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Ausgabe:

Mai/2019

Spalte:

457–459

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Böhm, Christiane

Titel/Untertitel:

Die Rezeption der Psalmen in den Qumranschriften, bei Philo von Alexandrien und im Corpus Paulinum.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2017. XII, 284 S. = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament. 2. Reihe, 437. Kart. EUR 84,00. ISBN 978-3-16-154664-8.

Rezensent:

Ulrich Dahmen

Diese Studie von Christiane Böhm ist die überarbeitete Fassung einer Dissertation, die an der Christian-Albrechts-Universität Kiel, unter der Betreuung von Dieter Sänger, der sich immer schon gern in den Grenzbereichen zwischen den Testamenten bewegt hat, angefertigt wurde. Das erkenntnisleitende Interesse ist die Frage, ob die drei paradigmatisch ausgewählten Textkorpora, bei aller Diversität theologischer Strömungen im antiken Judentum, so etwas wie einen gemeinsamen frühjüdischen Diskurs über den Psalter reflektieren (1). Die Psalmen gehören unwidersprochen zu den sowohl im Frühjudentum als auch im Neuen Testament am häufigsten rezipierten autoritativen Schriften der Hebräischen Bibel. Die Frage nach Gemeinsamkeiten im Zugriff und in der Umsetzung der Psalmenrezeption ist also berechtigt, geradezu überfällig. Leitfragen bei der Untersuchung sind die Art und Weise der Verwendung, die Funktion und die Argumentationsrelevanz der verwendeten Psalmenzitate. Eine solche vergleichende Studie betritt forschungsgeschichtlich tatsächlich Neuland.
Nach einer knappen Einleitung (1–4), die das Arbeitsprogramm und das methodische Vorgehen vorstellt, gliedert sich das Buch in drei Hauptteile zur Psalmenrolle 11QPsa aus Qumran (5–83), zu 18 Psalmzitaten aus dem Allegorischen Kommentar Philos von Alexandrien (85–126) und zum Corpus Paulinum (nur 1/2Kor; Röm; 127–199). Ein viertes Kapitel »Auswertung« in rückwärts schreitender Abfolge (210–217) und ein Anhang mit einer Liste zu den paulinischen Differenzen zur LXX, Literaturverzeichnis und mehreren Registern (Stellen, Autoren, Sachen) erschließen und beschließen das Buch. Zwischenfazits und Zusammenfassungen (außer zum 3. Kapitel »Corpus Paulinum«) erleichtern den schnellen Zugriff.
Die Auswahl der zu untersuchenden Texte kann nur exemplarisch sein. Wenn für die Qumranschriften die Psalmenrolle aus Höhle 11Q herangezogen wird, liegt ein rezeptionshermeneutisch grundlegend anderes Programm vor als bei Philo und Paulus, was aber methodologisch nicht reflektiert wird. Es stellt sich die Frage, ob dann noch eine Vergleichbarkeit möglich und gegeben ist. Um wie viel ertragreicher hätten z. B. die sogenannten »Lehrerlieder« aus der Loblieder-Rolle (Hodayot) aus Höhle 1Q mit ihren Dutzenden Psalmzitaten und -anspielungen oder die Psalmen-Pesharim sein können. In der Einzelanalyse kommt die Arbeit von E. Jain (Psalmen oder Psalter?; STDJ 109, Leiden 2014) viel zu kurz, die den vorherrschenden, weitgehenden Forschungskonsens zu Umfang und Struktur von 11QPs a erheblich und erfrischend geschleift hatte. Erst in der Zusammenfassung der Ergebnisse (82 f.) wird sie stärker rezipiert, wenn 11QPsa mit Recht »als Lehr- und Gebetbuch, das einerseits der ›Installation, Rechtfertigung und Reflexion der neuen Kultpraxis‹ sowie andererseits der ›Ein- und Ausübung der neuen kultischen und liturgischen Praxis abseits des Jerusalemer Tempels‹ dient«, qualifiziert wird (83). Beachtenswert und weiterführend ist die Herausarbeitung konzentrierter armentheologischer Aspekte in der Neuzusammenstellung der Abfolge Ps 147 – 105 – 146 im vorderen Teil der Rolle (41 f.); diesem Thema ist auch ein eigener kleiner Exkurs gewidmet (31–35). Die Zusammenfassung der Er­gebnisse (82 f.213–215) bleibt dann eher im bewährten, forschungsgeschichtlich schon bekannten Rahmen.
Für Philo fällt das zusammenfassende Urteil etwas markanter aus: »Das hermeneutische Regulativ der Psalmenauslegung bei Philo ist […] die Autorität des Mose. Auf dem Weg der wahren Gotteserkenntnis […] kann allein Mose recht leiten […] Auch die Weisheit des Psalmisten ist abgeleitet von dieser Erkenntnis des Mose. Aus diesem Grund kann Philo die Psalmen in sein Streben nach Weisheit und Gottesnähe mit einbinden« (216; vgl. auch 125 f.).
Bei Paulus haben die Psalmen zusammenfassend eine argumentative und akzentuierende Funktion, werden zum Teil auch situativ verwendet (201–204). Daneben werden noch kompositorische und hermeneutische Funktionen benannt (204 f.). »Durch ihre literarisch besonders reflektierte Einbindung in die Gedankengänge des Apostels erweisen sich die Psalmzitate als ›ein konstitutiver Bestandteil der Argumentation‹. Für die paulinische Verkündigung sind sie unabdingbar« (205).
B. hat unterschiedliche Möglichkeiten und Arten und damit die Vielfalt frühjüdischer Psalmenrezeption in mehr oder weniger erratischen Blöcken nebeneinander dargestellt. Während das Kapitel über Qumran eher gediegen-solide und ein wenig enttäuschend ist, ist die Bearbeitung des Corpus Paulinum deutlich spannender und im Ergebnis differenzierter und präziser ausgefallen. Insbesondere vermisse ich Erkenntnisse und Aussagen zur Rezeptionshermeneutik; die Hinweise zu »einem je divergenten Deutehorizont« sowie der Verschiedenartigkeit der »Beiträge der jeweiligen Verfasser zum Diskurs über die Psalmen« (215; vgl. 217) sind da eindeutig zu mager. Als »signifikante Gemeinsamkeit der Rezipienten in diesem Diskurs« bleibt die allen gemeinsame »wirklichkeitserschließende und identitätsstiftende Funktion […], die sie dem Psalter zusprechen« (217). Aber das ist doch eigentlich in Psaltertext und -sammlung selbst schon angelegt und nicht unbedingt erst ein Rezeptionsphänomen. Gleichwohl bleibt diese Studie ein anregendes Buch, dem eine Vertiefung und Präzision vor allem im Blick auf rezeptionshermeneutische Fragestellungen zu wünschen ist.