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Ausgabe:

Mai/2019

Spalte:

539–541

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Meier, Johannes

Titel/Untertitel:

Kirchenaufbau und Ordensleben, Seelsorge, Bildung und Frömmigkeit. Beiträge zur Geschichte des Christentums in Westfalen und benachbarten Landschaften. Hrsg. v. Ch. Nebgen u. U. Olschewski.

Verlag:

Münster: Aschendorff Verlag 2018. XVI, 335 S. = Westfalia Sacra, 18. Geb. EUR 58,00. ISBN 978-3-402-15497-7.

Rezensent:

Frank Stückemann

Dass Katholizismus mehr ist als Rom und der Papst (und dass sich darum der Protestantismus auch nicht nur auf Rechtfertigungslehre und Anti-Rom-Syndrom beschränken lassen sollte), zeigt einmal mehr die vorliegende Aufsatzsammlung des Kirchenhistorikers Johannes Meier, welche von den Herausgebern anlässlich seines 70. Geburtstages zusammengestellt wurde. Von den darin enthaltenen 20 Beiträgen sind lediglich vier in den Jahren 1993 bis 2003 als Vorträge gehalten worden.
Nach einer vierseitigen tabula gratulatoria, dem Inhaltsverzeichnis, dem kurzen Vorwort der Herausgeber sowie einem Grußwort des Erzbischofs von Paderborn folgen die Aufsätze M.s. Sie bilden einen thematischen Längsschnitt durch die Christentums-geschichte Westfalens von den Karolingern bis in die jüngste Vergangenheit. Schwerpunktmäßig orientieren sie sich an der Prämonstratenserabtei Clarholz und der Geschichte vor allem dieses Ordens im westfälisch-monastischen Kontext mit all seinen Entwicklungen, Fehlentwicklungen, Erneuerungsversuchen und geistlichen Aufbrüchen, teilweise in Abgrenzung, teilweise aber auch in kritischer Adaption, im Dialog und im engen Austausch mit den protestantischen Traditionslinien Westfalens.
M. verleugnet dabei seinen eigenen biographischen Werdegang – Kindheit in Clarholz, Schulbesuch in Warendorf, Theologiestudium in Paderborn, Ordinarius für Kirchengeschichte in Bochum und Mainz – keineswegs. Das aufmerksame Interesse des Forschers an seiner vorfindlichen Lebenswelt und ihrer Geschichte, die sinnentnehmende Lektüre von Quellen sowie ihre überzeugende Präsentation mit unaufdringlicher Gelehrsamkeit sind trotz einiger weniger Doppelungen durchaus sympathisch und machen das Buch nicht nur für Katholiken, sondern auch für Protestanten zu einer ebenso bereichernden wie angenehmen Lektüre.
M. verdeutlicht, welch einen gewaltigen Geistes- und Kulturstrom die monastische Tradition des Abendlandes darstellt, der selbst im protestantischen Bereich keineswegs mit der Reformation endete. Luther wie Bucer waren schließlich beide als Mönche von der auch hier behandelten Reformbewegung der devotio mo­derna (101 ff.) und von den augustinischen Reformbewegungen (71 ff.) in den Klöstern geprägt gewesen; sie hatten ihr monastisches Erbe sowohl gegenüber einer verweltlichten Kirchenhierarchie als auch gegenüber einer mehr oder weniger bilderstürmerischen Kult- und Kulturfeindschaft durchaus zu akzentuieren gewusst.
Auch wenn der Rezensent anders als M. einen Johannes Gropper (1503–1559; 115 ff.) oder Dietrich von Fürstenberg (1546–1618; ab 1585 Bischof von Paderborn; 153 ff.) weniger als tridentinisch bzw. jesuitisch geprägte Erneuerer denn als karrierebewusste Machtmenschen betrachten würde, so ändert dies nichts an der Tatsache einer gemeinsamen christlichen Tradition auch bei konfessioneller Verschiedenheit. Sie zieht sich durch die Jahrhunderte hin. In Er­bauungsschriften von lutherischer Orthodoxie und Pietismus finden sich durchaus Parallelen zur Handpostille des u. a. in Clarholz wirkenden Leonard Goffiné O. Praem. (167 ff.); Gleiches gilt von Pierre de Bérulle (1575–1629; 178) oder quietistischem Schrifttum.
