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Ausgabe:

Mai/2019

Spalte:

473–475

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Kirsch, Mona

Titel/Untertitel:

Das allgemeine Konzil im Spätmittelalter. Organisation – Verhandlungen – Rituale.

Verlag:

Heidelberg: Universitätsverlag Winter 2016. 655 S. = Heidelberger Abhandlungen zur Mittleren und Neueren Geschichte. Neue Folge, 21. Geb. EUR 68,00. ISBN 978-3-8253-6253-9.

Rezensent:

Jennifer Wasmuth

Die »kulturalistische Wende« hat in den Geschichtswissenschaften nicht nur die Entstehung einzelner interessanter Forschungsarbeiten angeregt, sondern zur Etablierung gänzlich neuer Forschungsparadigmen geführt. Dazu gehört in der Mediävistik die Ritualforschung, in der u. a. Versammlungen als Orte öffentlicher Inszenierung einen gesonderten Forschungsgegenstand darstellen. Während jedoch Versammlungen wie Hof- und Reichstage als vielfältig untersucht gelten dürfen, trifft dies nicht auf Konzilien zu, wiewohl deren Bedeutung als Schlüsselereignisse der mittelalterlichen Geschichte außer Frage steht.
Diesem Desiderat begegnet die Studie von Mona Kirsch, die im Jahre 2013 von der Philosophischen Fakultät der Universität Heidelberg als Dissertation angenommen wurde. Im Rahmen des Sonderforschungsbereichs »Ritualdynamik« entstanden, wird hier das »allgemeine Konzil«, dessen Definitionsproblematik sich K. wohl bewusst ist (vgl. 34–53), als »Makroritual« in den Blick genommen und in einer »diachron-vergleichenden Perspektive« untersucht. Im Zentrum steht mit anderen Worten die Frage, »welche im Verlauf des Mittelalters immer wieder auftretenden Merkmale der Konzilsfeier den Versammlungstypus prägen und welche Veränderungen und Dynamiken die historische Entwicklung der Versammlungsform bestimmen« (12).
Die Studie folgt einer klaren Gliederung: Nach Entfaltung der leitenden Fragestellung und des methodischen Ansatzes sowie einem Überblick zur Konzilsforschung (Kapitel I) wird die Genese der mittelalterlichen Konzilsordines von der ersten schriftlichen, auf die Synode von Toledo (653) zurückgehenden Überlieferung bis zum beginnenden 15. Jh. dargestellt (Kapitel II). Für das Verständnis der anschließend behandelten Konzilien ist die historische Einordnung und vergleichende Analyse dieser vornehmlich aus liturgischen Texten bestehenden Ordines im Sinne eines »präskriptiven Handlungsgerüsts« eine wichtige Voraussetzung, als Gattungsgeschichte ist sie auch für sich genommen interessant. In den beiden Hauptkapiteln werden sodann die Konzilien von Lateran IV (1215) bis Vienne (1311/12) (Kapitel III) sowie von Perpignan, Pisa und Cividale (1408/09) (Kapitel IV) auf ihre »handlungsleitenden Strukturen« hin untersucht, wobei thematisch jeweils nach Gesichtspunkten der Vorbereitung, Organisation, Verhandlung und Inszenierung unterschieden wird. Der versierte Durchgang durch knapp 200 Jahre Konziliengeschichte, bei dem gleichermaßen eine fundierte Quellenkenntnis wie die Fähigkeit zur Konzentration auf die leitende Fragestellung hervortreten, mündet in die Bündelung der Ergebnisse unter den Stichworten der Wiederholung und Weiterführung, der Formalisierung, der Zeremonialisierung, der Hierarchisierung und der Traditionalisierung (Kapitel V). Die Darstellung schließt mit einem allerdings sehr kurz geratenen Resümee und Ausblick (Kapitel VI). Im Anhang wird eine zur Orientierung hilfreiche Liste der Kardinäle geboten, die an den behandelten Konzilien zwischen 1215 und 1409 teilgenommen haben, auch aufschlussreiches Bildmaterial findet sich dort. Weiterführende Informationen bietet das ausführliche Quellen- und Literaturverzeichnis.
An der minutiösen Beschreibung der Strukturelemente der Konzilien in ihren Kontinuitäten und Veränderungen erscheint im Ergebnis besonders bemerkenswert, dass sich ein legitimierender Rückgriff auf vorangegangene Konzilien zwar vereinzelt bereits im 13. und 14. Jh. beobachten lässt, dass von einer »Traditionalisierung« im Sinne der Konstruktion einer Kontinuität der Konzilien jedoch erst im 15. Jh. die Rede sein kann. Das 15. Jh. gerät damit als historische Wendemarke in den Blick, was zumal angesichts der in ihrer historischen Bedeutung unbestrittenen Konzilien von Konstanz (1414–1418) und Basel-Ferrara-Florenz-Rom (1431–1445) die Frage nach der weiteren Entwicklung aufwirft. K. umreißt die Frage selbst in ihrem Resümee, kann sie in ihrer mit 655 Seiten für eine Dissertation ohnehin umfangreichen Arbeit jedoch nicht beantworten. Hier ist ein dringender Forschungsbedarf angezeigt, für den die vorliegende Arbeit allerdings inhaltlich wie auch methodisch wichtige Voraussetzungen bietet.
Die Fokussierung auf eine Beschreibung von strukturellen Formen und ihren Entwicklungen mag dem mehr an kirchlichen Reformvorhaben und theologischen Sachfragen interessierten kirchenhistorischen Blick »äußerlich« erscheinen. K. will mit ihrer Arbeit die Bedeutung dieser Aspekte allerdings nicht in Abrede stellen; dass Konzilien »polyvalente Phänomene« (18) sind, ist ihr bewusst. Das Ziel ist vielmehr, in den konzilsspezifischen Abläufen und Handlungsmustern die zeittypischen Formen symbolischer Kommunikation aufzudecken: welche »Botschaft« der Wahl des Konzilsortes, der Sitzordnung, der Bestimmung der Verhandlungsthemen, der Inszenierung von Konzilsurteilen (etwa in Gestalt der »brennenden Päpste«) etc. innewohnt. Dabei wird nach verfügbaren Quellen auch das Verhältnis zwischen Anspruch und Wirklichkeit erkundet und hier etwa die mitunter frappierende Diskrepanz zwischen der offiziellen kurialen Darstellung und den Schilderungen zeitgenössischer Beobachter freigelegt.
Wenn das Konzil damit insgesamt als »Ritual zur Krisenbewältigung« (490) in Erscheinung tritt, das auf eine Durchsetzung und Stabilisierung von kirchlichen Machtinteressen gerichtet war, so weisen die von K. behandelten Konzilsordines zugleich auch in eine andere Richtung: In ihrer präskriptiven Funktion unterstreichen die liturgischen Rahmenstücke den gottesdienstlichen Charakter der Konzilien (»Veni creator Spiritus«) und damit das Selbstverständnis von Versammlungen, die, zweifellos von manifesten politischen Absichten bestimmt, einer genuin theologischen Agenda folgten. Die vorliegende Arbeit vermag damit auf ihre Weise den höchst ambivalenten Charakter der mittelalterlichen Konzilien eindrucksvoll vor Augen zu führen.