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Ausgabe:

Juni/2019

Spalte:

586–589

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Tooman, William A., and Penelope Barter [Eds.]

Titel/Untertitel:

Ezekiel. Current Debates and Future Directions.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2017. XV, 552 S. = Forschungen zum Alten Testament, 112. Lw. EUR 154,00. ISBN 978-3-16-153089-0.

Rezensent:

Raik Heckl

Der Sammelband stellt Vorträge der Treffen der Society of Biblical Literature in St. Andrews (2013) und Wien (2014) zusammen. Eingeladen waren jeweils 20 Sprecher. Daraus gingen 27 Beiträge hervor, wobei einige Forscher mehrmals im Sammelband vertreten sind. Der Band beginnt mit zwei forschungsgeschichtlich und zugleich methodisch orientierten Aufsätzen. Er schließt mit einer ebenfalls methodisch reflektierenden Synthese durch W. A. Tooman. In den zwei Hauptteilen (Part 2 und 3) werden diachrone und synchrone Konzepte bzw. Einzeluntersuchungen präsentiert. Part 4 geht es um das Thema »Trauma«. Part 5 blickt auf die Wirkungsgeschichte.
K.-F. Pohlmann, »Ezekiel: New Directions and Current Debates« (3–17), gibt einen Überblick über die Forschung bis zum Anfang des 21. Jh.s und positioniert dazu die eigenen redaktionsgeschichtlichen Thesen. Der Beitrag liest sich wie eine Verteidigung der redaktionsgeschichtlichen Methode gegen synchrone Herangehensweisen. Im Mittelpunkt der Argumentation steht das Zeugnis von p967, wobei stark auf die Arbeit von P. Schwagmeier, »Untersuchungen zu Textgeschichte und Entstehung des Ezechielbuches in masoretischer und griechischer Überlieferung« (Diss: Zürich 2004), fokussiert wird. Allerdings enthält der Papyrus nur Ez 36–40, und sein Zeugnis betrifft auch nur die letzten Veränderungen einer älteren Vorlage, während Pohlmanns Redaktionskritik eine Vielzahl vorangehender Stufen betrifft. Schwagmeiers Analyse hält anders als Pohlmann fest, dass die von p967 bezeugte Version ein »›klassisch‹ diasporaorientiertes Buch« (313) war, das durch »eine Art Neubeginn der Geschichte« (ebd.) in dem jüngeren MT übertroffen werde. Methodisch brisant ist, dass Schwagmeier feststellt, dass Ezechiel nach MT gegenüber der älteren Vorlage »ein Buch von hoher lexematischer Kohärenz, die sich in erheblichem Maß der Überarbeitung durch prämasoretische Tradenten verdankt« (366), ist. Ähnlich stellt das auch Tooman in seinem Beitrag fest (siehe dazu unten). Nichtsdestotrotz beweist p967, dass das Ezechielbuch eine komplexe Literargeschichte hatte, was im Band auch immer wieder eine Rolle spielt. T. Krüger, »Ezekiel Studies: Pres-ent State and Future Outlook« (18–27), stimmt Pohlmann zu, dass sich der diachrone und der synchrone Zugang momentan in der Forschung kaum vermittelt gegenüberstehen. Er sucht aber anhand von verschiedenen im Buch behandelten Themen den Gewinn einer Verbindung beider Zugänge aufzuzeigen. So stellt er die radikalen Widersprüche in der Bearbeitung von zentralen Themen im Buch vor und stellt die These auf, dass eine solche Präsentation mit dem Selbstverständnis der Autoren zusammenhänge, die sich eher als Propheten denn als Schriftgelehrte verstanden.
F. Sedlmeier sucht in dem ersten Beitrag von Part 2 die im Titel »The Pro-clamation of Salvation in the Book of Ezekiel: Restoration or Traces of ›Escha-tological‹ Hope?