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Ausgabe:

Mai/2019

Spalte:

461–463

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Mathew, Bincy

Titel/Untertitel:

The Johannine Footwashing as the Sign of Perfect Love. An Exegetical Study of John 13:1–20.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2018. XXIII, 516 S. = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament. 2. Reihe, 464. Kart. EUR 114,00. ISBN 978-3-16-155145-1.

Rezensent:

Klaus Scholtissek

Die bei Raimund Bieringer in Leuven verfasste doctoral thesis von Bincy Mathew widmet sich ausführlich einer in vielfacher Hinsicht bedeutenden Perikope des Johannesevangeliums: der Er­zählung von der Fußwaschung Jesu in Joh 13,1–20. Die komplexe Forschungs- und Auslegungsgeschichte wird ausführlich vorgestellt und bewertet (vgl. 11–39), die Verortung der Perikope im Jo­hannesevangelium im Mikro- und Makrokontext des vierten Evangeliums wird detailliert herausgearbeitet (vgl. 129–165), der metho-dische Zugang wird kritisch reflektiert, die Johannesforschung insgesamt ist durchgehend im Blick, und die theologischen Fragestellungen werden intensiv diskutiert.
Die von M. vorgetragene These steht im Titel seiner Studie. Gleich die ersten zwei Sätze der General Introduction bilden eine Art generalisierenden Rückblick auf die Beobachtungen in der exegetischen Detailarbeit am Johannesevangelium: »The Fourth Gospel draws the reader into its world through its specific characteristics, which include intricate metaphorical expression, ironic mystification, narrative twists and turns and a vibrant network of con-trasting pairs. The footwashing is one such event where reader might think s/he has a clear perception of what John means, but in reality does not« (1). Damit intoniert M. auch seinen methodischen Zugang zur Lektüre (nicht nur) von Joh 13,1–20: M. geht mit der Louvain Hypothesis davon aus, dass alle drei synoptischen Evan-gelien die primären Quellen des Johannesevangeliums insgesamt und auch für Joh 13,1–20 darstellen (vgl. 5.182–231). Für Joh 13,1–20 rekurriert M. besonders auf Lk 7,36–50 (vgl. Joh 12,1–8), Lk 22,24–27 und Mt 10,24 f.40.
Insgesamt überarbeite der Evangelist die synoptische Jesusüberlieferung theologisch kreativ mit dem Ziel, »to present a new theol-ogical insight concerning the life and death of Jesus and their effect on the lives of the disciples« (5). Zu M.s methodisch-hermeneutischer Perspektive gehört die Betonung der literarischen Einheitlichkeit des gesamten Johannesevangeliums und konsequent die Zurückweisung klassischer literarkritischer Schichtenmodelle (vgl. 2.8.152–165.167–182). Die von M. vorgetragenen Einzelexegesen tragen insgesamt dazu bei, diese Thesen zum Johannesevangelium zu plausibilisieren.
Der besondere und in der hier vorgetragenen Konsequenz innovative Ansatz der exegetischen Einzelanalysen liegt bei der von M. herausgearbeiteten chiastischen Struktur von Joh 13,1–38 und hier besonders 13,1–20:

A Identity and mission of Jesus in relation with the disciples (13:1)
B Love is denied (13:2)
C Jesus Authority (13:3)
D Example of Jesus (13:4–11)
D‘ Example to be followed (13:12–15)
C‘ Authority of the Master and the one who sent (13:16–17)
B‘ Love is affirmed (13:18–19)
A‘ Identity and mission of disciples in relation with Jesus (13:20) (vgl. 142 et passim).

Dieser chiastischen Struktur in Joh 13,1–20 folgt auch die Gliederung der Einzelanalysen. Vorausgeschaltet sind eine textkritische Diskussion, in der M. dafür plädiert, in 13,10 die vier Wörter: εἰ μὴ τοὺς πόδας als ursprüngliche Lesart anzusehen (41–68), und ein ausführlicher Durchgang zu möglichen Parallelen zur Fußwaschungserzählung in der jüdischen, griechischen und römischen Literatur (69–127). Den kulturgeschichtlichen Vergleich fasst M. in neun Beobachtungen zusammen. Dazu gehören: »None of the parallels […] present a superior person washing the feet of an inferior.« »None of the parallels […] depict footwashing as an example provided to those who are washed.« »None of the parallels […] claim – as Jesus claimed – that the washing gives them a part with the one who washes the feet.« »The biggest difference between the Johannine footwashing and the parallels is that Jesus assumes the role of a slave.« (125–127)
Die dem zugrundegelegten chiastischen Schema folgenden Einzelexegesen entwickeln ihre Stärke in den für die Leuvener Johannesforschung charakteristischen präzisen Beobachtungen zur spezifisch johanneischen Verwendung und Semantik der einzelnen griechischen Lexeme. Die Auslegung von M. ist in weiten Teilen gründlich gesichert und überzeugend. Gleichwohl kann eine kritische Auseinandersetzung methodisch bei der überaus dominanten Gewichtung der chiastischen Struktur der Verse 1–20 ansetzen: Einerseits rückt dieser Ansatz neue Beobachtungen in den Blick (z. B. die Profilierung der teils parallelen Rollen des Petrus und des Judas; das Thema Feindesliebe in 13,18; vgl. 322–328), andererseits besteht hier die Gefahr einer Blickverengung: So kann diskutiert werden, ob die bei M. genannten Überschriften zu den acht Sequenzen in 13,1–20 (s. o.) tatsächlich erschöpfend den Inhalt der jeweiligen Verse auf den Punkt bringen oder sich nicht (zumindest in Teilen) einem Systematisierungsinteresse verdanken.
Inhaltlich bleibt die genaue Verhältnisbestimmung von Fußwaschung und Kreuz Jesu im Johannesevangelium nicht durchgehend klar: Einerseits betont M. mit Joh 13,1–3 den engen Zusammenhang zwischen Fußwaschung und Kreuz bzw. Tod Jesu: »we argue that the footwashing is a symbolic prefiguration of Jesus’ death on the cross enacted during the last supper to mainfest his perfect love for his own« (3; vgl. 39.218.242–245.261.267.421). Andererseits wird dieser für die johanneische Theologie konstitutive Zusammenhang bei manchen Formulierungen dann doch nicht mehr durchgehalten: »Thus, the footwashing can be interpreted as the Son’s supreme sign of the Father’s love […] and the effect of which is the incorporation of the humankind into divine com-munion of life.« (412)
Die Studie von M. bereichert die Johannesforschung durch gründliche Einzelexegesen und eine Gesamtdeutung der johan-neischen Fußwaschungserzählung, die zu Recht die Liebe Jesu εἰς τέλος als tragenden Grund und als konkrete Gestalt in den Mittelpunkt stellt.