Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Mai/2019

Spalte:

467–468

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Althoff, Gerd

Titel/Untertitel:

Kontrolle der Macht. Formen und Regeln politischer Beratung im Mittelalter.

Verlag:

Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2016. 360 S. Geb. EUR 49,95. ISBN 978-3-534-26784-2.

Rezensent:

Elisa Victoria Blum

Wie funktionierte im Mittelalter Herrschaft ohne eine staatliche Ordnung im heutigen Sinn? Wie wurden Entscheidungen herbeigeführt, die sich auf den Konsens der Mächtigen stützen konnten, ohne schriftlich fixierte Gesetze?
Mit »Kontrolle der Macht. Formen und Regeln politischer Beratung im Mittelalter« legt der Senior Professor für Mittelalterliche Geschichte der Universität Münster, Gerd Althoff, ein Buch vor, das aus seinen vorherigen Studien zur Bedeutung der Gruppenbindung im Mittelalter, zu den Spielregeln mittelalterlicher Politik und zur symbolischen Kommunikation erwachsen ist, in denen er auf die Frage gestoßen war, nach welchen Formen und Regeln Beratungen im Mittelalter stattgefunden haben.
Die konkrete Beratungssituation als ein Ereignis, das sich hinter verschlossenen Türen vollzieht, entzieht sich allerdings der Sache nach einer Dokumentation durch die mittelalterlichen Quellen. Diesem Umstand ist es geschuldet, dass eine systematische Untersuchung bislang nicht erfolgte. A. wagt sie nun dennoch, vor allem, weil er die Quellenlage aufgrund der inzwischen angesammelten Fülle an Belegen für aussagekräftig genug hält und diese somit eine genauere Analyse in »chronologischer Folge und vergleichender Perspektive« (9) zulässt. Dabei zielt er nicht auf eine Rekonstruktion einzelner Ereignisse ab, sondern sucht Anhaltspunkte für ein Regelverständnis des Vorgangs. Nach wie vor äußern sich nämlich die Quellen zu normativen Grundlagen der Beratung nur sehr spärlich. So bleibt ungeklärt, zu welchen Themen der König eine beratende Versammlung einzuberufen hatte und wie sich die Mitglieder einer solchen zusammensetzten. Deutlich wird aber hingegen, dass es durchaus Protest unter den Großen gab, wenn eine der ungeschriebenen Regeln verletzt wurde. Auch wird ersichtlich, dass die hier unternommene »Geschichte der Beratung weitgehend entlang einer Geschichte des Umgangs mit Problemen und Konflikten« (29) verläuft. Wie so oft ist also auch hier die Geschichtswissenschaft angewiesen auf glückliche Zufälle wie die Überlieferung des Paschasius Radbertus oder des Hincmar von Reims, der in seiner Beratertätigkeit sowohl Huld als auch Ungnade erfuhr, dies kritisch und kommentierend reflektierte und damit bis heute Einblick in die Beratung zur Zeit der Karolinger bietet. Unverzichtbar ist ferner das indiskrete Werk des Bischofs Thietmar von Merseburg, der zur Weitergabe wertvollen Wissens an seine Nachfolger den Schleier der Verschwiegenheit lüftete und manche Vorgänge somit auch für die heutige Forschung transparent macht.
A. stellt die These auf, dass »die Beratung […] den Ratgebern die Möglichkeit [gab], Einfluss auf die Entscheidung auszuüben; der König […] aber auch die Möglichkeit [hatte], die Beratung in seinem Sinne zu lenken und zu dominieren.« (9) Er geht davon aus, dass Versammlungen erst einberufen wurden, wenn in Vorklärungen ein Konsens sich bereits abzeichnete. Wortmeldungen gemäß der Rangfolge der Teilnehmer sowie abgesprochene Rollen verliehen sodann den »formellen Beratungen aber den Charakter von Inszenierungen, in denen ein vertraulich vorbereiteter Konsens öffentlich bestätigt wurde« (22).
