und Neuen Testament. Es sei jedem empfohlen, der einen textnahen Zugang zu diesem komplexen Thema sucht.