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Ausgabe:

Mai/2019

Spalte:

449–451

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Kampling, Rainer, u. Ilse Müllner [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Gottesrede. Gesammelte Aufsätze von Erich Zenger zum jüdisch-christlichen Dialog. Hrsg. in Zusammenarbeit m. N. Kowalski u. J. Schneider.

Verlag:

Stuttgart: Verlag Katholisches Bibelwerk 2018. 168 S. = Stuttgarter Biblische Aufsatzbände, 65. Kart. EUR 52,00. ISBN 978-3-460-06651-9.

Rezensent:

Joachim J. Krause

1991 notierte Erich Zenger: »Ob die Schoa und das Erschrecken über ihre christlichen (Mit-)Wurzeln nun zu einem epochalen Bruch in der Christentumsgeschichte führen, der eine definitive Abkehr vom christlichen Absolutheitsanspruch und eine breit vollzogene Rückkehr zur biblischen Wahrheit von der unaufgebbaren Bindung der Kirche an das jeweils zeitgenössische Judentum bringt, wird sich erst im nächsten Jahrtausend beurteilen lassen.« (11) In dem Dazwischen, das zum Nachdenken anregt und nachdenklich macht, liegt der Reiz einer Re-Lektüre der im vorliegenden Band versammelten Aufsätze Zengers zum jüdisch-christlichen Dialog im Jahr 2018. Entstanden ist die Sammlung im Rahmen eines von den beiden Herausgebern geleiteten Forschungsprojekts, in dem der Beitrag Erich Zengers zu einer »Neubestimmung interreligiöser Relationen im Kontext der Erinnerung der Schoa« ausgelotet wird. Ausgewählt im Licht dieser spezifischen Forschungsfrage, geben die Beiträge aber zugleich auch breites und beredtes Zeugnis von theologischen Zentralthemen, die das Werk Erich Zengers bestimmten, auch und gerade das Werk des Alttestamentlers Erich Zenger.
Das belegen bereits die drei thematischen Teile, in die der Band gegliedert ist. Sie sind dem Thema Bund, Überlegungen zur Hermeneutik der zweiteiligen christlichen Bibel im Gespräch mit dem Judentum sowie der Rede von und mit Gott gewidmet. Der erste Teil enthält die Beiträge »Israel und Kirche im einen Gottesbund? Auf der Suche nach einer für beide akzeptablen Verhältnisbestimmung« (1991), »Israel und Kirche im gemeinsamen Gottesbund. Be­obachtungen zum theologischen Programm des 4. Psalmenbuchs (Ps 90–106)« (1991), »Juden und Christen doch nicht im gemeinsamen Gottesbund? Antwort auf Frank Crüsemann« (1994) sowie, gleichsam als Nachwort und neuerliche Besinnung, den knapp zwanzig Jahre nach diesen vieldiskutierten Impulsen entstandenen Aufsatz »Gottes ewiger Bund mit Israel. Christliche Würdigung des Judentums im Anschluss an Herbert Vorgrimler« (2009). Im Kern geht es den Beiträgen darum, »einen biblisch begründeten Oberbegriff zu finden, von dem aus das Verhältnis Israel – Kirche so bestimmt werden kann, daß beider Identität und Verbundenheit zum Ausdruck kommt.« (18) Das »Konzept vom ›Bund Gottes mit seinem Volk und seiner Ausweitung auf die Völker‹« (18) hierfür stark gemacht zu haben, war eine der einflussreichsten Anregungen Zengers und löste nachhaltige, theologisch ertragreiche Kontroversen aus. Umso aufschlussreicher ist die Zusammenstellung der weithin bekannten frühen Texte mit dem von 2009, in dem Zenger seinen Vorschlag in wesentlichen Teilen zurücknimmt.
Der zweite, hermeneutisch ausgerichtete Teil zeugt von »der festen Überzeugung: Ob wir Christen es ernst meinen mit der Rede von der Erneuerung des christlich-jüdischen Verhältnisses, entscheidet sich nicht zuletzt an der Erneuerung unseres Umgangs mit dem ›Alten Testament‹.« (97) Diesbezüglich stellte Zenger 1995 fest: »Das sogenannte ›Alte Testament‹ hat es bei den Christen nicht leicht. Das Vorurteil, dieser Teil der christlichen Bibel sei weniger wichtig als das Neue Testament, ja man brauche dieses ›alte‹ Testament eigentlich nicht für das Christsein und die christliche Theologie könne gut ohne es auskommen, ist bei Durchschnittschristen und nicht wenigen Theologen verbreitet.« (71) In einer Zeit, in der diese Auffassung auch und gerade in der wissenschaftlichen Theologie fröhliche Urständ feiert, lesen sich manche der pointierten Überlegungen Zengers wie Einwürfe zu unseren aktuellen Debatten. Im Einzelnen handelt es sich um die Aufsätze »Zum Versuch einer neuen jüdisch-christlichen Bibelhermeneutik. Kleine Antwort auf Horst Seebass« (1994), »Das Erste Testament zwischen Erfüllung und Verheißung« (1995), »Die grund-legende Bedeutung des Ersten Testaments. Christlich-jüdische Bibelhermeneutik nach Auschwitz« (2000), »Was die Kirche von der jüdischen Schriftauslegung lernen kann« (2003) und »›Eines hat Gott geredet, zweierlei habe ich gehört‹ (Ps 62,12). Von der Suche nach neuen Wegen christlicher Bibelauslegung« (2009).
Der dritte Teil eröffnet mit »Das Gottesbild des Alten Testaments« (1988), um dann in »›Gott hat keiner jemals geschaut‹ (Joh 1,18). Die christliche Gottesrede im Angesicht des Judentums« (2005) mit dem feinnervigen theologischen Problembewusstsein, das Erich Zenger eigen war, gerade die »Gottesfrage« als »das empfindliche Zentrum allen jüdisch-christlichen Dissenses« herauszustellen (133, mit Zitat von Clemens Thoma). Wohl nicht zufällig schließt der Band danach mit zwei Beiträgen zum Gebet: »Psalm 73 als christlich-jüdisches Gebet« (1992) und »›Ich aber sage: Du bist mein Gott‹ (Ps 31,14). Kirchliches Psalmengebet nach der Schoa« (2001).
»Dem Mose wird das Geheimnis des alttestamentlichen Gottes nicht geoffenbart, daß er sich nun in der Wüste eine Kapelle baut« (122) – und diese Kapelle hat auch Erich Zenger sich nicht gebaut. Vielmehr zeigt ihn der Band als engagierten Zeitgenossen, für den alttestamentliche Exegese und christlich-jüdisches Gespräch gerade nicht zwei separate Betätigungsfelder waren. Der Leser erhält Anteil an den Früchten dieses Gesprächs in Form von belangvollen Exegesen, aus ihnen erwachsender theologischer Überlegungen, die zum Teil von größtem Einfluss auf die Entwicklung des christlich-jüdischen Dialogs im deutschsprachigen Raum waren, und nicht zuletzt einer wahren Fülle von Zitaten: klassischer rabbi-nischer Auslegungen bis hin zu Levinas, Heschel oder Hans Jonas. Den Herausgebern ist zu danken für einen Band, der ein helles Licht auf eine theologische Existenz wirft. Umso mehr mag man sich fragen, ob es nicht sinnvoll gewesen wäre, Erich Zenger tat sächlich als Autor anzugeben, anstatt ihn im Untertitel zu ver-stecken.