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Ausgabe:

Juni/2019

Spalte:

655–657

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Müller, Gerhard, Kardinal, Laurenţiu (Streza), Metropolit von Siebenbürgen, Henkel, Jürgen, u. Hermann Schoenauer [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Heilige und Heiligenverehrung in Ost und West. Sfinţii şi cultul sfinţilor ȋn Răsărit şi Apus.

Verlag:

Sibiu u. a.: Schiller Verlag 2018. 334 S. = Deutsch-Rumänische Theologische Bibliothek, 8. Geb. EUR 16,00. ISBN 978-3-946954-28-6.

Rezensent:

Adolf Martin Ritter

Siebenbürgen genießt seit Langem – nicht ohne Grund – den Ruf einer »Pionierregion der Religionsfreiheit« (U. A. Wien) und einer bemerkenswerten ökumenischen Offenheit. Dass das jedoch nicht uneingeschränkt gilt, verrät selbst dieses Buch, schon dadurch, dass unter den Herausgebern wie den Autoren des Bandes ausschließlich römisch-katholische, aber keine unierten oder »griechisch-katholischen« Theologen genannt werden und als katholisches Pendant zum orthodoxen Metropoliten von Siebenbürgen (Ardeal) kein hochrangiger Rumäne, sondern ein namhafter und einflussreicher deutscher Kardinal aus Rom erscheint; der rumän ische Protestantismus hingegen wird unter Herausgebern wie Autoren ausschließlich durch Siebenbürger Sachsen, also Luthe-ra-ner, repräsentiert. Zu den zu vermutenden Gründen später mehr.
Der Band geht zurück auf eine internationale ökumenische Konferenz in der Evangelischen Akademie Siebenbürgen Hermannstadt/Sibiu, Mitte Mai vergangenen Jahres, und behandelt ein Thema, das für die Leserschaft dieser Zeitschrift eher von marginaler Bedeutung sein dürfte. In rumänischer Perspektive aber sieht das ganz anders aus. Sowohl für orthodoxe (und wohl auch katholische) als auch für siebenbürgisch-sächsische Christen und erst recht für Reformierte der ungarischsprachigen Minderheit in Rumänien werden die theologischen Differenzen zwischen ihren Kirchen in Geschichte und Gegenwart ganz überwiegend in nur wenigen Bereichen deutlicher erkennbar als bei der Frage der Hei ligen und ihrer Verehrung. Umso wichtiger, dass man sie jetzt nicht nur, wie in verschiedenen bilateralen Dialogen, gestreift, sondern, im Dreiergespräch, selbst zum Thema gemacht und die Möglichkeit einer Verständigung im Sinne »versöhnter Verschiedenheit« ausgelotet hat, mit Ergebnissen, die hoffnungsvoll stimmen.
Ein erster Teil (13–96) behandelt, auf hervorragendem Niveau, das Thema »Theologie und Heiligenverehrung im ökumenischen Vergleich« (sc. der katholischen, orthodoxen und evangelischen [=lutherischen] Positionen); Referenten sind die beiden genannten Eminenzen G. L. Müller und L. Streza sowie der Göttinger Patristiker und mit dem Thema bestens vertraute P. Gemeinhardt. Folgen in einem zweiten Teil (97–189) ebenfalls drei Referate, nun zu biblischen, dogmatischen und historischen Aspekten, die streckenweise in Teil I Behandeltes wiederholen, aber auch neue Akzente setzen wie besonders das des orthodoxen Priesters und Universitätsdozenten G. D. M οş (Cluj-Napoca/Klausenburg), der über »Aktuelle Herausforderungen und mögliche Neuformulierungen« in der orthodoxen Lehre von Heiligkeit und Heiligen reflektiert und dabei der von P. Gemeinhardt vorgetragenen evangelischen Perspektive recht nahe kommt. In einem dritten Teil (191–246) werden kirchenrechtliche Aspekte fachmännisch verhandelt und die unterschiedlichen Verfahren der römisch-katholischen und der orthodoxen Kirche bei der Kanonisierung von Heiligen dargestellt.