« (31–53) formulierte Frage zu beantworten. In einem re­daktionsgeschichtlichen Konzept zeigt er auf, wie das Konzept der Wiederherstellung zu einem radikalen Neubeginn eschatologisiert wurde. A. Klein, »Ezekiel 6.1–7 and 36.1–15: The Idea of the Mountains in the Book of Ezekiel« (54–65), geht ebenfalls der Frage der Heilstheologie und den dazu im Buch anzutreffenden Unterschieden nach. Dabei setzt sie sich mit D. Block und seiner These, Ezechiel übe Kritik an traditionellen theologischen Konzepten, auseinander. Die Kontrastierung von Gericht und Heil in den beiden literarisch zusammen-gehörenden Abschnitten Ez 6,1–7 und 36,1–11, wo die Berge Volk und Land gleichermaßen repräsentieren, sei ein Grundkonzept, das das Buchganze um­schließe und einer älteren Schicht angehöre. In der späteren Literargeschichte des Buches treten dagegen topographische Aspekte in den Vordergrund. Traditionsgeschichtlich sieht Klein einen Zusammenhang zur Zionstheologie, der sich darin niederschlägt, dass zunehmend Jerusalem als Platz des Tempels in den Fokus des Buches kommt. S. S. Tuell, »The Book of Ezekiel as a Work In Progress: Indications from the Lament Over the King of Tyre (28.11–19)« (66–91), geht der Frage der Brüche im Buch nach und stellt in Anschluss an R. E. Clements die These auf, dass das Buch von seinem Autor unvollendet gelassen worden sei, wofür verschiedene Doppelungen im Buch sprächen. Auf den unvollendeten Charakter des Buches wurde s. E. in der Literargeschichte des Buches mit Fortschreibungen geantwortet. Aus einer Abrechnung mit dem Hohepriestertum sei so in Ez 28,11–19 das Wort über Tyrus geworden. Der Veränderung entspreche, dass im zugrundeliegenden Buch nicht positiv über die Priesterschaft gesprochen wurde. In einem zweiten Artikel beschäftigt sich F. Sedlmeier, »The Figure of David and His Importance in Ezekiel 34–37« (92–106), mit der Davidfigur. In einer späten Ausgestaltung des Abschnittes werde ein messianisches Konzept entworfen, in dem David als König und Hirte die künftige Einheit des Gottesvolkes sicherstellt.
M. Konkel, »The Vision of the Dry Bones (Ezek 37.1–14): Resurrection, Restoration or What?« (107–119), beschäftigt sich mit der Vision in Ez 37. Er geht von ihrer textinternen Deutung aus und prüft die beiden Hauptthesen zum Text. 31,1–10 und 11–13a sieht er als älteren Text, der eine politische Wiederher-stellung im Blick hatte. Erst eine mit der späten Ergänzung in Ez 36,23–38 in Zusammenhang stehende Fortschreibung in Ez 37,13b–14 geht über die Vorstellung einer politischen Wiederherstellung hinaus und sieht eine Neuschöpfung des Gottesvolkes intendiert. P. Barter, »The Reuse of Ezekiel 20 in the Composition of Ezekiel 36.16–32« (120–137), diskutiert die Verarbeitung und Fortschreibung von Ez 20 in Ez 36, wo ein ursprünglich knappes Heilsorakel weiterentwickelt werde. Dabei weist sie auf die bleibende Bedeutung des Ausgangstextes in der Endkomposition hin. M. A. Lyons, »Extension and Allusion: The Composition of Ezekiel 34« (138–152), geht der Komposition von Ez 34 und ihrem Zusammenhang mit Lev 26 nach. Bei der Ausformulierung des redaktionellen Kapitels sei u. a. das Konzept von Lev 26 eingeflossen. Diese Prozesse bringt er mit dem Abschluss der alttestamentlichen Prophetie insgesamt in eine Verbindung. Ebenfalls mit dem Zusammenhang von Lev 26 mit Ez 34 und 37 beschäftigt sich C. L. Nihan, »Ezekiel 34–37 and Leviticus 26: A Reevaluation« (153–178). Er prüft in seiner Studie die Versuche der Verhältnisbestimmung der beiden Bereiche. Er selbst nimmt eine wechselseitige Beeinflussung an, wobei er allerdings davon ausgeht, dass Ez 34 und 37 nicht auf einer literarischen Ebene liegen. Den Zusammenhang der beiden Heilstexte Ez 34 und 37 nimmt im Anschluss daran A. Klein, »Salvation for Sheep and Bones: Ezek 34 and 37 as Corner Pillars of Ezekiels Prophecy of Salvation« (179–193), in ihrem zweiten Artikel in den Blick. Sie sieht sie als das kompositionelle Zentrum von Ezechiels Heilsprophetie, das als innerbiblische Exegese entstanden sei. Meiner Ansicht nach wäre weiter zu klären, welche Rolle dabei die Verarbeitung der Unheilsprophetie des Buches gespielt hat. F.