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Ausgabe:

Juni/2019

Spalte:

623–625

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Lorenz, Ursula

Titel/Untertitel:

Umweltethik – ein evangelisch-katholischer Vergleich.

Verlag:

Göttingen: V & R unipress 2013. 428 S. Geb. EUR 65,00. ISBN 978-3-8471-0084-3.

Rezensent:

Friedrich Lohmann

Die Besprechung des vorliegenden Buches erfolgt spät, aber sie soll der Leserschaft der ThLZ nicht vorenthalten bleiben. Denn zum einen sind wissenschaftlich-theologische Bücher zur Umweltethik nach wie vor selten, zum anderen entwickelt Ursula Lorenz eine spannende und betrachtenswerte These, die über die Ethik hinausgeht und von fundamentaltheologischem und ökumenischem In­teresse ist.
Das liegt daran, dass keine materialethischen Fragen nach dem richtigen Handeln im Blick auf die nichtmenschliche Umwelt im Fokus dieser von der katholisch-theologischen Fakultät der Universität Regensburg angenommenen Dissertation stehen, sondern die Frage, auf welcher Basis in wichtigen Entwürfen der Umweltethik evangelischer und katholischer Provenienz das umweltethische Ur­teil erfolgt. Gefragt wird nach dem »vertretenen Begründungsansatz« und den die Wahl des jeweiligen Ansatzes bestimmenden »dogmatischen Aussagen« (42). Näherhin sind es, wie die Vfn. herausarbeitet, bestimmte Menschenbilder, die im Hintergrund stehen (z. B. 297). Das gilt – aus fundamentalethischer Sicht kann das nicht oft genug hervorgehoben werden – für jede ethische Aussage. Es gilt aber ganz besonders in der Umweltethik. Denn: »Je nachdem, welche Position man dem Menschen einräumt, desto mehr wird er in die Natur und in die ihn umgebenden Lebewesen eingeordnet bzw. aus der Natur herausgehoben« (14). Die Vfn. spricht geradezu von »anthropologischen Ursachen für die vertretenen umweltethischen Begründungsansätze« (327). Diese Frageperspektive verbindet sie mit der Perspek tive eines ökumenischen »Vergleiches« (43). Dabei zeigt sich, dass »die protestantische Theologie im Bezug auf den ethischen Grund-ansatz eine ausgeprägte nichtanthropozentrische Schwerpunktbildung [kennt]« (283) und »biozentrische Tendenzen« (318) offenbart, während auf katholischer Seite der Umweltethik »mehr oder weniger durchgehend und einheitlich eine relative Anthropozentrik bzw. eine Anthroporelationalität vertreten wird« (296).
Dieses Ergebnis des Vergleichs wird von der Vfn. wie einleitend angekündigt in Verbindung gebracht mit den jeweiligen Aussagen zur Stellung des Menschen in der Schöpfung. Dabei stellt sie fest – und dies ist die eigentlich interessante These des Buches –, dass den unterschiedlichen Akzentsetzungen in der Umweltethik unterschiedliche Sichtweisen auf die Bedeutung der Gottebenbildlichkeit des Menschen, seine eventuelle Sonderstellung innerhalb der Schöpfung und die fortlaufende Wirkung der Sünde zugrunde liegen, die tiefe konfessionelle Wurzeln haben. Denn die umweltethischen Variationen sind Ausfluss von dogmatischen Differenzen, die im ökumenischen Gespräch bekannt sind. (a) »Die ka­tholische und evangelische Sicht des Personbegriffs würden insofern divergieren, dass in katholischem Denken stärker ein metaphysischer oder substantialer, in protestantischer Theologie ein relationaler zugrunde gelegt wird« (371). (b) »In der protestantischen Deutung scheine also insgesamt die menschliche Sonderstellung in der Schöpfung zurückgenommen. In den Vordergrund tritt die Frage nach dem Verhältnis von Gottebenbildlichkeit und Sünde. […] Nach katholischer Lehre wird dagegen im Allgemeinen die menschliche Natur als verletzt angesehen, jedoch ohne dass die Fä­higkeit der menschlichen Vernunft, das sittlich Gute zu erkennen, ganz verlorengegangen ist. […] Das katholische Verständnis er­laubt somit die deutlichere Hervorhebung der Sonderstellung des Menschen und damit des Menschen als sittlichen Wesens« (372). Zu­sam­men mit weiteren Kontroverspunkten (Ethikauffassung, Freiheitsverständnis, Offenheit für internen Pluralismus) sieht die Vfn. in diesen Differenzen eine Erschwernis dafür, dass beide große Kirchen in der Umweltethik mit einer Stimme sprechen. Die konfessionellen Un­terschiede seien aber auch nicht überzubewerten (370: »Von kontradiktorischen Widersprüchen in den grundlegenden Aus-sagen über den Menschen ist somit nicht zu sprechen.«), und insbesondere über das geteilte »Konzept der Nachhaltigkeit« (385) sei das notwendige gemeinsame Engagement in der Umweltethik möglich.