Die Referate des Schlussteils (247–324) endlich wenden sich der Zeitgeschichte und Gegenwart zu; entsprechend rückt das Martyrium in den Mittelpunkt, das ja in dem katastrophenreichen 20. Jh., auch für Protestanten, zu ungeahnter Aktualität gelangte. Damit kehrt die Heiligenverehrung gewissermaßen zu ihren Ursprüngen in der Antike zurück. Ausgehend von dieser Fokussierung entfaltet das letzte Referat des Bandes (289–324), verfasst von dem katholischen Theologen E. Nass (Fürth), eine »Hagiologische Ethik für gewinnend einladende Christlichkeit« (zu Recht angekündigt als ein »katholisch-ökumenischer Ansatz« [289–324]). Im selben ökumenischen Geist berichtet zuvor B. Pelster, Referent für Öffentlichkeitsarbeit im deutschen Zweig des (katholischen) Werkes »Kirche in Not« (München), über »Märtyrer der Christenverfolgung, Heilige der Gegenwart. Aktueller Ausblick« (263–288), beginnend mit dem gegenwärtigen Wüten der Terrormiliz »Islamischer Staat« in Ägypten (trotz Militärdiktatur seit 2013/2014). Den Schlussteil er­öffnet der dialogbewährte emeritierte Kirchenhistoriker am evangelisch-theologischen Departement der Universität Sibiu, H. Pitters (P.), mit einem bewegenden Bericht über »Das ›Rumänische Martyrologium‹ (2007) als Ausdruck eines ökumenischen Märtyrer gedenkens in Rumänien« (249–262). Dies Referat muss ein wenig ausführlicher besprochen werden, zumal sich von da aus eine Brücke schlagen lässt zum Beginn dieser Rezension.
An der Genese dieses Martyrologiums selbst beteiligt, schildert P., aspektenreich und faktengesättigt, den mühsamen Prozess, der, angestoßen durch Johannes Paul II. bei Gelegenheit seines Pas-to-ralbesuches in Rumänien (1999), schließlich zur Überreichung einer umfangreichen Dokumentation von über 800 Seiten an dessen Nachfolger im September 2007 führte. An der Erarbeitung des Martyrologium war, heißt es, die griechisch-katholische Kirche »intensiv« beteiligt, »und es war vorgesehen, dass ihrerseits etwa 150 Lebensbilder für das gemeinsame Gedenkbuch erstellt werden«. Allein, bei Redaktionsschluss waren diese Vorarbeiten »noch nicht druckreif fertiggestellt, so dass dies wertvolle Material nicht ins Buch aufgenommen werden konnte«, ein Schicksal, das auch »die 14 Märtyrer der ungarischen reformierten Kirche« ereilte (253). Dass es, selbst in Rumänien, auch anders geht, falls der entsprechende Wille vorhanden ist, dafür ist das von uns hier zu besprechende Buch der beste Beweis: alle Texte der deutsch-rumänischen Publikation sind, rechtzeitig abgeliefert, in die jeweils andere Sprache übersetzt und perfekt lektoriert, binnen wenig mehr als sechs Monaten im Druck erschienen! Vielsagend heißt es daher bei P. (eine Seite vor dem eben Zitierten), es bleibe »nicht ausgeschlossen, dass auch andere, tiefer liegende Gründe dazu beigetragen haben, dass die Stoffsammlung der griechisch-katholischen und der ungarisch-reformierten Kirche fehlen, was alle Beteiligten be­dauern«.
Immerhin kann P. darauf hinweisen, dass im Anhang des Martyrologium u. a. der Vortrag des griechisch-katholischen Bischofs A. Mesian zu finden ist, den er auf dem 1. Ökumenischen Kirchentag in Berlin (2003) über das Thema hielt: »Zeugnisse über Märtyrer des 20. Jahrhunderts« (773–782); darin werde am Schluss en detail die Situation in Rumänien, speziell auch im Blick auf die griechisch-katholische Kirche, geschildert, die 1948 unter staatlichem Druck aufgelöst worden war, deren Glieder schwerster Verfolgung ausgesetzt waren und deren kirchenleitender Klerus fast ganz ausgelöscht wurde (253). Zu einem wirklichen »healing of memories« ist also der Weg auch im rumänischen Siebenbürgen noch weit.