-L. Hossfeld, »The Gog Oracles of Ezekiel between Psalms and the Priestly Writer« (194–198), bezieht in seinem Artikel Stellung zu den Analysen von Ez 38 f. durch B. Biberger, W. A. Tooman und C. Rösel. Seine Kritik an den drei Monographien führt zur Präsentation einer Modifikation der eigenen Thesen. M. Konkel, »Ezekiel 38–39 in Current Research: Questions and Perspectives« (199–209), geht ebenfalls auf Ez 38 f. ein und präsentiert die vielfältige redaktionskritische Forschung. Er schlussfolgert, dass es in dem Bereich vermutlich unmöglich sein wird, eine gegenüber p967 frühere Textfassung zu rekonstruieren. Im letzten Artikel des ersten Hauptteils beschäftigt sich I. E. Lilly, »›Like the Vision‹: Temple Tours, Comparative Genre, and Scribal Composition in Ezekiel 43« (210–232), mit Ez 43. Ihre gattungskritischen und strukturanalytischen Überlegungen münden in einen Vergleich mit den Paralleltexten aus Qumran und 1Hen 14. Keiner dieser Texte komme als exakte Vorlage für Ez 43 infrage, doch MT und LXX von Ez 43 haben i. E. Aspekte aller dieser Texte aufgenommen. Sie plädiert grundsätzlich für eine Verbindung literarhistorischer und gattungskritischer Fragestellungen.
Der nächste Hauptteil präsentiert synchrone Analysen, die größtenteils das Buch insgesamt bzw. größere Abschnitte oder Themen betreffen. Im ersten Beitrag richtet sich T. D. Mayfield, »Literary Structure and Formulas in Ezekiel 34–37« (235–244), gegen diachrone Untersuchungen, die sich speziell mit Ez 34–37 beschäftigen. Gegenüber anderen Strukturierungen schlägt Mayfield vor, die Verteilung der Formeln im Buch für eine Strukturierung zu nutzen. Deshalb müsse Ez 34–37 als Teil der durch die chronologische Formel eröffneten Einheit Ez 33,21–39,29 interpretiert werden, die durch die Wort-Ereignisformel gegliedert ist. J. T. Strong, »Cosmic Re-Creation and Ezekiel’s Vocabulary« (245–284), geht auf Formulierungen mit schöpfungstheologischen Implikationen ein und ihrer Bedeutung nach. Besonders spannend ist der Abschnitt über den Gebrauch von םדא ןב, was auf Ezechiel als »primal human« ziele. Strong sieht insbesondere einen Zusammenhang zu Gen 2. Freilich wird der Artikel dort gesetzt. Meiner Ansicht nach liegt es daher näher, dass םדא ןב wie in Gen 5,1 das priesterliche genealogische Konzept in den Blick nimmt. Die von Strong behandelten Beispiele zeigen die traditionsgeschichtliche und kontextuelle Bedeutung der Schöpfungsüberlieferungen bei der Abfassung des Buches. In seinem zweiten Beitrag fragt sich J. T. Strong, »The Conquest of the Land and Yahweh’s Honor before the Nations in Ezekiel« (285–322), aufgrund welcher Traditionen Ezechiel im Exil eine Rückkehr in Betracht ziehen konnte, obwohl im Lande weiter Menschen verblieben waren. Er zieht dafür die Landnahmetradition in Betracht. Das Konzept der ursprünglichen Nichtauthochtonie Israels in den Landnahmeüberlieferungen könnte bei der theologischen Konzeption des Exils in Ezechiel eine wichtige Rolle gespielt haben. Schwierig ist freilich die Überlieferungslage, da die Landnahmetradition des Pentateuchs und in Josua erst in der Zeit des Exils ihre uns bekannte Form erhalten hat. T. Häner, »Reading Ezekiel 36.16–38 in Light of the Book: Observations on the Remembrance and Shame after Restoration (36.31–32) in a Synchronic Perspective« (323–344 f.), macht in seinem Beitrag Ez 36,16–38 und darin die Verse 36,31 f. als Zentrum des Buches aus, wo für den Leser der Zusammenhang von Straf- und Heilsaussagen des Buches paradigmatisch auf den Punkt gebracht werden. S. L. Cook, »Burgeoning Holiness: Fecundity Let Loose in Ezekiel 34–36« (345–359), geht der Rede von der Fruchtbarkeit und ihren theologischen Implikationen in Ez 34–36 nach. In einem zweiten Beitrag, »Ezekiel’s Recovery of Premonarchic, Tribal Israel« (360–373), beschäftigt sich Cook mit dem Konzept von Stadt, Land und Tempel. S. E. werden u. a. in der Trennung von Stadt und Tempel und in der Bezeichnung des Herrschers als אישנ vormonarchische, tribale Ideale aufgegriffen.
