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Ausgabe:

Mai/2019

Spalte:

527–529

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Moldenhauer, Christiane

Titel/Untertitel:

Praktische Theologie der Bibel. Exemplarische Felder des Bibelgebrauchs in kirchlich-gemeindlicher Praxis.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht (Neukirchener Theologie) 2018. 538 S. = Beiträge zu Evangelisation und Gemeindeentwicklung, 25. Kart. EUR 60,00. ISBN 978-3-7887-3216-5.

Rezensent:

Peter Bukowski

Bei Christiane Moldenhauers Untersuchung handelt es sich um die für den Druck überarbeitete Fassung ihrer Dissertation, die im Sommersemester 2017 von der Theologischen Fakultät der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald als Promotionsschrift angenommen wurde. Ihren Ausgangspunkt nimmt sie bei der 1989 von Klaus Wegenast diagnostizierten Diskrepanz zwischen der von den Kirchen in offiziellen Verlautbarungen immer wieder behaupteten »Mittelpunktstellung« der Bibel und deren faktischem Gebrauch in den Gemeinden, wo sich »durchaus auch Unkenntnis, Unbeholfenheit, Kritik« sowie ein Mangel an »Sprachfähigkeit« antreffen lässt (1). Das Interesse M.s richtet sich nun aber nicht darauf, diese Diskrepanz möglichst präzise zu beschreiben und zu analysieren, stattdessen ist ihr Forschungsinteresse von der Frage geleitet, »wie die herausgehobene Rolle der Bibel in praktischen Vollzügen des Glaubens und (Gemeinde-)Lebens zum Tragen kommt und kommen kann?« (2) Dass M. ihren Forschungsansatz in einem präzisen Sinne praktisch-theologisch begreift, lehrt schon ein Blick in die Gliederung der Arbeit. Denn die ersten 150 Seiten (Teil I), sprich ein knappes Drittel des Gesamtumfangs, sind der bibeltheologischen Fundamentlegung gewidmet, indem »Grundlinien eines evange-lischen Schriftverständnisses in praktisch-theologischer Perspek-tive« (so die Überschrift) herausgearbeitet werden. Erst danach und in stetem Rückbezug auf die theologische Fundierung werden in Teil II vier exemplarische Handlungsfelder erkundet.
In Teil I spannt M. einen weiten Bogen. Zunächst bestimmt sie mit Rückgriff auf Luthers Trias Oratio – Meditatio – Tentatio »die Theologie als Ganze als Bibeltheologie der vita passiva« (11). Es folgen historische (I,2), hermeneutische (I,3) und Biblisch-Theologische Erkundungen (I,4), die in »dogmatische Grundlinien der evangelischen Theologie der Heiligen Schrift« (I,5) zusammengeführt und gebündelt werden. Es ist hier leider nicht der Raum, diese in­haltsreichen, sorgsam reflektierten und im steten Gespräch mit relevanten Vertretern einzelner Positionen und Blickrichtungen durchgeführten Erkundungen im Einzelnen nachzuzeichnen. Zwar fällt dem reformierten Rezensenten (mit leisem Bedauern) auf, dass die lutherische Perspektive die theologisch bestimmende ist, doch wird diese Beschränkung durch einen Zugewinn an Gründlichkeit und Differenziertheit aufgewogen. Als Fazit von M.s christologisch fundierter Bibeltheologie bleibt festzuhalten: Gottes Selbstmitteilung, die ihr »klarstes Wesen in der Inkarnation und Kondeszendenz des Sohnes Jesus Christus und in seinem Evangelium« (141) hat, findet »in der Bibel als Heiliger Schrift einen analogen Niederschlag« (ebd.). Daraus folgt im Sinne der vita passiva, »dass im Lesen bzw. Hören der Schriftworte selbst Erkenntnis und Glauben geweckt wird und dass Gott sich genau darin erweist. Dann aber ergibt sich folgerichtig, dass der Umgang mit der Bibel auch beständig gepflegt und gefördert wird […] Gott begegnet unter der Meditation der Bibel als Schenkender, der Mensch wird Empfangender.« (Ebd.)
Den Konkretionen solcher Begegnung ist Teil II der Arbeit ge­widmet. Angesichts der Fülle und Ausführlichkeit, hier nur einige Schlaglichter:
