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Ausgabe:

Mai/2019

Spalte:

481–482

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Lohausen, Michael

Titel/Untertitel:

Weltdistanz und Menschennähe. Katholische Seelsorger zwischen Ausbildung und Praxisalltag in der Mitte des 19. Jahrhunderts.

Verlag:

Würzburg: Echter Verlag 2018. 212 S. = Studien zur Theologie und Praxis der Seelsorge, 101. Kart. EUR 30,00. ISBN 978-3-429-04367-4.

Rezensent:

Ludwig Mödl

In seiner in Würzburg eingereichten Promotionsarbeit (Prof. Garhammer) beschreibt Michael Lohausen (langjähriger Assistent in Bonn und Würzburg) im ersten Kapitel mit analytischem Scharfblick die pastoralgeschichtlichen Werke des aufklärungskritischen Franz Dorfmann (1910), des ideengeschichtlich ansetzenden Franz X. Arnolds und mehrerer Autoren, welche im Kontext des II. Vatikanischen Konzils auf die Geschichte des Faches schauen.
Dorfmann, der im Umfeld der harten Kritik des Historikers Sebastian Merkle (er warf den Aufklärungsgegnern »Geschichtsklitterung« vor) im Jahre 1910 eine Geschichte des Faches Pastoraltheologie vorlegte, beschreibt darin die einzelnen Etappen unter dem Gesichtspunkt staatlicher und kirchlicher Interessen. Die staatliche Überdominanz der Anfangszeit fand eine Korrektur durch Johann M. Sailer und die Tübinger Schule, welche durch Autoren wie Josef Amberg ein System fanden. Franz X. Arnolds Geschichtsinterpretation sieht die Pastoraltheologie als eine Wissenschaft, welche die Praxis der Kirche daraufhin anschaut, »ob sie entsprechend Gottes Heilswillen für die Welt tätig (geworden) ist oder nicht«. Dabei werde deutlich, »dass […] der Ultramontanismus nur die Fortführung der Aufklärung mit anderen Mitteln« war. Im dritten Abschnitt des 1. Kapitels skizziert L. Interpretationsansätze für die Behandlung der Pastoralgeschichte nach dem II. Vatikanum, wobei Norbert Schuster eine Kleruszentrierung und ekklesiologische Enge kritisiert, Norbert Mette eine Verengung des Blicks in der Tatsache sieht, dass nicht die Idee der Kirche, sondern die konkrete Kirche selbst zum Ansatz der Reflexion genommen wurde, und Walter Fürst mögliche »unbewusst gebliebene Konstitutionsmomente« mit Blick auf die christliche Option von Freiheit hervorhebt.
Im zweiten Kapitel geht es um die Umstände des seelsorglichen Handelns, die bestimmt sind von der Säkularisation und dem Ultramontanismus. L. bindet in seine Argumentation vor allem die Analysen von Rainer M. Bucher und Michael N. Ebertz ein. Bucher stellt dar: Je mehr sich die Freiheitsidee gesellschaftlich durchsetzte, umso weiter klafften Kirche und Moderne auseinander. Eine Individualisierung der Frömmigkeit einerseits und eine Zentrierung und Judifizierung von Kirche und Theologie andererseits formten sich aus, was zum einen eine Intensivierung des »Kernbereichs« (Messe, Sakramente) und zum anderen eine enorme Erweiterung der Volksfrömmigkeit zur Folge hatte, wobei zusätzlich der Verbandskatholizismus und eine einheitliche Theologie, welche eine »Installation der Dauer« suchte, wirksam waren. Michael N. Ebertz deutet diese Entwicklung unter dem Aspekt einer »Priesterkirche«, wobei das Papsttum als die »konzentrierteste Version des Katholischen« zum einen durch die basisgemeindlichen Zirkel »von unten« und zum anderen durch den Anspruch der Päpste »von oben« als letzte Ordnungsmacht in der Kirche gesehen wurde, der Papst also als »Oberbischof« fungierte. Durch die Tatsache, dass in der Organisationsstruktur nur Priester in hierarchischer Stufung als Kirchendiener und damit als Heilsvermittler eingesetzt wurden, definierte sich die Kirche als »Gnadenanstalt«.
Im dritten Kapitel schwenkt L. von der Makroebene (gesamtgesellschaftlich) auf die Mikroebene der Tätigkeitsbereiche der Seelsorger. Er tut dies in vier Feldern, (1.) dem Seminarkonzept des Karl August Graf von Reisach in Eichstätt, das einen hochgebildeten, auf Abstand zur Gesellschaft bedachten Priester bilden wollte, (2.) dem Erfolg des »Ultramontanismus« beim Volk, der eine klare und sichere katholische Sonderwelt anbot, (3.) in der Klerikerexistenz, welche eine »umfassende Repräsentation von Kirche und Religion« zeigte und zugleich voll in den »Alltagsabläufen« eingebunden war, was sich (4.) an Klerikerbiographien zeigen lässt.
Die brillante Analyse der Darstellungen der »Geschichte der Pastoraltheologie« im 1. Kapitel sowie die ebenso brillante Zusammenführung bedeutender Interpretationstheorien im 2. Kapitel öffnen den Blick für eine Kontextualität des Gewesenen, lassen vieles von dem, was im 19. Jh. geschehen ist, besser verstehen und weisen auf Fragestellungen hin, welche für heute wichtig werden können. Die Darstellungen der praktischen Felder im pastoralen Handeln des 3. Kapitels hätten allerdings noch um einiges erweitert werden können, was vom Haupttitel »Weltdistanz und Menschennähe« zu erwarten gewesen wäre. Die im kurzen 4. Kapitel (Epilog) gefassten Gedanken kritisieren jene Interpreten, welche die Fachgeschichte nur als Negativfolie für gegenwärtige Theorien betrachten. Ein kurzer Blick in die protestantische Darstellung der Fachgeschichte zeigt (vor allem im Bereich der Ausbildungsfragen) viele Parallelen. Am Ende überrascht der Hinweis, dass die katholische Erzählliteratur eine fruchtbare Ergänzung der Reflexionen in der Pastoralgeschichte gewesen ist. Das Buch stellt eine bedeutende Reflexion über die Geschichte des Faches Pastoraltheologie dar.