Durch das Werk zieht sich sodann die Frage nach Partizipation der Großen sowie der die Kirche repräsentierenden Bischöfe an der Macht und nach deren Kontrollfunktion gegenüber dem König einerseits; andererseits der Verdacht, dass Beratungen in einigen Fällen auch ein »abgekartetes Spiel« gewesen sein könnten, da dem König einige Mittel zur Verfügung standen, die Beratung in seinem Sinne zu beeinflussen.
Gegliedert ist die Untersuchung durch die vier Herrschergeschlechter der Karolinger, Ottonen, Salier und Staufer, wobei einzelnen Herrschern wie Ludwig dem Frommen oder Heinrich II. berechtigterweise besondere Aufmerksamkeit zuteilwird.
Auch der Investiturstreit als prominenter Konflikt zwischen Kirche und Staat oder Papst und König erhält besondere Beachtung, wobei das Verhältnis von Kirche und König bereits vorher zur Sprache kommt.
Für den theologisch interessierten Leser wird von Interesse sein, wie die Bischöfe – auch dank ihrer Unabhängigkeit vielgeschätzt – ihre Beratertätigkeit biblisch rechtfertigten. Neben der Zuständigkeit für das Seelenheil aller Menschen begründeten sie die Aufsicht über den König vornehmlich mit Bibelstellen der weisheitlichen Bücher des Alten Testaments, die zum einen die Bedeutung des Rats durch andere betonen sowie moralisch auf den Willen Gottes < /span>verweisen. Schon 829 zitieren die in Paris tagenden Bischöfe die gelasianische Zwei-Gewalten-Lehre und hinterlassen mit ihrer ausführlichen Verschriftlichung der Ergebnisse des Consilium Parisiense erstmalig einen Kanon christlicher Argumente zur Be-urteilung einer Herrschaft. Gleichzeitig aber verstanden sich die Herrscher als eingesetzt von Gottes Gnaden – eine Vorstellung, die besonders mit dem 10. Jh. das Selbstverständnis der Könige gegenüber der Kirche prägte und das Verhältnis nicht selten umkehrte, so dass »die Spannung zwischen der königlichen und der bischöflichen Rolle […] sich mal in die eine, mal in die andere Richtung entlud.« (89) Und so kann man dieses Buch über weite Strecken als eines über das Verhältnis zwischen Staat und Kirche lesen, in dessen Zentrum die Frage steht, wie weit Kirche in Politik hineinzureden hat – eine Frage, die besonders in heutigen Zeiten angesichts des Vorwurfs der Hypermoral aktueller denn je ist.
A. arbeitet auch die verschiedenen Möglichkeiten der Beratung heraus: Große Beratungsrunden stehen einzelnen Beratern gegenüber, deren Existenz spätestens dann gefährdet war, wenn andere ihre Interessen beeinträchtigt sahen. Aber auch Unterhändler und Mediatoren konnten Konsens herbeiführen, ohne dass die große Versammlung einberufen werden musste. Eine Besonderheit ist mit Sicherheit die Planung des colloquiums unter Leitung Papst Gregors VII. im Investiturstreit. Wenig später wurden paritätisch besetzte Kommissionen zur Beilegung von Konflikten zwischen geistlicher und weltlicher Gewalt häufiger; anders als die Vermittler waren jene befugt, selbst Entscheidungen zur Konfliktlösung zu fällen. A. sieht in diesen Neuerungen aus der Zeit Heinrichs IV. eine Grundlage für die Schiedsgerichtbarkeit.
A. zeigt immer wieder auf, warum die ausgewählte Quelle für den Untersuchungsgegenstand von Interesse ist, und leitet so auch den weniger bewanderten Leser durch 400 Jahre Beratungsgeschichte. Gleichwohl muss eingeräumt werden, dass vom Adressaten durchaus gute Kenntnis der im Hintergrund liegenden historischen Ereignisse verlangt wird, da A. die Hintergründe der analysierten Konflikte nur umreißt.
A. schließt sein Buch mit einer Zusammenfassung, die alle Beobachtungen noch einmal beleuchtet und forschungsweisend einordnet. So endet er mit alten wie neuen Fragen – und dennoch ist ein aufschlussreicher Einblick in die Beratungsvollzüge des Mittelalters gewonnen.