Vor allem aber wird der ökumenische Charakter der Bildungsbemühungen im Katholizismus und Protestantismus der späten Aufklärungszeit offensichtlich: M.s unverhohlene Sympathie für den lutherischen Landpfarrer, Volksaufklärer und Publizisten Jo­hann Moritz Schwager (1738–1804) und dessen vorurteilsfreie ökumenische Weite ist an mehreren Stellen des Buches spürbar (223 f. 235.263) wie auch die Wertschätzung des mit diesem in publizis-tischem Austausch stehenden Justus Möser (1720–1794; vgl. 236: »wesensmäßige Gemeinsamkeit mit der katholischen Volksaufklärung«), während Justus Gruners Wallfahrt zur Hoffnung und Ruhe und ähnliche Zeitdokumente erheblich kritischer gesehen werden (262). Die Aufsätze zum durchaus vitalen monastischen Geistes-leben kurz vor der Auflösung der Klöster bilden schon aufgrund der reichen Quellenlage eine besonders interessante Lektüre. Neben handfesten ökonomischen Interessen der Mächtigen und Regierenden sowie ihrer Handlanger benennt M. deutlich das Interesse der römischen Kurie an der Zerschlagung und Abwicklung der alten Reichskirche zugunsten einer ultramontanen Engführung (276), womit ein Ende der schon sehr weitgehenden volksaufklä-rerischen Ökumene wie der katholischen Volksaufklärung überhaupt einherging. Auf protestantischer Seite bringt er vor allem und zu Recht das Agieren des preußischen Staates in An­schlag, welches nicht nur während der Säkularisierung der Klöster nach 1803, sondern kontinuierlich bis in den Kulturkampf Bismarcks, ja, sogar bis in die Zeit der Weimarer Republik hinein das ökumenische Klima vergiftete.
Damit ging eine erschreckende Ignoranz der preußischen »Leitkultur« für soziale Fragen einher, auf die katholischerseits oft sehr viel frühere und überzeugendere Antworten gefunden wurden als in den Sozialistengesetzen Bismarcks. Die systematische politische Ausgrenzung von katholischen Bevölkerungsanteilen unter den »Beutepreußen«, von osteuropäischen Minderheiten im Ruhrgebiet (vor allem aus Polen) und auch vom Demokratisierungs- und Emanzipationsstreben der Arbeiterschaft, bildete den Nährboden für das katholische Vereins- und Fürsorgewesen, für den damit verbundenen katholischen Gemeindeaufbau in Ballungszentren so­wie für die Zentrumspartei. Trotz verordnetem »Antimodernisteneid« hatte der nicht zuletzt vom Ordenswesen des 19. und 20. Jh.s geprägte Katholizismus erheblichen Anteil am volkskirchlichen Aufbruch in die Moderne; Gleiches gilt in besonderer Weise für den katholischen Widerstand im Dritten Reich.
Ein der Welt zugewandter Geist erscheint überhaupt als Grundzug der von M. dargestellten Spiritualität des Ordenslebens. Dessen missionarisch-seelsorgerliche, pädagogische, kulturelle und karitative Ausrichtung ist von Anfang an (Meinwerk von Paderborn, 1 ff.) erkennbar gewesen und zieht sich in je unterschiedlichen Ausprägungen von Kirchen-, Ordens- und Gemeindegründungen bis zur modernen Missionswissenschaft (Pater Otto Maas OFM; 327) wie ein roter Faden durch die Christentumsgeschichte Westfalens, übrigens auch in Übersee (vgl. den Aufsatz: Ein langer Weg von Westkirchen zum Haus Geist; das Leben des Münster-länders P. Bernhard Zumziel SJ 1707–1772 als Missionar in Mexiko; 197 ff.).
Diese Weltzugewandtheit, die weder Weltverfallenheit noch Weltflucht ist, hat das Salz der Erde offenbar bis in unsere Tage nicht dumm und dumpfig werden lassen. Die nur auf Macht, Einfluss und irdischen Besitz fixierten Hierarchien in der eigenen Kirche wie in anderen Konfessionen scheinen hingegen zunehmend an einem »gesamtgesellschaftlichen Säkularisierungsprozess« zu leiden, der doch nichts anderes ist als eine Volksabstimmung mit den Füßen. Wenn sich die Kirchen leeren, so ist das immer auch inhaltlich oder substantiell zu verstehen. – Ein überaus lesenswertes Buch!