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Ausgabe:

Mai/2019

Spalte:

483–484

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Schmidt, Steffie

Titel/Untertitel:

Professoren im Norden. Lutherische Gelehrsamkeit in der Frühen Neuzeit am Beispiel der theologischen Fakultäten in Kopenhagen und Uppsala.

Verlag:

Göttingen: Vanden-hoeck & Ruprecht 2018. 376 S. = Forschungen zur Kirchen- und Dogmengeschichte, 116. Geb. EUR 75,00. ISBN 978-3-525-57058-6.

Rezensent:

Dietz Lange

Das nur scheinbar abseitige Thema dieser Göttinger Dissertation von Steffie Schmidt ist historisch durchaus interessant. Die Reformation wurde in Dänemark und Schweden »von oben« durch die Könige Gustav Vasa (1527) bzw. Christian III. (1536) eingeführt, unterstützt durch eine Volksbewegung »von unten«. Ihre weitere Entwicklung verlief in Dänemark kontinuierlich, während sie in Schweden in der zweiten und dritten Generation durch die reformkatholischen Bestrebungen Johans III. sowie durch den Versuch seines Sohnes und Nachfolgers Sigismund, das Land zu rekatholisieren, gestört wurde, so dass es bis zum Uppsala kyrkomöte (Synode) 1593 dauerte, bis sie sich durchgesetzt hatte. Doch seitdem waren beide Länder einheitlich lutherisch. Die Verwüstungen des Dreißigjährigen Krieges blieben ihnen erspart. Andererseits hatten die Kirchen und theologischen Fakultäten beider Länder aufgrund der peregrinatio academica zunächst der Theologiestudenten und später der Professoren nach Deutschland, insbesondere nach Wittenberg, enge Beziehungen zum alten Reich. Es kommt hinzu, dass die Universitätsstädte Rostock und Greifswald seit 1631 schwedisch besetzt waren. Grund genug, der Frage nachzugehen, wie sich die theologische Entwicklung im lutherischen Teil Deutschlands in der Frühen Neuzeit auf die skandinavischen Länder ausgewirkt hat und ob von dort aus umgekehrt Wirkungen auf Deutschland ausgegangen sind.
Als Quellen hat die Vfn. in akribischer Archivarbeit Fakultätsordnungen, Protokolle, Vorlesungsverzeichnisse, offizielle Stellungnahmen zu theologischen Streitfragen und persönliche Briefe über den Auslandsaufenthalt von Studenten und Professoren ausgewertet. Auf diese Weise bietet sie ein differenziertes, detailreiches und anschauliches Bild der Entwicklung.
Die Arbeit ist wie folgt gegliedert: Die Einleitung (1) bestimmt als zeitlichen Rahmen die rund 150 Jahre von der Wiedereröffnung der Kopenhagener Universität unter protestantischem Vorzeichen 1537 bis zum Erlass neuer Kirchenordnungen (Dänemark 1683, Schweden 1686) und informiert über den Forschungsstand. Es folgen drei Hauptteile: Die rechtliche Verfassung der Universitäten Kopenhagen und Uppsala (2), Der Unterricht an den theologischen Fakultäten (3), Skandinavische Theologieprofessoren und das ge-lehrte Luthertum im Alten Reich (4). Jedes Stück sowie das ganze Buch schließt mit einer präzisen Zusammenfassung.
Teil 2 schildert detailliert die institutionelle Entwicklung der beiden Fakultäten. Kennzeichnend ist die enge Verflechtung mit den Kirchen u. a. durch kirchliche Ämter der Professoren, besonders ausgeprägt in Uppsala gegenüber dem katholischen König Sigismund. Akademisch entwickelte sich Kopenhagen kontinuierlich entsprechend kontinentalen Maßstäben. Als hinderlich erwies sich die häufige Betrauung der Professoren mit staatlichen Aufgaben. In Schweden oblag die Theologenausbildung wegen Schließung der Universität lange den Kathedralschulen, doch erreichte die Fakultät nach ihrer Wiedereröffnung 1595 rasch das gleiche Niveau. Allmählich verstärkte sich der Einfluss des Königs, doch blieb das Gewicht der Kirche durch die Verbindung der Ämter des Erzbischofs mit dem des Universitäts-Prokanzlers (bis 1950!) und durch die Mitgliedschaft der Professoren im Domkapitel eng. Aber der König wurde in beiden Ländern niemals summus episcopus – im Gegensatz zu anderen Staatskirchen.
