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Ausgabe:

April/2019

Spalte:

379–380

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Morgenthaler, Christoph, Plüss, David, u. Matthias Zeindler

Titel/Untertitel:

Assistierter Suizid und kirchliches Handeln. Fallbeispiele – Kommentare – Reflexionen.

Verlag:

Zürich: Theologischer Verlag Zürich 2017. 296 S. Kart. EUR 26,90. ISBN 978-3-290-17912-0.

Rezensent:

Thomas Klie

1,2 Prozent der Todesfälle in der Schweiz basieren auf einem assis-tierten Suizid. Das ist eine relativ kleine, absolut aber durchaus beachtliche Zahl. Die Zahlen nehmen in den letzten Jahren deutlich zu. Die Schweizer Statistik der Todesfälle erfasst die auf einem assistierten Suizid basierenden Todesfälle inzwischen nicht mehr, sondern ordnet sie den jeweiligen Grunderkrankungen zu.
Gerade in der Schweiz, in der es eine legalisierte Form des assis-tierten Suizides seit Jahren gibt, müssen sich die Professionellen des Gesundheitswesens, aber auch andere helfende Berufe, die Frage stellen, wie sie mit dem Wunsch nach und der Praxis des assistierten Suizides umgehen – und berufsethische Dilemmata auflösen. Das gilt auch für Pfarrerinnen und Pfarrer, die zwar für viele Menschen inzwischen keine denkbaren Ansprechpartner mehr sind (vgl. 169), gleichwohl in ihrer seelsorgerischen Praxis, aber auch in der Homiletik mit Fragen und Wirklichkeiten des assistierten Suizides konfrontiert werden. Der Schweizerische Evangelische Kirchenbund hat sich in vermittelnder Weise zum assistierten Suizid positioniert, der Arbeitskreis Theologie der Reformierten Kirche Bern-Jura-Solothurn wollte den reformierten Standpunkt konkretisieren und hat den Anstoß für das vorliegende Buch gegeben.
Vorweg: Es ist ein ausgesprochen lesenswertes, differenziertes, analytisch kluges und für die seelsorgerische Praxis hilfreiches Buch, das die drei Autoren koproduktiv erarbeitet haben. Es basiert auf Fallbeispielen, die strukturiert nach den auf dem Weg zum as-sistierten Suizid zurückgelegten »Wegstrecken« plastisch dargestellte seelsorgerische Erfahrung wiedergeben, aufbereiten und re­flektieren. Implizit wird ein ausgesprochen differenziertes Seelsorgeverständnis mit hoher Professionalität sichtbar: Nicht nur die Sterbewilligen, auch die jeweilige Familienkonstellation, gesellschaftlichen Kontexte und Dynamiken im Krankheitsverlauf und der Krankheitsbearbeitung werden ebenso reflektiert wie das me­thodisch kommunikative Vorgehen. Es sind anschauliche, einfühlsame und gut »supervidierte« Geschichten, die für sich genommen schon eine differenzierte Auseinandersetzung ebenso anstoßen wie hilfreiche Hinweise geben.
Die Hälfte des Buches ist den Fallbeispielen gewidmet. Im zweiten Teil, der in ein Kapitel über die Seelsorge im Umfeld des assis-tierten Suizides und homiletischen und liturgischen Hinweisen mündet, folgen dogmatische und ethische Reflexionen sowie Ergebnisse der einschlägigen empirischen Forschung. Die theologischen, insbesondere die biblischen Reflexionen werden verwoben mit einer differenzierten ethischen Auseinandersetzung. Die relationale Autonomie steht wie in Palliative Care im Fokus des für die Sterbehilfe bedeutsamen Autonomiekonzeptes, das in individualethische und sozialethische Zusammenhänge eingebunden wird. Aus der Forschung werden praxisrelevante Erkenntnisse aufbereitet, sei es zum Würdeerleben Sterbewilliger oder zu den Hintergründen eines auf einen schnellen Tod gerichteten Sterbewunsches.
Es ist ein Schweizer Buch: in Deutschland und Österreich gibt es keine legalisierten Formen des assistierten Suizides. Die in der Schweiz gefundene Regelung wird als solche nicht weiter problematisiert. Das Buch zeigt Wege auf, wie in der Immanenz der schweizerischen Rechtslage und Kultur mit dem Wunsch nach assistiertem Suizid und seinen Wirklichkeiten umgegangen werden kann. Manche Diskurse bleiben außen vor: der Palliative Care Ethikdiskurs, die Debatte um die Caring Community: Die Rezeption dieser an sich bedeutsamen Diskurse erfolgt selektiv. Gleichwohl: ein ausgesprochen sorgfältig erstelltes und hilfreiches Buch für die seelsorgerische Praxis – in der Schweiz. Über die Schweizer Grenzen hinaus bietet das Buch eine gute Gelegenheit, die Auseinandersetzung um den assistierten Suizid in unaufgeregter Weise zu qualifizieren.