Auch wenn das Buch somit mit einer versöhnlichen Note schließt, liegt seine Provokation in der These einer nach wie vor unversöhnten Verschiedenheit zwischen den Konfessionen hinsichtlich des in der Umweltethik zugrundegelegten Menschenbilds. Diese These wird aus Sicht des Rezensenten von der Vfn. überzeugend begründet, auch wenn im Einzelnen manche Anfrage an die vorliegende Untersuchung zu stellen ist.
(a) Ausgewählt wurden allein deutschsprachige Theologen – Schweitzer, Gräßer, Altner, Daecke, Moltmann, Honecker, Körtner, Huber auf der einen und Auer, Korff, Irrgang, Halter, Virt, Vogt, Münk, Höhn auf der anderen Seite. Das ist für eine Dissertation eine ganze Menge, und die Beschränkung auf den deutschsprachigen Bereich wird einleuchtend damit begründet, dass ein angemessener Vergleich einen gemeinsamen Kontext voraussetzt (32 f.). Wenn man allerdings auf dieser beschränkten Basis auf umwelttheologische Denkvoraussetzungen in dem Protestantismus und dem Katholizismus schließt, dann sind Fehlschlüsse vorprogrammiert. Das scheint mir der Fall zu sein einerseits hinsichtlich der Relevanz Albert Schweitzers, dessen Einfluss auf die gegenwärtige protestantische Umweltethik die Vfn. aufgrund des von ihr eingesehenen Materials überschätzt (319–327). Hätte sie z. B. Larry Rasmussen, Sigurd Bergmann oder auch Karl Barth – seine Rede von der »Würde der Kreatur« war nachgewiesenermaßen vorbildlich für die Aufnahme dieser Formel in die Schweizer Bundesverfassung von 1999 – miteinbezogen, dann hätte sie die biozentrischen Tendenzen im Protestantismus nicht nur auf Schweitzer und die Prozessphilosophie zurückgeführt (vgl. 323, Anm. 1332). Andererseits g ibt es im Katholizismus schon seit Langem auch biozentrische Vorstellungen, die bei der Beschränkung auf deutschsprachige Universitätstheologen allerdings auf der Strecke geblieben sind (vgl. 284, Anm. 1176).
(b) Dennoch ist die Untersuchung, gerade als Momentaufnahme des Standes römisch-katholischer Umweltethik deutscher Sprache um die Jahrtausendwende, sehr aufschlussreich. Sie zeigt, dass der Ballast einer Vorstellung der Gottebenbildlichkeit, die diese in der spezifischen »Geistnatur« (355) des Menschen festmachen will, die ihn von allen anderen Geschöpfen ontologisch abhebt, im Katholizismus weiterhin nachwirkt, obwohl dieses Konzept eher ein Relikt der altkirchlich-mittelalterlichen Fusion von Theologie und antiker Philosophie als ein genuin theologischer Gedanke ist – jedenfalls dann, wenn ihm dominierende Relevanz für das menschliche Umweltverhältnis zugeschrieben wird. Die Reformatoren haben den bestimmenden Einfluss von Geist und Vernunft auf das menschliche Wesen relativiert, indem sie den Affekten stärkere Bedeutung zumaßen und damit zugleich den Menschen den übrigen Geschöpfen annäherten. Darin liegt ihr eigentlicher Beitrag in der Geschichte der christlichen Anthropologie, aus dem sich dann erst sekundär die Sündenvorstellung ergibt, die mit dem Protestantismus üblicherweise verbunden wird. Die Vfn. folgt gängigen Narrativen, wenn sie das simul iustus et peccator als (bloße) Betonung der »bleibende[n] Fehlerhaftigkeit des Menschen« charakterisiert (343). Der reformatorischen Anthropologie wird sie da­mit nicht gerecht, und zwar gerade nicht hinsichtlich des Punktes der Affektbestimmtheit – eine zweite Anfrage an die vorliegende Untersuchung.
(c) Es liegt in der Natur einer vergleichenden Studie, Unterschiede unter Umständen überzubetonen. Die Vfn. unterliegt dieser Gefahr, wenn sie – abgesehen vom Auslassen biozentrischer Tendenzen auch im Katholizismus, s. o. – die anthropologischen Differenzen zu Problemen für die ökumenische Zusammenarbeit in umweltethischen Fragen hochstilisiert. Wie die Vfn. selbst hervorhebt, gibt es schon eine ganze Reihe konfessionsübergreifender Stellungnahmen in der Umweltethik. In den konkreten ethischen Folgerungen spielt es keine entscheidende Rolle, ob auf eher biozentrischer oder anthroporelationaler Grundlage argumentiert wird. Insofern löst der abschließende Hinweis der Vfn. auf die »ökumenische Tauglichkeit« (381) der Kategorie der Nachhaltigkeit ein Problem, das es gar nicht gibt.
Erst nach der Studie der Vfn. ist die umweltethische Enzyklika »Laudato Si’« erschienen. Mit ihrem Anschluss an die Schöpfungstheologie des Franz von Assisi, mit ihrer Betonung der relationalen Grundstruktur des Kosmos und mit ihrer wiederkehrenden Rede von der universalen »Geschwisterlichkeit« im Widerspruch zu einem »despotischen« Anthropozentrismus zeigt sie auf ihre Weise, dass die von der Vfn. herausgearbeiteten konfessionellen Differenzen nicht das letzte Wort christlicher Umweltethik sein müssen.