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Ausgabe:

April/2019

Spalte:

384–385

Kategorie:

Interkulturelle Theologie, Missionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Burlacioiu, Ciprian

Titel/Untertitel:

»Within three years the East and the West have met each other«. Die Genese einer missionsunabhängigen schwarzen Kirche im transatlantischen Dreieck USA-Südafrika-Ostafrika (1921–1950).

Verlag:

Wiesbaden: Harrassowitz Verlag 2016. X, 365 S. m. 88 Abb. u. 3 Tab. = Studies in the History of Christianity in the Non-Western World, 27. Geb. EUR 68,00. ISBN 978-3-447-10527-9.

Rezensent:

Michael Hochgeschwender

Die kompakte, aber materialreiche und durchaus quellengesättigte Habilitationsschrift des Münchener Christentumshistorikers Ciprian Burlacioiu zeigt, wie interessant und weiterführend es sein kann, sich jenseits ausgetretener Pfade zu bewegen und Phänomene zu untersuchen, die nicht so recht zum etablierten Bild der Missionsgeschichte Afrikas im Zeitalter des Hoch- und Spätimperialismus passen wollen. Man erkennt bald, wie sehr er in seiner Herangehensweise, bei aller Eigenständigkeit und Originalität, auch vom Geist der von Klaus Koschorke begründeten Münchener Schule der globalen Christentumsgeschichte beeinflusst ist. Es handelt sich um eine Studie, die durchgehend ernst damit macht, die Geschichte des kolonialen Christentums in Afrika global und transnational zu verorten. Zur Abwechslung geht es dabei nicht um Mission und Missionare, sondern, wenn man so will, um Formen der Selbst-christianisierung durch Kommunikation. Und damit eröffnet sich eine zweite, für den Münchener Ansatz typische Perspektive, derer sich B. souverän zu bedienen weiß, nämlich die Frage nach der Intensität und der Bedeutung transnationaler kommunikativer Netzwerke, die in diesem Fall speziell durch Zeitungen schwarzer US-amerikanischer Aktivisten aus dem Umfeld der United Negro Improvement Association (UNIA) begründet wurden. Aber was ge­nau war geschehen?
Im Jahre 1921 gründete ein afroamerikanischer Prediger aus dem Umfeld des aus der Karibik stammenden radikalen Politaktivisten Marcus Garvey, George Alexander McGuire, eine eigene Kirche, die African Orthodox Church, die sich, für eine US-amerikanische black church eher ungewöhnlich, der Tradition der heiligen Orthodoxie und nicht derjenigen des Erweckungscalvinismus verpflichtet fühlte und dementsprechend eine bischöfliche und pries-terliche Hierarchie, eine orthodoxe Liturgie und die Lehre von den sieben Sakramenten annahm. Dies verdankte sich der in schwarzen Aktivistenkreisen zeitgenössisch sehr ausgeprägten politisch be­dingten Wertschätzung des äthiopischen Kaiserreichs und seiner christlichen Tradition.
Der Panäthiopismus war gleichermaßen eine Folge des Sieges Menelik II. über ein italienisches Invasionsheer 1896 bei Adua wie des sowohl in Europa wie in den USA, primär in New York, damals weit verbreiteten panafrikanischen Exotismus in Kunst und Literatur. Marcus Garvey verhielt sich gegenüber der neuen, noch recht bedeutungslosen orthodoxen Kirche eher zurückhaltend, aber in der Negro World (bekanntlich war das Wort negro damals noch nicht dem Verdikt mangelnder politischer Korrektheit verfallen), dem weltweit vertriebenen Organ der UNIA, wurde immerhin die Gründung der AOC gemeldet. Unabhängig voneinander lasen in Britisch Ostafrika, Südrhodesien und in Südafrika Angehörige der indigenen schwarzen Mittelklasse diesen Artikel, der bei ihnen eine bis dahin nur eher angedeutete religiös-politische Saite zum Klingen brachte. Unzufrieden mit der in ihren Augen anti-traditionellen protestantischen Frömmigkeit der schwarzen Missionskirchen, suchten sie nach einer genuin indigenen, aber traditionstreuen Liturgie, Theologie und Spiritualität. Wieder unabhängig voneinander, aber im Kontakt mit der AOC-Führung, dann aber auch untereinander verbunden, gründeten sie eigene Ableger der AOC im britisch beherrschten Afrika. Dieser erste Teil der vorliegenden Studie besticht durch die Exaktheit, mit der die verschiedenen Kommunikationswege nachgezeichnet werden können, und zeigt, wie autark, auf eigene agency gestützt, kolonisierte Indigene handeln konnten. Einzig eine etwas kritischere Sicht auf Garvey wäre unter Umständen angemessen gewesen, denn Garvey war eben nicht nur ein Radikaler, sondern er wies deutliche Züge eines in der Semantik protofaschistischen Populismus auf.
B. schildert im Anschluss ausführlich, gut lesbar, nicht ohne leise Ironie, aber immer wohlwollend, ohne unkritisch zu werden, das Entstehen und – nicht besonders heftige – Wachstum der afrikanischen Orthodoxie, ihre inneren Kämpfe, vor allem aber ihre kommunikativen Strukturen und ihre Beziehungen zur US-amerikanischen Mutterkirche. All dies war zu keinem Zeitpunkt einfach. Insbesondere in Ostafrika stellte sich den schwarzen, unabhängigen Orthodoxen ebenso wie den etablierten Missionskirchen das Problem, wie man mit der Institution der Polygamie oder der weiblichen Beschneidung umzugehen habe. Interessanterweise zeigt sich, dass die unabhängigen Kirchen, ähnlich wie die katholische Kirche, die von den einheimischen Laien massiv verteidigte Genitalbeschneidung nicht als religiöses Problem ansahen und deswegen nicht gegen sie anpredigten, während Calvinisten und Anglikaner sie massiv bekämpften. Ähnlich »liberal« war die AOC, unter Verweis auf die Praxis der Erzväter im Alten Testament, in der Frage der Polygamie. Offenkundig verfolgte die AOC einen ganz klaren, auf Assimilation des Christentums an die soziokulturellen Praktiken der Indigenen ausgerichteten Kurs. Auf Dauer aber führte dies immer wieder zu Konflikten, weswegen am Ende Teile der ostafrikanischen AOC sich der östlichen Orthodoxie unterstellten.
Die weiterhin bestehende AOC wurde nie zur Großkirche. Dennoch, und das belegt B.s Studie eindringlich, lohnt sich ein präziser Blick auf ihre Geschichte, gerade weil sich hier authentische Formen schwarzafrikanischer Religiosität jenseits der Missionskirchen ausweisen lassen. Eine wirklich lohnenswerte Lektüre!