1. Weder verbleibt die Erkundung eines Handlungsfeldes auf der Ebene theologisch-grundsätzlicher Reflexion noch beschränkt sie sich auf eine Präsentation imponierender Best-Practice-Beispiele. Sie bietet in kluger Bezogenheit beides und gibt zudem umfängliche Einblicke in den das Thema betreffenden Diskussionsstand. Insofern leistet Teil II im besten Sinne das, was man von einem Handbuch erwarten würde: Bei aller inneren Stringenz der Kapitelfolge kann jedes Handlungsfeld für sich gelesen werden. So eignet sich M.s Buch auch als Nachschlagewerk. Am Beispiel der Konkretion A (»Evangelische Spiritualität als Bibelspiritualität«; 153–252): Sei es, dass jemand nach einer theologisch-fundierten Klärung des heute oft diffus verwendeten Begriffs der Spiritualität sucht oder nach Kriterien christlicher Spiritualität, nach Grundformen ihres Vollzuges (speziell als Bibelmeditation) oder nach prominen ten Vertretern evangelischer Bibelspiritualität – das In­haltsverzeichnis macht die Suche einfach und die Qualität des Gefundenen wird zum Weiterlesen animieren. Andererseits, darauf sei ausdrücklich hingewiesen, lohnt es sich, gerade dieses Buch – trotz seiner knapp 500 Seiten – von Anfang bis Ende durchzulesen, denn durch pädagogisch klug gesetzte Zusammenfassungen, Rückbe-züge und Gliederungshinweise, die auf den Fortgang vorbereiten, hält M. die Lesenden bei der Stange und bei allem Detailreichtum gerät der ›rote Faden‹ nie aus dem Blick. Außerdem er­weist die theologische Grundlegung (Teil I) in allen Feldern ihre orientierende Kraft.
2. War beim ersten Handlungsfeld vor allem der Einzelne im Blick, so in den drei folgenden die Gemeinde. Spätestens jetzt er­weist sich die Untersuchung als hochaktuell. Das gilt für alle Teile, lässt sich aber an Konkretion B »Die Bibel im Gottesdienst – Auswahl und Gestaltung der biblischen Lesungen« (253–348) gut de­monstrieren. Denn hier schaltet sich M. in den eben erst abgeschlossenen Prozess der Perikopenrevision ein und macht im Herausarbeiten der entscheidenden Weichenstellungen der Revision deutlich, wie sich in ihnen »die Bibeltheologie derer, die sie ver antworten« (488), spiegelt. Genannt seien die Stichworte: »Vielschichtigkeit der biblischen Überlieferung« (294) im Blick auf den alttes­tamentlichen Textbestand; der Hinweis auf die Gefahr, dass die Perikopenordnung unter der Hand zum Kanon im Kanon, also zur norma normans gegenüber der Gesamtschrift missraten könnte; schließlich die besonders aktuelle Frage, ob eine sonntägliche Leseordnung dem veränderten Partizipationsverhalten heutiger Kirchenmitglieder gerecht werden kann.
3. Die Frage nach den Adressaten wird in den beiden folgenden Handlungsfeldern vertieft, geht es M. doch darum, gerade in Zeiten einer zunehmenden Bibelvergessenheit (auch unter Kirchenmitgliedern!) den »Gebrauch der Bibel zu fördern und zu vertiefen« (488). Deshalb untersucht Konkretion C »Bibelkurse als eine beispielhafte Form gemeindepädagogischen Handelns mit der Bibel« (349–424). Dieser Teil ist jedem zu empfehlen, der sich mit dem, was ist, nicht einfach abfinden will, der also der Bibel und ihrer Botschaft etwas zutraut, es gleichzeitig aber vermeiden will, seine Zeitgenossen zu drängen und ihnen so zu nahezutreten. Man kann nur hoffen, dass M.s einladende und animierende Durchsicht der un­terschiedlichen Modelle mit dem verbreiteten Vorurteil aufräumt, Bibelkurse seien so etwas wie das Reservat evangelikal geprägter missionswütiger Aktivisten.
4. Wie sehr sich M.s Erkundungen auf der Höhe der Zeit befinden, belegt eindrucksvoll die letzte Konkretion D: »Die Bibel als Medium. Überlegungen zur medialen Gestalt des biblischen Wortes« (425–485). Sie zeigt – in Anlehnung an das Konzept von Hypertextualität (Scholz) – Wege einer Inkulturation der Bibel und des Bibelgebrauchs in den Kontext der neuen Medien auf, anschaulich illustriert an der BasisBibel als einer Übersetzung, die sich hinsichtlich Sprache und Gestaltung den Anforderungen der digitalen Kommunikation stellt.
Insgesamt leistet M.s Buch einen wichtigen Beitrag, um »die ›Mittelpunktstellung‹ der Bibel (Wegenast) neu zur Geltung zu bringen, damit der Glaube Einzelner und das Leben von Gemeinden genährt und belebt wird.« (488)