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Ausgabe:

Juni/2019

Spalte:

601–603

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Bauer, Joachim, u. Michael Haspel [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Jakob Strauß und der reformatorische Wucherstreit. Die soziale Dimension der Reformation und ihre Wirkungen.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2018. 320 S. m. Abb. Kart. EUR 29,00. ISBN 978-3-374-05150-2.

Rezensent:

Martin H. Jung

Sozialgeschichtliche Fragestellungen wurden von der Reformationsforschung in den letzten Jahren, anders als früher, kaum mehr verfolgt. Der auf eine Eisenacher Tagung im Jahre 2016 zurückgehende Sammelband über Strauß bildet hier eine erfreuliche Ausnahme. Acht Aufsätze, verfasst von Historikern und Theologen, thematisieren, wie der Titel anzeigt, erstens den lokalen Reformator Strauß, zweitens den von ihm ausgelösten überregionalen Streit um die Berechtigung des Zinsnehmens und Zinsgebens, drittens grundsätzliche Fragestellungen zur »soziale[n] Dimension der Reformation«, viertens damit im Zusammenhang stehende biblische und aktuelle Perspektiven und fünftens, worauf der Titel nicht hinweist, die lokale und regionale Reformationsgeschichte Eisenachs in ihrer Verbindung mit dem kursächsischen Hof in Weimar.
Jakob Strauß stammte aus Basel, war Dominikaner, hatte in Freiburg im Breisgau studiert und wirkte zunächst in Hall in Tirol, wo er 1521 mit lutherischen Predigten auffiel und Anstoß erregte (20). Sein weiterer Weg führte ihn zunächst nach Wertheim und dann, 1523, nach Eisenach. 1525 ging er nach Süddeutschland und fand eine Anstellung in Baden, wo er zwischen 1526 und 1533 verstorben sein muss (30). Strauß wurde, wie die meisten Reformatoren im zweiten Glied, von der Forschung bislang kaum beachtet. Die einzige Monografie über ihn (Hermann Barge) stammt aus dem Jahre 1937. Von den beiden Herausgebern wird er zu Recht als »eigenständige[r] Reformator« gewürdigt (9), der auch sicher weitere Beachtung verdient hat, auch wegen seines späteren Auftretens im Abendmahlsstreit, wo er für Luther Partei ergriff, obwohl er sich Luther zuvor im Kontext des Bauernkriegs zum Gegner gemacht hatte (29). Unklar ist jedoch, ob ihm bekannt war, dass Luther seine Vertreibung aus Eisenach gefordert hatte.
Das Thema »Wucher« – konkret gemeint damit war das Nehmen von Zinsen insbesondere bei der Geldleihe – war im 16. Jh. im Kontext des sich entfaltenden Handels hoch aktuell. Luther war be­kanntlich ein Anhänger des alten kirchlichen Zinsverbots, sein theologischer Hauptgegner Johann Eck dagegen wollte Zinsen er­lauben. Strauß kritisierte nicht nur das Zinsnehmen, sondern kritisierte auch diejenigen, die Zinsen bezahlten, und bezeichnete auch das Zinsgeben als Sünde. In der Folge stellten tatsächlich Schuldner ihre Zahlungen ein. Luthers Position zum Thema stellt Stefan Michel dar und zeigt, wie die Thematik auch im Luthertum des späten 16. sowie des 17. Jh.s noch virulent war. Eine enge Beziehung gab es auch zwischen dem Wuchervorwurf und der Judenfeindschaft des späten Mittelalters und der Frühen Neuzeit. Fritz Backhaus zeigt auf, wie der »Wuchertopos« zu einem Stereotyp der »antijüdischen Polemik« wurde (125). Interessant ist, dass bei Luther der Wuchervorwurf in seinen antijüdischen Spätschriften zentral, ja beherrschend ist, in seinen Wucherschriften jedoch die »Juden nicht vor[kommen]« (127).