In Part 4 sind zwei Aufsätze, die sich um die Metaphorik der Zerstörung drehen, unter dem Titel »Trauma and its Effects« zusammengestellt. J. E. Lapseley, »The Proliferation of Grotesque Bodies in Ezekiel: The Case of Ezekiel 23« (377–390), macht deutlich, dass die Bilder von Exil, Zerstörung und Vernichtung, die im ersten Teil des Buches das Verlassen Israels durch Jhwh beschreiben, im Buch in ein Konzept der Anwesenheit Gottes im Schmerz münden. D. L. Smith-Christopher, »Deconstructing Terror in Ezekiel: The ›Valley of Bones‹ Vision as Response to Trauma« (391–413), sieht in seinem zweiten Beitrag Ez 37 als eine Antwort auf das erlittene Trauma, die die Erfahrungen von Krieg und Leid revidieren, indem Ez 37 wie die Umkehrung eines Massakers erscheine: »Ezechiel refuses to accept the dictated, militarized, terrorized version of reality in his-tory.«
In Part 5 beginnt M. A. Lyons, »Who Takes the Initiative? Reading Ezekiel in the Second Temple Period and Late Antiquity« (417–441), mit der Diskussion, wie Ezechiel in der Antike rezipiert worden ist. Er geht dabei auf Textabschnitte aus Qumran, dem Neuen Testament und anderen frühchristlichen Texten ein, diskutiert den tannaitischen Midrasch Sifra zu Lev 26, Augustin und weitere Kirchenväter. Dabei werden Auslegungslinien über die mittelalterlichen Kommentatoren bis zur Reformation rekonstruiert. M. W. Elliott, »The Contribution of the History of Ezekiel Interpretation and the Tradition of ›Reformed‹ Exegesis, with Particular Reference to Ezekiel 21.25–27 (30–32)« (442–458), geht dem methodischen Zusammenhang zwischen Ezechielinterpretationen und Wirkungsgeschichte nach und fokussiert auf die Forschungsgeschichte des Buches. P. M. Joyce, »Reception and Interpretation in Ezekiel« (460–476), zielt in seinem Beitrag auf die Wirkung in Literatur und Film und diskutiert eine interkulturell komperativistische Studie. Zuletzt vergleicht D. L. Smith-Christopher, »Ezekiel as Jose Posada: An Experiment in Cultural Exegesis« (477–494), in seinem zweiten Beitrag Ez 37 mit den Karikaturen des mexikanischen Künstlers José Pasadas und bezeichnet Ezechiel und jenen als »Artisans of the Dead« mit ähnlicher Intention: Schockierende Bilder dienen der Proklamation des Lebens (493).
Abschließend beschäftigt sich W. A. Tooman, »Literary Unity, Empirical Models, and the Compatibility of Synchronic and Diachronic Reading« (497–512), mit der Tatsache, dass synchrone und diachrone Herangehensweisen in der Forschung meist nicht verbunden werden. Er stellt fest, dass die beiden Konzepte unterschiedliche Ziele haben und oft unvereinbare, wenngleich jeweils mögliche Thesen zur Textentstehung hervorbringen. Einig sei man sich aber darin, dass Ezechiel Kohärenzprobleme enthält. Der vieldiskutierte Abschnitt Ez 36,16–38 zeige darüber hinaus, dass Konsistenz und Kohärenz nicht unbedingt für Einheitlichkeit und literarische Probleme nicht unbedingt für Uneinheitlichkeit sprechen müssen. Er schließt: »Ancient compositional practices, an­cient reading competencies, and ancient tolerances are not entirely coextensive with the standard of textual unity shared by diachronic and synchronic approaches.«
Das Buch ist insgesamt eine gelungene Präsentation weiter Bereiche der gegenwärtigen Ezechielforschung. Gerade die Widersprüche, aber auch die vielfältige Beschäftigung mit bestimmten Hauptthemen oder zentralen Texten bieten Anregungen für die weitere Forschung.