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Ausgabe:

April/2019

Spalte:

377–379

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Kunz, Ralph

Titel/Untertitel:

Aufbau der Gemeinde im Umbau der Kirche. Zürich: Theologischer Verlag Zürich 2015. 152 S. = Theologische Studien. Neue Folge, 11. Kart. EUR 19,90. ISBN 978-3-290-17812-3.

Rezensent:

Frank Weyen

Es ist ruhig um die Diskussion um den Gemeindeaufbau seit den 1980er Jahren geworden. Große literarische Würfe in diesem Genre sind seit längerer Zeit ausgeblieben. Dem ein Plädoyer entgegenzustellen, hat sich der Zürcher Praktische Theologe Ralph Kunz beherzt in den fünf Kapiteln seines Büchleins entschlossen. Er behauptet, dass ein wenig »Biss« der Theologie noch nie geschadet habe (11). Sein Interesse an der Gemeinde dokumentiert er mit seinem Reformverständnis: »Reform ist ein Umbau der Kirche, der sich am Aufbau der Gemeinde orientiert.« (14) Diesem Ziel spürt er in seinem Fokus auf den Gemeindeaufbau (14) nach. Denn die »gelebte Gemeinde« (15) interessiere ihn maßgeblich. Diese sei die »primäre Form von Kirche« (16), ihr Realsymbol und ihre soziale Gestalt. Daher gelte es das leitende, steuernde und entwickelnde Handeln der Kirche grundsätzlich anzuschauen (24). Reformprozesse hätten sich immer auch mit dem Umbau des Bestehenden, mit schmerzhaften Abschieden und Rückbau verbunden gezeigt. Daher sei der Umbau auch das zentrale Thema der Gemeinde- und Kirchenentwicklung als akademische Disziplin.
In Fragen der kirchlichen Konziliarität sei das parlamentarische Prinzip der Kirchen- und Gemeindeorganisation keine Wahrheitsgarantie. »Vor Fehlentwicklungen sind auch demokratisch verfasste Kirchen nicht gefeit.« (30) Daher sieht er den Aufbau der Gemeinde als lebendiges und dynamisches Geschehen. Denn daran sehe man, dass etwas in und mit der Kirchgemeinde geschehe und sich diese in eine bestimmte Richtung bewege. Soziologisch verortet er dies in der Kategorie der »Bewegung«. Denn darin verbinde sich Menschliches und Göttliches (33). Für die kirchentheoretisch be­handelten soziologischen Begriffe »Institution« und »Organisa-tion« erspürt Kunz, theologisch sensibel, die Synonyme »Erinnerung« und »Weisheit« (33). Demnach müsse die Gemeinde so gebaut werden, dass sie auf den hin »re-orientiere«, der allein die Gemeinde bauen könne: auf Gott. »Dazu braucht die Gemeinde verlässliche In stitutionen: die Predigt, die Sakramente, das Amt, und den ge­genseitigen Dienst. Sie sind dazu da, die Gemeinde zurück auf Gott hinzubewegen.« (35) Auf dieser Grundlage fordert Kunz eine Verschränkung von Ekklesiologie und Gemeindeaufbau. »Ekklesiologische Sätze sind dann theologische, wenn sie von Gott und den Menschen reden, und sie werden dann praktisch, wenn sie die Mitarbeit der Menschen auf dem Bauplatz der ›Gemeinde Gottes‹ anleiten.« (37) Dabei definiert er den Gemeindeaufbau sowohl als Ereignis der Gemeinde als auch als Geschehen des Heiligen Geistes sowie als Lehre von der entstehenden Gemeinde.
In einem dritten Buchteil liefert Kunz Indizien für seine Hypothese einer von ihm so benannten »Zürcher Schule«. Hierzu orientiert er sich an Heinrich Bullinger (41-48), Alexander Schweizer (48-56), Leonhard Ragaz (56-60), Emil Brunner (60-70), Eduard Schweizer (70-77) und Walter Mostert (77-83), bevor er seine Interpretation einer Lehre der »Zürcher Schule« unter sechs Leitlinien entfaltet: 1. Die Vermittlung der Gegensätze und kritische Weisheit (84), 2. Die Ermittlung der Quellen und ihrer Neuinterpretation (84), 3. Die Spannung von Rechtfertigung und Heiligung (84/85), 4. Die Verlässlichkeit der primären Institution und die Reformierbarkeit der Kirche (85), 5. Gottesbezug und Orientierung zur Welt (85), und 6. Der Aufbau der Gemeinde und Gemeindeaufbau (85). Hierin liege Anfang und Ziel der »Lehre von der entstehenden Kirche« (86).
Mit den Worten »Ich verstehe Vermittlung als eine konstruk-tive Verfahrensweise der konziliaren Kirchenentwicklung« (93), er­öffnet K. den vierten Teil des Buches. Denn die Gemeinde sei die Lebensform, die den kirchlichen Auftrag öffentlich sichtbar mache (105). Daher gehöre es zur theologischen Forschung hinzu, »Kirche und Gemeinde«, »Interaktion und Sozialisation«, »Kontemplation und Aktion«, »Inklusion und Mission« in ein angemessenes Verhältnis zueinander zu stellen. »Gemeinde lebt, wo gute Beziehungen ge­­pflegt werden und Gemeinschaft entstehen kann. Sie lebt vom Ge­bet, das in der Bitte kulminiert, dass Gottes Reich komme und sie blüht da, wo die Einbindung der Verletzlichen oberste Priorität der Mission hat.« (109)
Im abschließenden fünften Teil ruft K. zu einem sog. »Züri-Putsch« (129) auf. Dies betrifft die zentrale Stellung der Gemeinde ebenso wie die kirchliche Umbauarbeit. Letztlich aber kommt Kunz jedoch nicht über aktuelle evangelikale Konnotationen wie einer mixed economy oder dem einem Strohfeuer gleichenden Versuch, mit fresh expression eine kirchliche Richtung zu bedienen, hinaus, die nur einen Ausschnitt, niemals aber das Ganze kirchlicher Wirklichkeit, abzubilden imstande ist. Die Skizzierung einer sog. »Zürcher Schule« allerdings ist ein bemerkenswerter Versuch, Studierenden eine Orientierung dafür zu geben, was sie im Studium der Praktischen Theologie an der Zürcher Fakultät erwarten können.