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Ausgabe:

April/2019

Spalte:

388–390

Kategorie:

Interkulturelle Theologie, Missionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Pharo, Lars Kirkhusmo

Titel/Untertitel:

Concepts of Conversion. The Politics of Missionary Scriptural Translations.

Verlag:

Berlin u. a.: De Gruyter 2018. XII, 318 S. = Religion and Society, 70. Geb. EUR 99,95. ISBN 978-3-11-049988-9.

Rezensent:

Heinrich Balz

Dass Bücher über Probleme der Übersetzung in mittelamerikanische Sprachen in der Theologischen Literaturzeitung besprochen werden, ist eher ungewöhnlich. Missionswissenschaftler kommen als Leser in Frage. Bibelwissenschaftler, besonders Neutestamentler, sind mit neuerer Sprachwissenschaft nicht sonderlich erfolgreich in Berührung gebracht worden, man denke an die »Linguistische Theologie« von E. Güttgemanns in den 1970er Jahren. Andere Aspekte der neuen amerikanischen Übersetzungstheorie von E. A. Nida wurden unter dem Leitwort »Kommunikation« ins Gespräch gebracht, 1978 von H. Balz und zuletzt 2013 von S. Felber, doch da geht es um die Bibel auf Deutsch. Das anspruchsvolle und spröde Werk des norwegischen Sprach- und Religionswissenschaftlers Lars Kirkhusmo Pharo über Bibelübersetzungen in Mittelamerika stößt also beim deutschen theologischen Leser nicht auf spontanes Interesse. Und dennoch lohnt es, vorgestellt zu werden.
P. betont die grundsätzliche Bedeutung von Bibelübersetzung für kleine indigene Gesellschaften: Ihnen wird Fremdes aufgenötigt durch das Neue Testament in ihrer Sprache, nämlich eine universale Religion, die mit ihrer angestammten Kultur unvereinbar ist. In großem Maße geschieht dies durch die Wycliffe Bible Translators und ihren wissenschaftlichen Zweig SIL. Genauer untersucht P. dies an zwei mexikanischen Sprachen, Nahuatl und Mixtec, deren Sprecher seit langer Zeit mit Spanisch in Berührung, also zweisprachig sind. Wie Bekehrung/Konversion in solche Sprachen eingeht, ist von »semiotischen Ideologien« bestimmt, nämlich de­ nen der fremden Übersetzer, in kolonialer Zeit der spanischen katholischen Missionare und nun postkolonial von denen der amerikanischen evangelikalen Protestanten. Diese sind keine von wortwörtlicher Genauigkeit getriebenen Fundamentalisten, sie suchen vielmehr unter Berufung auf E. A. Nida die »dynamische Äquivalenz«, welche die neuen Hörer oder Leser so reagieren lässt wie die ursprünglichen Empfänger des Texts. Die Schwierigkeit missionarischen Bibelübersetzens ist exemplarisch zu sehen am Übersetzen von Bekehrung und Umkehr/Reue, Ideen, die in der Empfängersprache so schlicht nicht existieren. Aus dieser und anderen Beobachtungen schließt P. in grundsätzlichem Pessimismus: Die Übersetzer versuchen das Unmögliche, sie haben die in den Sprachen s ich ausdrückenden Weltanschauungen – er nennt sie »Philosophien« – nicht begriffen. Darum ist auch ihr Anspruch, durch Übersetzung indigene Sprachen und Kulturen zu erhalten, illusorisch: Sie nehmen ihnen ihr Wesen.
In Teil II und III geht P. damit über die sprachliche Übersetzung hinaus und gibt ein Bild der Nahua und Mixtec Gesellschaft, besonders ihrer angestammten Religion: Die katholisch koloniale Strategie kam mit ihr im Ganzen besser zurecht als die neue evangelikale, die sich im exklusiven sola scriptura verfängt, wo die Ka­tholiken besser den Anschluss fanden an das Pantheon der alten Religion. P. bringt ein buntes Panorama an einheimischen Missverständnissen vor; nicht gesunder Sprachwandel, sondern radi-kale Veränderung findet durch das Übersetzte statt und entfremdet die Empfänger ihrer eigenen Sprache. Universalien, wie sie N. Chomsky für alle menschlichen Sprachen annimmt, gibt es nicht, was die Bibelübersetzer bringen, ist, wie in G. Orwells bekanntem Roman, newspeech, von den Starken den Schwachen politisch aufgezwungen.
