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Ausgabe:

Mai/2019

Spalte:

541–543

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Rammelt, Claudia, Hornung, Esther, u. Vasile-Octavian Mihoc [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Begegnung in der Glokalität. Christliche Migrationskirchen in Deutschland im Wandel der Zeit.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2018. 260 S. Kart. EUR 44,00. ISBN 978-3-374-05389-6.

Rezensent:

Claudia Hoffmann

Ziel dieses Sammelbandes ist es, den Aspekt der Begegnung zu stärken und eine Beschäftigung mit Migrationskirchen auf Augenhöhe zu erreichen. Das lexikalische Wissen über Migrationskirchen muss ergänzt werden, die Frage nach ineinander verwobenen Ge­schichten rückt in den Vordergrund.
Der erste Teil liefert Grundlagen und gibt nicht nur einen Überblick über den Forschungsstand zu Migrationskirchen (Rammelt/Hornung), sondern befasst sich auch mit theoretischen Fragen in Bezug auf das Verhältnis von Globalisierung und Religion (Krech). Der Begriff der Glokalität steht zwar prominent im Titel, wird aber nicht ausführlich diskutiert. Glokalität meint, dass Prozesse der Globalisierung und Lokalisierung nicht ausschließlich zu verstehen, sondern ineinander verschränkt sind, was am Phänomen von Migrationskirchen gut ersichtlich wird. Dem Begriff der Begegnung wird hingegen breiter Raum gegeben. Der existentiell-individuellen Perspektive (Tamcke) auf die Begegnung, die mehr als ein Treffen ist und in der einem etwas über den anderen klar wird, steht eine orthodox-theologische Perspektive gegenüber (Mihoc), die den sakramentalen Charakter der Wirklichkeit hervorhebt und perichoresis und kenosis als Leitbegriffe für ein Verständnis von Begegnung einführt. Dass das Christentum nicht erst neuerdings von Migration geprägt ist, wird in mehreren Beiträgen in diesem Sammelband sichtbar. Grundlage dafür, dass das Christentum von Anfang an global war und es eine Vielzahl an regionalen Zentren zur Ausbreitung des Christentums gab, legt Koschorke mit sechs Beispielen durch die Christentumsgeschichte hindurch dar. Den Abschluss des ersten Teiles bildet ein Durchgang durch die Ge­schichte von Migrationskirchen in Deutschland in acht Phasen, an dessen Ende ein Paradigmenwechsel in der Wahrnehmung von Migrationskirchen steht. Sie werden nicht mehr als bloße Empfänger von sozial-diakonischen Angeboten wahrgenommen, sondern als ökumenische Partner (Dümling).
Der zweite Teil des Buches enthält sieben konkrete Begegnungen (auf Papier) mit ganz unterschiedlichen Migrationskirchen. Es stehen hier orthodoxe, armenische und syrische Christen im Vordergrund. Dies stellt eine deutliche Neuheit gegenüber anderen Publikationen im Bereich Migrationskirchen dar. Der Fokus liegt sonst nicht selten auf afrikanischen Kirchen in der Diaspora. Das syrische Christentum wird anhand einer Gemeinde innerhalb der katholischen Citykirche in Wuppertal vorgestellt (Kleine). Die Rolle der armenisch-apostolischen Kirche bei der Erhaltung kollektiver und kultureller Identität wird herausgearbeitet und als Herausforderung für die Seelsorge in Deutschland benannt (Hofmann). Thon bespricht das Einheimisch-Werden der Orthodoxie als drittgrößter Konfession in Deutschland, indem er die Entstehung der orthodoxen Bischofskonferenz nachzeichnet. Die Wandlung von Migrationskirchen zu transterritorialen Kirchen wird am Beispiel einer koreanischen Kirche dargestellt (Weiss), ebenso wird die wechselseitige Verschiebung von Peripherie und Zentrum in der Weltchristenheit diskutiert, indem das transformative Beziehungsgeflecht einer in Afrika gegründeten Pfingstkirche aufgezeigt wird (Fischer).