Teil 3: Der akademische Unterricht für Pfarrer wurde erst allmählich obligatorisch. Inhaltlich fällt eine starke Abhängigkeit von Wittenberg ins Auge, wie nicht zuletzt das Übergewicht der Exegese zeigt, die freilich stets an dogmatischen Kriterien ausgerichtet war. Allmählich wuchs aufgrund der im alten Reich ausgefochtenen innerlutherischen Streitigkeiten das Interesse an der reinen Lehre, das sich in der Einrichtung einer eigenen Professur für Dogmatik niederschlug. Kirchengeschichte, im Kopenhagener Lehrplan kaum vertreten, hat in Uppsala, wo anders als in Dänemark jedem Professor ein Fach zugeordnet war, vor allem Erik Benzelius intensiv betrieben, besonders im Blick auf die Anfänge der Reformation (132.160–169). Das dürfte mit deren komplizierter Einführung in Schweden zusammenhängen. Allgemein wurde die jahrelange Dauer vieler Vorlesungen beklagt. (Kollegs, die im Se­mester ihr Ziel nicht erreichen, wie bis in die neueste Zeit nicht selten in Deutschland, sind nicht besser!) Private Veranstaltungen »ü berzähliger« Professoren haben das in Uppsala – vor allem für Dogmatik – teilweise kompensiert (171). Explizit berufsbezogen waren nur die Predigtübungen. Die theologischen Prüfungen wa­ren noch nicht sehr anspruchsvoll und standen im Schatten der für die Anstellung als Pfarrer wichtigeren kirchlichen Verhöre sowie in Schweden des für höhere kirchliche Ämter erforderlichen philosophischen Magistergrades.
Teil 4 beschreibt anhand persönlicher Briefe den gedanklichen Austausch von Professoren mit Kollegen im alten Reich. Die Quellen fließen dazu relativ spärlich, sind aber höchst aufschlussreich, und die Darstellung ist hier besonders farbig und lebendig. Auslandsreisen waren geradezu eine Einstellungsvoraussetzung für Theologieprofessoren; zudem dienten sie der Vernetzung mit deutschen (während des Krieges eher niederländischen) Kollegen. Sachlich geht es im Fall Kopenhagens besonders um die materielle Not der Wittenberger Professoren infolge des Krieges; theologische Themen werden in den herangezogenen Quellen weniger angesprochen. Dagegen kreisen die Briefe von Calov (Wittenberg) und Lithman (Uppsala) vor allem um Lehrfragen. Dabei spielt persönliche Freundschaft eine Rolle, aber auch die Befürchtung des Übergreifens kontinentaler »Irrlehre« auf Schweden. Der Schwerpunkt liegt hier auf dem synkretistischen Streit. Die Uppsalienser Fakultät wurde dazu mehrfach um Gutachten ersucht, die sie auch meist erteilte, freilich nicht, ohne sich beim Erzbischof abzusichern.
Das Buch bietet ein gutes Bild sowohl der institutionellen Entwicklung der beiden Fakultäten als auch der theologischen Debatten in beiden Ländern. Die Unterschiede zwischen Dänemark und Schweden werden scharf herausgearbeitet. Wohltuend ist die Um­sicht, mit der die Vfn. die Leistungsfähigkeit des Quellenmaterials und deren Grenzen beurteilt.
So zutreffend der Eindruck vom einheitlich lutherischen Charakter beider Länder seit der Reformation ist, wäre doch zu wünschen gewesen, dass das auch vorhandene reformierte Element etwas stärker berücksichtigt worden wäre. Es gab in beiden Ländern bereits im 16. Jh. Hugenotten. Ihre Zahl war zwar bis zur Aufhebung des Edikts von Nantes 1685 gering, doch bekleideten sie zum Teil einflussreiche Stellungen. So war Jean d’Herboville Hauslehrer Herzog Karls (als Karl IX. König 1604–1611). Dieser versuchte bis 1593 (vergeblich), calvinistische Interessen geltend zu machen. Die dänische Königin Charlotte Amalia (1650–1714) war reformiert und erreichte zum Missfallen der lutherischen Geistlichkeit, dass die Hugenotten 1685 ein Privileg bekamen.
Das Buch erschließt in Deutschland wenig bekannte Zusammenhänge. Es ist solide gearbeitet, geradezu detailverliebt, liest sich aber gut.