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Ausgabe:

Juni/2019

Spalte:

589–591

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Alkier, Stefan, u. Thomas Paulsen [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Apollon, Artemis, Asteria und die Apokalypse des Johannes. Eine Spurensuche zur Intertextualität und Intermedialität im Rahmen griechisch-römischer Kultur.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2018. 352 S. = Kleine Schriften des Fachbereichs Evangelische Theologie der Goethe-Universität Frankfurt am Main, 9. Kart. EUR 28,00. ISBN 978-3-374-05690-3.

Rezensent:

Thomas Witulski

In diesem von S. Alkier und T. Paulsen herausgegebenen Aufsatzband geht es um »eine Spurensuche zur Intertextualität und Intermedialität im Rahmen griechisch-römischer Kultur«, d. h. um den Versuch, das bestimmten und konkreten Namen, Figuren und Szenen aus dem letzten Buch des Neuen Testamentes vor dem Hintergrund der hellenistischen Kultur und Religiosität inhärente potentielle Sinnpotential zu entschlüsseln.
Im Anschluss an ein Vorwort skizzieren die beiden Herausgeber in einer längeren Abhandlung, die den Titel »Der kommende Gott und die Götter der Anderen« trägt, den hermeneutischen und zu­gleich auch den methodischen Rahmen, innerhalb dessen sich die folgenden materialen Beiträge bewegen. Im Rahmen dieser Ab­handlung diskutieren sie im Einzelnen zunächst philologische, literaturwissenschaftliche und theologische Beobachtungen zur Komposition der Apk und, daran anschließend, dann Konzepte, Skizzen und Desiderate neutestamentlicher Intertextualitätsforschung, um schließlich in Sonderheit die Gottheiten Apollon, Artemis, Asteria, Hades, Thanatos, Isis, Ge und Iris und deren jeweiliges Darstellungs- und Sinnpotential als intertextuellen Interpretationshintergrund der Apk in den Blick zu nehmen.
Die folgenden materialen Beiträge werden eingeleitet von einer Miszelle von S. Dittmann, der die in der Apk belegten Eigennamen auflistet und darauf hinweist, dass er zumindest in einigen Fällen eine mit der Nennung des jeweiligen Eigennamens intendierte Evokation der entsprechenden paganen Gottheit durchaus für möglich halte. Auf den Beitrag Dittmanns folgt ein Aufsatz von N. Haas; sie untersucht die in der Apk sichtbar werdenden Grammatikverstöße und versucht, diese intertextuell auszuwerten. Dabei arbeitet sie heraus, dass der Apokalyptiker grammatikalische Inkorrektheiten gezielt verwende, um damit die Aufmerksamkeit seiner Rezipienten auf die auf der inhaltlichen Ebene verhandelten Sachverhalte zu lenken. Dass dies durchaus der antiken rhetorischen Theorie, so wie sie etwa Quintilianus beschreibt, entspricht, wird, wiewohl dies die Argumentation der Vfn. nicht unerheblich zu stützen vermöchte, allerdings nicht erwähnt. Im Anschluss daran stellt B. Böhm einen Bezug zwischen den in der Apk dargestellten Visionen und zeitgenössischen Münzbildern her. Böhm stellt fest, »dass eine Reitergottheit, die eine Waffe zum Schutz und zur Strafe trägt, und eine geflügelte Göttin, die Strafgewalt besitzt, den Menschen in den Gemeinden, an die sich die Sendschreiben der Apokalypse richten, bekannt« (180) gewesen seien und jenen als interpretatorische Folie für ihre Auslegung von Apk 6 und Apk 16 gedient hätten. D. Blauth widmet sich in seinem Aufsatz der in Apk 8 und Apk 9 greifbaren Darstellung eines herabfallenden Sterns. Er untersucht die Darstellung des Asteria-Mythos bei Hesiodos, Kallimachos und Apollodoros und folgert aus diesen, dass der in Apk 8,10; 9,1 dargestellte herabfallende Stern auf die Titanidin Asteria weise, was wiederum heiße, dass innerhalb der Darstellung Apk 8 f. ein intertextueller Bezug zu den göttlichen Zwillingen Artemis und Apollon gegeben sei. Am Ende seines Aufsatzes weist Blauth darauf hin, dass die seinem Beitrag zugrundeliegende »Annah-me einer produktionsorientierten Intertextualität [...] fundierte Kenntnisse der griechischen Mythologie beim Autor der Johannesapokalypse voraus[setze]« (190), eine