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Ausgabe:

April/2019

Spalte:

347–348

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Schnabel-Schüle, Helga [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Reformation. Historisch-kulturwissenschaftliches Handbuch.

Verlag:

Stuttgart: J. B. Metzler 2017. VIII, 378 S. Geb. EUR 99,99. ISBN 978-3-476-02593-7.

Rezensent:

Christoph Strohm

Das vorliegende Werk bietet elementare Information zur Reformation in wohlgeordneter Weise. 29 Artikel, gegliedert in sechs Themenbereiche, behandeln unterschiedlichste Aspekte. Nach den kirchlichen, politischen und intellektuellen Voraussetzungen des reformatorischen Prozesses (H. Schnabel-Schüle) werden in einem zweiten Bereich »Theologische Diskurse« elementare reformationstheologische Sachverhalte erläutert und zentrale Texte (sehr) knapp vorgestellt (A. Lexutt). Im dritten Themenbereich »Akteure und Netzwerke« finden neben den Theologen (A. Mühling), Buchdruckern (H.-C. Weber) und Künstlern (B. U. Münch/A. Tacke) auch die Landstände (D. Kugel) und die Juristen (H. Lück) Beachtung. So werden exemplarisch die Juristen der Wittenberger Universität und die Auswirkungen der Reformation auf ihr Wirken vorgestellt. Der vierte Abschnitt »Reformatorische Räume« bietet Überblicksartikel zum Reich (H. Schnabel-Schüle) und seinen Territorien (S. Laux) sowie Europa. Hier geben die Autoren notwendig kurz gehaltene Überblicke über die wichtigsten Länder (A. Mühling: Schweiz; M. Delgado: Spanien und Portugal; S. Karstens: die Niederlende; R. Voltmer: England und angrenzende Länder; S. Karstens: Frankreich; P. Zwyssig: Italien; R. Voltmer: skandinavische Königreiche; J. Wijaczka: Polen; S. Karstens: die Länder der Wenzelskrone; M. Fata: die Länder der Stephanskrone). Sogar der außereuropäischen Welt wird ein Artikel (S. Karstens: Der amerikanische Doppelkontinent) gewidmet.
Die Artikel des fünften Themenbereichs »Medialität und Reformation« sind Ausdruck des Bestrebens, die Reformation in Gestalt eines »historisch-kulturwissenschaftlichen Handbuchs« und nicht primär unter kirchenhistorischen oder reichsgeschichtlichen Ge­sichtspunkten darzustellen. Entsprechend geben sie in besonderem Maß Einblicke in Diskussionen der neueren Forschung. J.-F. Missfelder kommt zu folgendem Schluss: »Historisch betrachtet, liegt die mediale Signatur der Reformation genau hier: Präsenz- und Distanzmedien – Stimme, Körper, Schrift und Druck – fungieren in vielfältigen Formen von medialen Rückkopplungen und Übergängen« (308 f.). In einem eigenen Artikel werden »Flugschriften als Leitmedien reformatorischer Öffentlichkeit« gewürdigt (S. S. Tschopp, 311–330). Neben der Reformationsliteratur (M. Przybilski) und der Kunst (B. U. Münch/A. Tacke) findet die Musik besondere Aufmerksamkeit (J.-F. Missfelder). Neben ihrer Funktion als »Mittel zur Etablierung der reformatorischen Bewegung« und ihres Beitrags zur »Bildung interner Kohärenz« habe sie »eine wichtige Rolle bei der Etablierung von neuen Strukturen in Liturgie und Kirchenorganisation« gespielt (342).
Recht knapp, aber ebenfalls unter Berücksichtigung der neues­ten Forschungen stellt die Herausgeberin in einem kurzen Schlussbeitrag die »nachhaltige[n] Folgen des reformatorischen Prozesses« dar. Sie grenzt sich gegen Versuche ab, im Rahmen des Reformationsjubiläums 2017 wirkungsgeschichtliche Linien von der Reformation in die Moderne zu ziehen. Aber auch von ihr wird festgestellt, dass die Reformation »ein verändertes Europa« zurückließ (354). In welcher Weise sich das manifestiert, wird unter den Stichworten »Pluralisierung« und »Bildungsimpulse« in Ansätzen be­schrieben. Ansonsten wird die wieder in Kraft gesetzte Praxis der »Visitationen« sowie die politische Instrumentalisierung des Reformationsgedenkens im Zuge der späteren Reformationsjubiläen skizziert.
Das Besondere dieses Sammelbandes liegt in der Mischung aus sehr elementaren Informationen (A. Lexutt über zentrale reformatorische Schriften) und recht spezifischen, dabei durchaus anregenden Theoriebildungen. So macht Martin Przybilski in seinem Artikel »Reformationsliteratur« zum Beispiel Luthers Betonung der Mündlichkeit des Evangeliums zu dem entscheidenden Merkmal, das die Theologie Luthers im Unterschied zu der anderer Reformatoren kennzeichne (336–338). In dem Band gelingt es, über theologie- und kirchengeschichtliche Sachverhalte im engeren Sinn hinaus auch die politischen Kontexte, die außerdeutschen Verhältnisse und die Wirkungsgeschichte einzubeziehen. Der Band spiegelt insofern die gegenwärtige Forschungssituation wider, als (zu Recht) vor zu einfachen wirkungsgeschichtlichen Zusammenhängen von Reformation und Moderne gewarnt wird. Einzelne Ge­sichtspunkte zu den Folgen der Reformation werden in den unterschiedlichen Beiträgen durchaus angesprochen, eine umfassendere Deutung der Folgen der Reformation findet sich aber kaum. Das wäre aber m. E. durchaus ein legitimes Desideratum, wenn der Anspruch, ein »historisch-kulturwissenschaftliches Handbuch« zur Reformation zu schreiben, erfüllt werden soll.