Die »soziale Dimension der Reformation« im Allgemeinen thematisiert insbesondere Siegrid Westphal und spricht explizit, schon im Titel ihres Beitrags, von der »Soziale[n] Frage« der Reformationszeit (50), damit eine bislang für das 19. Jh. verwendete Begrifflichkeit auf das 16. Jh. übertragend. Es ist zuletzt modern geworden, lange eingebürgerte Begrifflichkeiten ihres Sitzes im Leben zu entkleiden und auf andere Zeiten und Kontexte anzuwenden, zum Beispiel auch Luthers Judenfeindschaft als »Antisemitismus« zu bezeichnen. Es wäre darüber zu diskutieren, ob man von einer »Sozialen Frage« des 16. Jh.s sprechen kann und soll. Westphal un­tersucht die demografische und wirtschaftliche Entwicklung insbesondere mit Blick auf die Bauern. Sie hebt die großen regionalen Unterschiede hervor, die sich in den regional unterschiedlichen Formulierungen der zwölf Bauern-Artikel spiegeln, und kommt, unter Rückgriff auf die einschlägigen Forschungen Peter Blickes, für Eisenach und den Thüringer Raum zu dem Ergebnis, dass nicht die »eigentliche[n] Finanzgeschäft[e]« Probleme erzeugten, sondern die Verschuldung, die aus der »Nichtbezahlung der vereinbarten Jahresrenten« folgte (63).
Zu den »Wirkungen« der Reformation im sozialen Bereich rechnet Maximilian Kalus, dessen Beitrag sich der »aktuellen Krise der globalen Finanzwirtschaft« zuwendet (139), die zeitlose »Forderung nach einer gerechten Gesellschaft« (164). Rainer Kessler liefert die biblische Fundierung, indem er sich Lk 6,27–35, der Feldrede, zuwendet und den von Jesus aufgestellten »Kriterien« (die Feindesliebe und das Aufsprengen von Gruppengrenzen) bleibende Gültigkeit zu-spricht. Konkret folge daraus, dass »die Raubtiermentalität« und der »Gruppenegoismus im Wirtschaftsleben« zu verurteilen und zu überwinden seien (172).
Neben Weimar, Allstedt und Orlamünde war Eisenach ein frühes Zentrum der Reformation in Thüringen. Schon vor der An­kunft Straußens hatte die Reformation in dem 3000–4000 Einwohner zählenden Ort mit seinen zahlreichen Kirchen und Klöstern Fuß gefasst. Obwohl die Stadt ihre Bedeutung als Residenzstadt verloren hatte, gab es enge Beziehungen zum Hof in Weimar. Dagmar Blaha schildert die konkrete Zusammenarbeit zwischen den Hof- und den Lokalbeamten. Thomas T. Müller untersucht unter anderem die »Sakraltopographie Eisenachs am Vorabend der Reformation« (18) und fragt, ob die diffamierende zeitgenössische Bezeichnung als »Pfaffennest« berechtigt war. Er kommt zu dem Ergebnis, dass etwa 200 Personen dem geistlichen Stand angehörten, also (nur) »5 bis 7 Prozent der Bevölkerung« (19). Strauß brachte Unruhe nach Eise-nach, weil er aus reformatorischen Idealen konkrete Konsequenzen ableitete und »seine reformatorischen Gedanken […] in und mit seiner Gemeinde umsetzen wollte« (107). Letztlich ist er damit aber gescheitert. Auf Strauß folgte Thomas Neuenhagen und später der dann sehr erfolgreich wirkende Justus Menius.
Neben den acht Aufsätzen und einem einleitenden, von den beiden Herausgebern verfassten Überblick über den Inhalt und den Ertrag des Bandes bietet er auch die beiden zentralen Schriften Strauß’ gegen den Wucher aus den Jahren 1523 und 1524 als Reprints und in einer parallel gedruckten, leichter lesbaren und leichter verständlichen Übertragung in eine etwas modernere Sprachgestalt, an-gefertigt von Carlies Maria Raddatz-Breidbach. Besser wäre es gewesen, tatsächlich einen modernen, heute jedem verständlichen Text zu bieten, den man mit Gemeindegliedern und Schülern lesen könnte. Der Fachmann kann gleich den Originaltext in Frakturschrift lesen, er profitiert allenfalls von den hilfreichen Anmerkungen, die das eine oder andere erläutern und eigenes Nachschlagen ersparen.
Ein »Nachwort« ohne Verfasserangabe, sicher ebenfalls verfasst von den beiden Herausgebern oder auch nur von Michael Haspel, ordnet den Band ein in eine Reihe von Publikationen der Evangelischen Verlagsanstalt in den Jahren 2012–2018 – alle mitherausgegeben von Michael Haspel –, die alle die Reformation und ihre Wirkungen bis in die Gegenwart hinein thematisieren.
Mit Registern wurde der Band leider nicht ausgestattet. Ein Personenregister wäre für die weitere Verwendung sicher hilfreich und leicht erstellbar gewesen.