Bemerkung, die hermeneutisch wegführt von einer im Rahmen der Apk-Interpretation der Gegenwart immer wieder zu beobachtenden, in den Augen des Rezensenten keinesfalls sachgemäßen rezeptionsästhetischen Engführung hin zu einer – erneuten – Einbeziehung einer produktionsästhetischen Perspektive. J. Waller bezieht die in der Apk vor-liegende Darstellung des fallenden Sterns auf die Apotheose des Caesar, wobei er die Darstellung von P. Ovidius Naso, Metamorphosen XV 745–870 mit Apk 9,1 vergleicht. Waller kommt zu dem Ergebnis, »dass Johannes die Erzählung der Apotheose Caesars bei Ovid in seiner Apokalypse anklingen lassen bzw. sie bewusst ins Gegenteil verkehren könnte« (210). Im Kontext der Darstellung Wallers hätte ein Hinweis auf die neuestens von S. J. Wood auf die Apk bezogene Kategorie des ›alter-imperial paradigm‹ nicht geschadet, mit dem er seine These argumentativ hätte unterfüttern können, ein Desiderat, dem allerdings auf der Basis der Darstellung Wallers nun erheblich leichter abgeholfen werden kann. In einem zweiten Beitrag widmet sich S. Dittmann nun der Rolle und der Funktion der Darstellung der Skorpione in der Apk. S. E. diene »die Erwähnung der Skorpione in Apk 9 als Bild des Schre-ckens […], das semiotisch auf vielfache Weise gedeutet werden kann« (228). Aus dieser Feststellung leitet Dittmann die Folgerung ab, dass »die Mehrdeutigkeit der Zeichen, die hier am Beispiel des Skorpions dargelegt wurde, […] auf die gesamte Fülle sprachlicher Bilder in der Johannesapokalypse übertragbar« (228) sei. An dieser Stelle erlaubt sich der Rezensent die Frage, ob die – hier recht ra-di kal und mit einem allgemeingültigen Anspruch formulierte – Annahme einer solchen potentiellen Mehrdeutigkeit sich auch unter Einbeziehung einer produktionsästhetischen Perspektive aufrechthalten lässt. Auf Dittmann folgend fragt T. R. B. Gottschalk nach dem intertextuellen Sinnpotential der Pferde- und Reitermotive in der fünften und der sechsten Posaunenvision. Ihm zufolge sei »das Motiv von kulturfeindlichen und rohen, zu einem Wesen verschmolzenen Einheiten in der Apk mit hoher Wahrscheinlichkeit einerseits aus der mythologischen Gestalt der Kentauren, andererseits aus der zeitgenössisch realen Bedrohung durch die Parther hervorgegangen« (239). Y. Schnitzspahn untersucht die literarische Funktion der Darstellung der Figur des Adlers zwischen den einzelnen Posaunenvisionen; er interpretiert dieselbe als einen Diener des Zeus oder womöglich auch als die Gottheit selbst. K. Pellini schließlich stellt einen intertextuellen Zusammenhang zwischen den Mischwesen in der fünften Posaunenvision und der Kirke-Geschichte her und bezieht zu diesem Zweck die Darstellung in Apk 9 auf Homeros und seine Darstellung in Od. X 210 ff.; konkret sieht sie eine intertextuelle Verbindung von Apk 9,7–9 zu Od. X 239. Ein Verzeichnis von mit der Apk in engerer oder weiterer Verbindung stehender Literatur rundet diesen Band ab.
Fazit: Jenseits der – in der wissenschaftlichen Forschung immer gegebenen – Tatsache, dass einzelne der in diesem Aufsatzband herausgestellten Forschungsergebnisse eher überzeugen als an-dere, jenseits auch der Tatsache, dass sich neben dem intertextuell geprägten auch noch andere Ansätze zur Interpretation der neutes-tamentlichen Apk denken lassen, vermag dieser Aufsatzband die Apk-Forschung in den Augen des Rezensenten in drei Hinsichten zu befruchten: (a) Er erschließt womöglich in der Apk-Forschung noch nicht oder aber nicht ausreichend berücksichtigtes religionsgeschichtliches Material. (b) Er entwickelt das Konzept der Intertextualität weiter und zeichnet dessen Eckpunkte in wünschenswerter Deutlichkeit nach. (c) Der – nach Ansicht des Re zensenten in der Forschung schon totgesagte – Gedanke der Produktionsästhetik wird wieder zum Leben erweckt. Den beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern ist mit diesem Aufsatzband ein interessantes und neue Perspektiven entwickelndes Werk gelungen, mit dem sich zu beschäftigen in jedem Falle lohnt.