Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Mai/2019

Spalte:

485–486

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Spalding, Johann Joachim

Titel/Untertitel:

Briefe. Hrsg. v. A. Beutel u. O. Söntgerath.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2018. XII, 442 S. Lw. EUR 119,00. ISBN 978-3-16-155908-2.

Rezensent:

Markus Wriedt

Ergänzend und als »Fragment«, wie die Herausgeber im Vorwort formulieren, tritt diese Sammlung mit erhaltenen Briefen des »Meistertheologen der Aufklärung« Johann Joachim Spalding zu den 13 Bänden der von Albrecht Beutel initiierten, mit zahlreichen Mitarbeitenden herausgegebenen kritischen Ausgabe des hinterlassenen Werkes des Berliner Neologen hinzu. In der editorisch bewährten Form (dazu 9–14) werden 214 Briefe aus den Autographen transkribiert und in sehr gut lesbarer Form präsentiert. Das Erstaunen darüber, dass einer der bestens vernetzten einflussreichen Theologen der deutschen Aufklärung – und wohl auch flei-ßiger Korrespondenzpartner – kein größeres Œuvre seines Briefwechsels hinterlassen hat, teilt der Rezensent mit den Herausgeb ern. Trotz jahrelanger Recherche konnten mehr Briefe nicht aufgefunden werden, obwohl durchaus begründete Hoffnung besteht, dass an der einen oder anderen Stelle noch einmal Zufallsentdeckungen möglich sind. Es dürfte den Wirren der letzten Kriege und dem Wiederaufbau der frühen Jahre geschuldet sein, dass sich kaum mehr weitere Zeugnisse rekonstruieren lassen. Sie wurden offensichtlich zu keiner Zeit zentral gesammelt oder auch nur aktenkundig verzeichnet.
Die Anzahl der im anakreontischen Briefwechsel angeredeten Personen ist ebenfalls erstaunlich gering. Dankenswerterweise der Edition beigefügte Biogramme führen 42 Personen und zwei institutionelle Briefempfänger auf. Das Gros der Briefe geht an Johann Wilhelm Ludwig Gleim, Johann Caspar Lavater sowie einige Repräsentanten der Berliner Aufklärungstheologie. Die auch germanis-tisch ausgewiesenen Herausgeber verweisen auf die meisterhafte Verwendung des literarischen Genres des Briefes und hierbei auf die höchst flexibel gehaltene Anredeform. Sie lässt durchaus Differenzierungen der stets freundlich, höflich und wo geboten auch förmlich formulierten Briefe erkennen und bietet einen, wenngleich nur kurzen, so doch aussagefähigen Blick über die Schulter des Gelehrten. Zugleich erlauben die Briefe die Entwicklungen der persönlichen Beziehungen, wie etwa zu Lavater, der längere Zeit als Hausgast bei Spalding weilte, zu rekonstruieren. Eine scharfe Grenze ist zwischen freundschaftlichen und kollegialen Schreiben kaum zu erkennen, vermischen sich für Spalding doch persönliche Freundschaft und menschlich-integre Hochschätzung, etwa bei Kollegen, durchaus. Schließlich werden auch zahlenmäßig gering, aber wohl exemplarische Zeugnisse der hilfreichen und seelsorgerlichen Zuwendung des Berliner Propstes notiert.
Neben einer für heutige Geschmäcker gewöhnungsbedürftigen, fast enthusiastischen Anakreontik finden sich in den Briefen zahlreiche Beispiele einer in sprachlicher Form gewinnend gekleideten Lust an der Formulierung und aphoristischer Zeitbeschreibung. Leise klingt behutsame Kritik an zeitgenössischen Begebenheiten an, freilich zu keiner Zeit verletzend, herabmindernd oder destruktiv. Die Charakterisierungen von Zeitgenossen sind ein Kleinod der Sprache des 18. Jh.s (Brief N° 115, S. 214; Brief N° 146, S. 267). Zahlreiche Freundesbriefe enthalten persönliche Notizen über das eigene (seltener) und fremde Ergehen. So illustriert der Briefwechsel eindrücklich das zwischenmenschliche und intellektuelle Netzwerk des aufgeklärten Theologen fernab des sonst so häufig bemängelten Elfenbeinturms akademischer Gelehrsamkeit. Zugleich bietet es ein bemerkenswertes Szenario, aus dem heraus die in der kritischen Ausgabe edierten Schriften entstan-den sind. Die bereits in den Predigten erkennbare tiefe Vertrautheit mit den Sorgen und Nöten der Menschen seiner Zeit findet hier weiteres Anschauungsmaterial. Zugleich erläutern die Briefe – leid er eben nur spärlich – den Erfahrungshorizont des fruchtbaren aufgeklärten Schriftstellers, etwa wenn es um Stellenangebote (Brief N° 26, S. 69 f.), Kritik (Brief N° 80, S. 163 f.) oder auch das eigene Wohlbefinden (etwa in der ehelosen Zeit in Lassan, Brief N° 25, S. 68 f. ) geht. Auf weitere Lesefrüchte sei an dieser Stelle ausdrücklich verzichtet und ihr Genuss den hoffentlich zahlreichen Lesern des Bandes anheimgestellt.
Der bewusst gering gehaltene Anmerkungsapparat (siehe die schöne Begründung, 9) enthält zunächst Signaturen der Archivfunde, Provenienzen und die Erläuterung von textkritischen Problemen oder schlicht inhaltlich erklärungsbedürftigen Formu-lierungen. Letztere waren in der Kritischen Ausgabe in einem gesonderten Teil am Ende des Bandes verzeichnet. Die bewusste Reduktion auf Annotationen vor Ort erhöht noch einmal die Lesbarkeit. Die bereits erwähnten Biogramme sowie detaillierte Regis-ter zu Personen, Geographischen Namen und Sachen runden den Band ab.
So wertvoll diese Sammlung für den interessierten Leser ist, so sehr schmerzt der Verlust des Großteils der Korrespondenz von Spalding. Im Sinne etwa der von Dieter Henrich initiierten Konstellationsforschung oder auch einer tiefergehenden semantischen Analyse der Sprache aufgeklärter Gelehrter (Begriffsgeschichte nach Koselleck) wäre aus einem reicheren Zeugnis die integrale Bedeutung des Berliner Propstes auch schon während seiner Zeit als Pfarrer in Schwedisch-Pommern für die intellektuelle Gestaltung der persönlichen Bezüge zur Ausbildung der theologischen Aufklärung in Berlin und darüber hinaus zu erkennen gewesen. Der Hinweis auf die erhaltenen umfangreichen Briefwechsel von Goethe, Herder, Jean Paul oder Alexander von Humboldt lässt es geradezu geboten erscheinen, hier weitere Forschungen anzustellen und die intellektuelle Geschichte vor dem deutschen Idealismus besser und historisch gediegener zu erfassen. In diesen Kontexten bleibt der Briefwechsel Spaldings in der Tat ein Fragment. Umso mehr ist es den Herausgebern zu danken, dass sie sich jahrelanger Recherchearbeit unterzogen haben und so diesen kleinen Teil der Korrespondenz Spaldings der Nachwelt erhalten konnten.