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Ausgabe:

März/2019

Spalte:

267–269

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Kunstmann, Joachim

Titel/Untertitel:

Subjektorientierte Religionspädagogik. Plädoyer für eine zeitgemäße religiöse Bildung.

Verlag:

Stuttgart: Calwer Verlag 2018. 152 S. Kart. EUR 19,95. ISBN 978-3-7668-4463-7.

Rezensent:

Stefanie Pfister

Engagiert plädiert Joachim Kunstmann – Professor für Religionspädagogik an der Pädagogischen Hochschule Weingarten – für ein »neues Modell« (10), eine »neue und umfassende Konzeption« (11) bzw. einen »Perspektivwechsel«, der »Religion als subjektive Erfahrung« (10) sowie als »Lebensdeutung« versteht und »daher nicht mehr von den traditionellen Inhalten«, sondern von den »Lebensfragen und Erfahrungen der Subjekte« (10) ausgeht.
Ausgangspunkt für K.s Entwurf dieser »existenziellen Religionspädagogik« (68) ist dabei die Annahme, dass zentraler Inhalt der Religionspädagogik die Lernenden mit ihren grundlegenden Le­benserfahrungen und Existenzfragen sind und ihnen die Relevanz von Religion deutlicher, d. h. subjektiv erfahrbarer, werden müsse. Religion ist ohne subjektive Anteile nicht denkbar und zeigt sich in verschiedenen Repräsentationen, daher muss religiöse Tradition als symbolisierte Erfahrung oder Lebensdeutung wieder nachvollziehbar für die Schüler werden, indem zum Beispiel der Religionsunterricht selbst Erfahrungen inszenieren sollte, da diese nicht mehr vorausgesetzt werden können. Zudem ist der Einbezug religionstheoretischer Überlegungen statt theologischer Reflexionsvorgaben vonnöten, damit die Schülerinnen und Schüler religionskritischer werden können.
Insgesamt zielt das Konzept auf »authentische religiöse Bildung, die neben religiösem Verstehen die Fähigkeit zur Darstellung und Mitteilung religiöser Lebensdeutungen umgreift. Es be­schreibt aktuelle Lebensfragen, didaktische Inszenierungen christlich-religiöser Deutungsprozesse, die Rolle der Lehrenden sowie die Grundlinien religiöser Symbolisierung und religiöser Kommunikation.« (14) Dabei setzt K. auf die »Fähigkeit der Symbolisierung und eine offene Kommunikation über Lebensfragen und deren mögliche Deutung« (10–11), wobei »christliche Kommunikation […] nicht mehr Ausgangspunkt und ›Stoff‹« ist, sondern als »Medium und Resonanzbereich ins Spiel« (11) kommt.
Zur Argumentation verweist K. auf die Diskrepanz zwischen allgemein feststellbarer Religionsdistanz und dennoch empirisch nachweisbarer religiöser Sehnsucht der Lernenden, die nicht durch gängige Themenorientierung, Kompetenzorientierung und Bildungsstandards überwunden werden kann. Denn religiöse Inhalte können sich nicht als Kompetenzen formulieren lassen und sind nicht an Subjekten ausgerichtet, da sie deren Lebensfragen, Exis-tenzerfahrungen oder innere Beteiligung aussparen. Dadurch kann kein religiöses Bewusstsein entstehen, denn nur »lebendige Religion ist symbolische Lebensdeutung« (54).
Geeignete gegenwärtige fachdidaktische Perspektiven, die K. auf ihren Subjektbezug hin untersucht, sind Baldermanns Bibeldidaktik, symboldidaktische, symbolisierungs- und zeichendidak-tische, kirchenraumpädagogische sowie performative, auch kor-relationsdidaktische und besonders konstruktivistische und dia-logisch-beziehungsorientierte Perspektiven, weil diese Religion verstärkt erfahrbar machen. Zudem greift K. auf die fachdidaktische Perspektive des »Individuellen Symbolisierens« (Rosenow 2016) zurück, die konkret die Begegnung mit der christlichen Tradition aus subjektiver Perspektive aufgreift.
Die fachdidaktischen »Dimensionen einer subjektorientierten Religionsdidaktik« soll dabei nicht länger eine »Erfahrbarkeit von Religions-Tradition« im Sinne der performativen fachdidaktischen Perspektive fördern, sondern sie hat »den zutiefst kritischen Zug lebendiger Religion selbst zu kultivieren« (100). Das symbolische Lernen bedeutet für Lernende und Lehrende gleichermaßen, dass dabei nicht Einzelsymbole kritisch hinterfragt werden, sondern der Zeichennutzer selber zur Sprache kommt und individuell eigenständig symbolisiert: »Kern einer heute plausiblen und relevanten Religionsdidaktik ist die Sensibilisierung für symbolischen Ausdruck durch eigenes Symbolisieren. Wo Lernende ihre eigenen Erfahrungen und Lebensfragen darstellen und mitteilen und so einer offenen Kommunikation zuführen, lernen sie Religion verstehen, indem sie sich selbst verstehen und selbst religiös agieren« (109). Da Traditionen als Symbole – das Ergebnis von Prozessen der Symbolisierung – verstanden werden, können sie erst dann bedeutsam verstanden werden, wenn ihr Entstehungsprozess gleichsam nachvollzogen wird, was prinzipiell auch zu einer neuen Traditionsbildung führen kann.
Im Religionsunterricht soll der Zugang dementsprechend zu biblischen Geschichten, religiösen Ritualen und theologischen Fragen immer aus der existentiellen Perspektive geschehen, wobei erst eine solide theologische Reflexion religiöse Inhalte adäquat erschließen kann. Praktisch sammelt ein Religionsunterricht nach der individuell-symbolisierenden Perspektive zunächst existentielle Erfahrungen der Lernenden, verhilft ihnen dann zu einem persönlichen Ausdruck und unterbreitet ihnen anschließend das Angebot einer religiösen – durchaus traditionsbasierten – Deutung.
Obwohl K. keine neue Konzeption vorstellt, bietet er jedoch eine lohnenswerte religionspädagogische Überlegung, die zeitgemäß und sinnvoll die Aspekte und Vorteile verschiedener fachdidaktischer Perspektiven miteinander verknüpft: die Bedeutsamkeit von Symbolen (symboldidaktische Perspektive), die Sichtbarmachung des Zeichennutzers (symbolisierungs- und zeichendidaktische Perspektive), das Probehandeln (performative Perspektive), die Subjektorientierung (kinder- und jugendtheologische Perspek-tive), die konstruktivistischen Grundgedanken (konstruktiv-kri-tische Perspektive), der Erfahrungsbezug (Baldermann, Dressler etc.), individuelles Symbolisieren (symbolisierungs- und zeichendidaktische Perspektive sowie Rosenows Perspektive). Damit entsteht schlussendlich eine theoriebewusste und zugleich praxisnahe fachdidaktische Perspektive, die multitopisch verschiedene Herausforderungen und Sachlagen in den Blick nehmen und ihnen begegnen kann.