Als »Christian moral philosophy« behandelt P. in Teil IV die Semantik von Sünde und Heil/Errettung. In nichtsoteriologischer Religion gibt es ewiges Heil und Verdammnis nicht, so müssen andere Vorstellungen wie Befreiung in die Empfängersprache eingesetzt werden. Ewige Strafe für diesseitige Verfehlung ergibt keinen Sinn, weil ein haftbares vereinzelbares Individuum fehlt, »Confession« gibt es in der alten Religion im Sinne von Beichte, nicht von Bekenntnis, aber sie geschieht vor der Gemeinschaft, nicht vor der Gottheit.
Teil V führt konzentrisch von der christlichen Moralphilosophie weiter zur übersetzten Christologie und zum ethischen Dualismus von Christus und Teufel, Gut und Böse. Dies alles ist in solcher Schärfe in der alten Sicht nicht vorhanden – wohl aber, und das ist der Schlusspunkt: Ein Retter und Heiland ist bekannt, oft identifiziert mit der Sonne. Freilich ist er als solcher nicht ausschließlich, sondern einer von mehreren im Pantheon, und was interessiert, ist nie seine Auferstehung, sondern allein sein Opfertod. – Ein Rückblickskapitel wiederholt die Grundthese: Bibelübersetzung in Mittelamerika verstößt gegen die kulturelle Selbstbestimmung der Ethnien, sie ist »linguicide« und »culturcide«, weil sie das alte Angestammte durch radikale Umwandlung, durch Akkulturation zum Verschwinden bringt.
Am Rande bleibt zu notieren, dass bei dem Druck des Buches keine hinreichende Korrektur vom Verlag gelesen wurde. Es stören ungewöhnlich viele Rechtschreib- und Tippfehler. Das s bei englischen Verbformen in der dritten Person Singular Präsens ist zu­meist weggelassen, aber auch dies nicht konsequent.
Eine radikale, von der Verschiedenheit von Weltsichten – von P. in seinem Werk eher umgangssprachlich »Philosophien« genannt – ge­tragene Grundüberzeugung durchzieht das ganze Buch und be­stimmt seinen Anspruch auf Novität. Doch diese behauptete, nicht bewiesene und logisch auch nicht beweisbare These be­stimmt nicht das Ganze. Neben ihr läuft eine gedämpftere, fast kooperative Linie, die für nicht gelungene, ideologische WBT-Übersetzungen bessere und angemessenere in Vorschlag bringt. Nicht völlig entschieden scheint P. auch darüber, ob die missionarischen Bibelübersetzungen immer nur notwendig zerstörerische Wirkung bei den Empfänger-Ethnien haben. Den Übersetzern von SIL/WBT ist die Lektüre der Untersuchung in jedem Fall zu empfehlen. Auch wenn sie sich vom Gesamturteil P.s wohl nicht von ihrem Unternehmen abbringen lassen werden, gibt P. ihnen doch eine detailreiche Problemsammlung zur Aufgabe des missionarischen Bibelübersetzens. Dass es bei der Begegnung von mächtigen mit schwachen Kulturen in der Akkulturation und Inkulturation außer um Sprache immer auch um Macht und Dominanz geht, sollten sie sich von P. sagen lassen und auf ihre eigene Weise weiter bedenken.
Für Exegeten, spezieller Neutestamentler, ergibt sich aus P., wenngleich eher indirekt, die Bedeutung der Vorgeschichte neu-testamentlicher Grundbegriffe. P. entnimmt die Bedeutung, den »christlichen« Sinn von Bekehrung, Umkehr, Heil und Verdammnis den Lehrerklärungen der Evangelikalen. Zur Sprache des Neuen Testaments bezieht er sich nur auf W. Bauers Wörterbuch; das andere umfassendere Werk von G. Kittel kennt er nicht, dem er zur Vorgeschichte der Grundbegriffe vieles hätte entnehmen können, was den Abgrund der Unvergleichbarkeit zwischen amerikanischen Evangelikalen und Mesoamerikanern erheblich relativiert hätte.
P. distanziert sich, was seinen eigenen Begriff von Sprache an­geht, von der kultur-»deterministischen« Sicht von E. Sapir und B. Whorf, er hätte auch Humboldt nennen können. Er sieht selber aber gleichwohl bei den Ethnien Mittelamerikas die Sprache als verlässlichen und unmittelbaren Ausdruck dessen, was sie denken können und was nicht. Richtig ist, dass politics, strategy, Aggression und Dominanz in Sprache eingehen können, aber das macht noch nicht den Begriff von Sprache als solcher aus. Sie hat auch darstellende, informative Funktion. Zuletzt ist das Problem, was P. auch gelegentlich andeutet, nicht eines von Sprache, sondern von Religion und Religionen: Er will, dass es nur runde, in sich abgeschlossene Religionen geben soll, nicht universale und missionarische: Sie will er delegitimieren. Aber es gibt sie, und nicht nur als christliche.