Eine zweite große Bereicherung der bisherigen Migrationskirchenforschung ist die historische Perspektive, die in manchen Beiträgen aufleuchtet, aber insbesondere am Beispiel von Arbeitsmigration und religiöser Mobilität im südlichen Afrika durchgespielt wird (Burlacioiu). Am Beispiel der Arbeitsmigration in China wird aufgezeigt, wie Religion durch Binnenmigration verändert wird (Liang). Solche Perspektiven sind in der Migrationskirchenforschung bislang wenig präsent.
Der dritte Teil schließlich beschäftigt sich mit dem Verhältnis zwischen Migrationskirchen und etablierten Kirchen in Deutschland. Dort wird nicht nur das Modell transkultureller Gemein-den als zukunftsweisend vorgestellt (Kahl), sondern es werden auch Spannungsfelder aufgezeigt, die sich in der Zusammenarbeit durch unterschiedliche Selbstverständnisse ergeben (Ludwig). Die Ausbildung wird thematisiert als ein Weg, solche Spannungsfelder zu beheben. Das Programm der Fachhochschule Interkulturelle Theologie in Hermannsburg wird dazu vorgestellt (Fröchtling). Die Zusammenarbeit zwischen Landeskirchen und Migrationskirchen verläuft vor allem via Verträgen, Gesetzen und Konventen. Ein konkretes Beispiel ist der Internationale Kirchenkonvent Rheinland Westfalen (Brown). Eine institutionelle Grundlage gilt oft als Voraussetzung für eine Zusammenarbeit. Die Fähigkeit zur Selbstorganisation und die öffentliche Orientierung gelten als Potentiale, welche die Migrationskirchen in die Zivilgesellschaft einbringen können. Dabei lassen sich unterschiedliche, häufig konfessionell bedingte Institutionalisierungsmuster festmachen (Nagel/Schubert).
Der Sammelband ist gleichzeitig informativ, lehrreich und in­spirierend. Er trägt dazu bei, dass verschiedene bislang unsichtbar gebliebene Akteure in den Vordergrund treten, und liefert verschiedene Angebote, diese Akteure und ihr Wirken auch in einem theoretischen Rahmen zu fassen. Darüber hinaus regt er dazu an, vorgebrachte Fragestellungen, Analysekategorien oder Perspektiven in der eigenen Forschung anzuwenden.
Die Entdeckung verschiedener Forschungsdesiderate halte ich für einen weiteren Gewinn der Lektüre dieses Buches. Doppelachsige Vergleiche über Herkunftskontexte und Konfessionen sind weiterzutreiben. Die Bedeutung von Migration in der Kirchengeschichte muss vermehrt diachron untersucht werden. Ebenso ist noch nicht hinreichend beantwortet, wie Lokalität und Globalität, Universalität und Partikularität, Homogenität und Diversität vermittelt sind, wenn wir von Glokalität sprechen. Verstärktes Augenmerk gilt es auch auf überregionale Diaspora-Netzwerke zu richten, um bislang gerne übersehene Akteure, wie bspw. christliche Filippinos in der Golfregion, sichtbar zu machen.
Eine große Stärke des Buches ist seine interdisziplinäre Ausrichtung sowie der Einbezug verschiedener geographischer wie auch konfessioneller Kontexte. Diese Stärke bringt aber auch den kleinen Nachteil mit sich, dass die einzelnen Beiträge wenig kohärent sind. Dies stört den Leser aber nicht weiter, da die Beiträge gut für sich allein gelesen werden können. Auf der Suche nach Organisation und Leben in einer Migrationskirche wird man im zweiten Teil des Buches fündig, der dritte Teil liefert Beispiele für unterschiedliche Begegnungsmodelle, im ersten Teil finden sich theoretische Überlegungen zum Thema.