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Ausgabe:

April/2019

Spalte:

305–306

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Autor/Hrsg.:

Carr, David M.

Titel/Untertitel:

Schrift und Erinnerungskultur. Die Entstehung der Bibel und der antiken Literatur im Rahmen der Schreiberausbildung. Übers. u. red. v. M. Leuenberger, W. Oswald, D. Rößler, A. Schellenberg, L. Oehrli u. S. Arnet.

Verlag:

Zürich: Theologischer Verlag Zürich 2015. 360 S. = Abhandlungen zur Theologie des Alten und Neuen Testaments, 107. Kart. EUR 71,00. ISBN 978-3-290-17453-8.

Rezensent:

Beate Ego

Das Thema »Schriftlichkeit«, »Schriftentstehung« (»Schrift« im Sinne von autoritativen Schriften) und »Schreiberkultur« hat in den letzten Jahren in der alttestamentlichen Wissenschaft zunehmende Bedeutung erlangt, da es aufs Engste mit der Literaturgeschichte der Hebräischen Bibel verbunden ist. Ein Klassiker innerhalb der breiten Literatur zu dieser Thematik ist inzwischen das Werk von David M. Carr mit dem Titel »Writing on the Tablet of the Heart. Origins of Scripture and Literature«, Oxford University Press Ox-ford 2005 (vgl. hierzu die Rezension von S. Schorch in ThLZ 132 [2007], Nr. 11, Sp. 1197–1200).
C.s Grundannahme lautet, dass Schriftlichkeit und Mündlichkeit nicht als Gegensätze aufzufassen sind, sondern als Kontinuum betrachtet werden müssen und in einer ständigen Wechselwirkung stehen. Schreiben und Mündlichkeit sind Teile eines Prozesses, der nicht nur dazu dient, die Traditionen der betreffenden Kultur zu bewahren, sondern auch der Formung elitärer (männlicher) Gruppen. Die schriftliche Fixierung der Traditionsliteratur diente also der Verinnerlichung von Texten, die zum Bildungskanon gehörten und die zudem das Statussymbol einer Bildungselite waren.
Dieses Grundprinzip der Schreiberkultur war sowohl in Mesopotamien, Ägypten und Griechenland bis hinein in die hellenistische Zeit verbreitet, und auch das Alte Israel bzw. das Judentum in hellenistisch-römischer Zeit partizipierte an einem solchen Sys-tem. Allerdings muss für die hellenistische Zeit mit Umbrüchen gerechnet werden, da nun breitere Schichten als Akteure von Schreib- und Leseprozessen in den Blick kommen.
Es ist erfreulich, dass C.s Werk nunmehr in deutscher Sprache vorliegt, und es ist dem Übersetzerteam für seine Mühe und um­sichtige Arbeit zu danken. Im Gegensatz zur englischen Ausgabe, die sich an eine enge Umfangsbegrenzung halten musste, enthält die deutsche Ausgabe nun auch eine vollständige Bibliographie der von C. verwendeten Titel. Neuere Arbeiten können an seine Ausführungen anknüpfen und das von ihm aufgezeigte Spektrum erweitern, indem sie auch weitere Funktionen der Verschriftlichung, so z. B. das Bewahren der Tradition in Krisenzeiten, Ikoni-zität oder magische Formen des Schriftgebrauches in den Vor-dergrund stellen. Es ist zu hoffen, dass C.s Werk durch die nun vorliegende deutschsprachige Übersetzung eine noch größere Be­kanntheit erlangt, als dies bisher der Fall war, und so einen größeren Kreis von Wissenschaftlern erreicht.