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Ausgabe:

März/2019

Spalte:

262–264

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Sigurdson, Ola

Titel/Untertitel:

Heavenly Bodies. Incarnation, the Gaze, and Embodiment in Christian Theology. Transl. by C. Olsen.

Verlag:

Grand Rapids u. a.: Wm. B. Eerdmans 2016. 683 S. Geb. US$ 60,00. ISBN 978-0-8028-7166-4.

Rezensent:

Gregor Etzelmüller

Das Werk des Göteborger Systematikers Ola Sigurdson dokumentiert eine international beobachtbare Tendenz: die Rückkehr des Körpers in die theologische Anthropologie. Es geht S. um »a critical somatology, i. e., a theological understanding of the body that […] would be able to relate skeptically to the understandings of the body in earlier periods, and simultaneously make possible, not least through its historical work, a critical distance from current understandings of the body.« (2) Das Werk zielt auf eine kritische Lektüre theologischer Überlieferungen, die ein neues, nicht-nihilistisches V erständnis des Körpers ermöglicht. Methodisch dient dazu die hermeneutische Phänomenologie. »Phenomenology involves a thematization of the experience of the body prior to the division between subject and object.« (17)
Philosophisch schließt S. an Maurice Merleau-Ponty (312–332 findet sich eine gut lesbare Einführung in dessen Leibphänomenologie) und die neuere französische Philosophie (Michel Foucault, Pierre Bordieu, Thomas Laquer u. a.; aber auch Michel Henry) an. Da der Körper durch soziale Praktiken geprägt und geformt wird, lässt er sich nicht rein naturwissenschaftlich beschreiben. Im Sinne des sogenannten Embodiment-Ansatzes geht S. davon aus, dass Psychisches und Soziales immer schon den Körper prägen, der Leib also eine bio-psycho-soziale Einheit darstellt.
Auffällig gegenüber anderen theologischen Rezeptionen des Embodiment-Ansatzes bleibt, dass S. auf das Gespräch mit der Biologie vollständig verzichtet. Die Naturwissenschaften scheinen ihm derart an die Dritte-Person-Perspektive gebunden, dass sie das lebensweltlich Erfahrene gar nicht erschließen können. »This does not mean that the biological body is uninteresting, but the more I have studied embodiment, the more certain I have become that it is an abstraction to separate anatomy from history and discourse.« (18; vgl. 344) Doch gibt es gerade auch in der Biologie ausgehend von der medizinischen Anthropologie Viktor von Weizsäckers mit ihrer Forderung nach der Einführung des Subjekts in die Biologie und deren Rezeption durch Merleau-Ponty seit Längerem Ansätze, die den Dualismus von lebensweltlich-erstpersonaler und physiologisch-drittpersonaler Wahrnehmung des menschlichen Leibes zu transzendieren trachten (vgl. nur Francisco J. Varela/Evan Thompson/Eleanor Rosch, The Embodied Mind, 1991).
Theologischer Ausgangspunkt ist die Inkarnation – und zwar in jener Konkretheit, in der die ersten drei Evangelien diese begreifen. Luce Irigaray habe die »emphasis on concrete embodiment in the Synoptic Gospels« (67) viel stärker wahrgenommen, als es die mo­derne Theologie gewöhnlich tue. Als verkörperter Mensch sei Jesus zugleich immer schon eingebettet in soziale Beziehungen, die ihn prägen. »Irigaray writes that ›this god-man does not exist in a triumphant self-sufficiency. Always he is in society, in company, love, helped. Living in a society of living people, from which he does not emerge as a solitary man.‹« (142) An dem so verstandenen Christus werde deutlich, was es heißt Mensch zu sein: nämlich verkörpert und sozial zu existieren und d. h. nicht selbstgenügsam, sondern dezentriert zu leben (vgl. 146, aber auch 568). Konsequent greife deshalb auch Paulus das Bild des Leibes auf, um gängige Hie­rarchien zugunsten einer Lebensform der »mutual dependence« (377) zu relativieren.
Diese Wertung des Apostels zeigt, dass man im Leib auf unterschiedliche Weise leben kann, einerseits, indem man seinem Leib entspricht, relational nach Gerechtigkeit und Barmherzigkeit strebend, andererseits im Gegensatz zur eigenen Leiblichkeit selbstgenügsam und allein auf die Durchsetzung der eigenen Interessen konzentriert. Während S. mit der Konzentration auf die Inkarna-tion und den Leib den modernen Dualismus von Geist und Materie, von Ich und Anderen überwinden möchte – in der leiblichen Existenz sind Geist und Materie, ich und der andere immer schon miteinander verwoben –, will er zugleich den paulinischen Dualismus zwischen einem vergehenden, selbstgenügsamen Leib (Fleisch im paulinischen Sinne) und einem erlösten, sozialen Leib (Geist) zur Geltung bringen (vgl. 399). Auch hier ist es für S. wiederum ein Philosoph, namentlich Donn Welton, der das theologisch Entscheidende gesehen hat: »The Bible places ›the body at the inter-section of good and evil, life and death,‹ and the question is whether an adequate understanding of all the dimensions of the body is possible without placing the body, its desires, and actions in a theological context as well.« (363; vgl. 584) Die theologische Frage ist also die nach der Bestimmung des Leibes. »That the body is created by God is a given in Christian theology, but without asking what it is created for, Creation theology is incomplete.« (581)
Biblisch gedacht sei der Leib »included in an existential drama of salvation« (364; vgl. 584), wobei der Mensch – wie S. gegenüber einem weit verbreiteten Missverständnis betont – nicht vom Leib erlöst werden muss, vielmehr der Leib selbst erlöst werden soll (vgl. 373.398 f.). »It is by the fact that sin has taken power that the body becomes its instrument. It is by being crucified with Christ that the believer is identified with a new life, where sin no longer has the power over the body ([Rom] 6:6). Instead of sin being able to use the person’s limbs ›as instruments for unrighteousness‹ Jesus will use the person’s limbs as ›instruments for righteousness‹ (V. 13).« (371) Um zu erläutern, wie ein solcher Prozess realistisch gedacht werden kann, macht sich S. die Einsicht in die soziale Prägung des Leibes zunutze (vgl. 412): Für Paulus könne der individuelle Leib nicht vom sozialen Leib getrennt werden. Eben deshalb aber sei die moderne Individualisierung des Glaubens ein zentrales Problem: Wo der Glaube zur Privatsache werde und kein »ecclesial body« mehr existiere, da gebe es nur noch den Leib dieser Welt (d. h. z. B. einen von den Erwartungen der Konsumgesellschaft geprägten Leib) und den sterblichen Körper (394). Eben deshalb gelte es, »the social and liturgical aspects of the person’s embodiment« wiederzuentdecken (423). Denn »it is through rituals – understood in a broad sense – that the person’s body is extended to linguistically encompass more than the purely physical body« (415).
Wie Rituale menschliche Leiber prägen können, zeigt S. für viele bestimmt überraschend im Blick auf den erotischen Leib. In der Moderne, »Sex becomes a commodity, an object, rather than one of the person’s fundamental ways of relating to other people.« (439) Die Kirche (488) und insbesondere die Liturgie (485–488) könnten zu Orten werden, an denen Menschen lernen, ihr eigenes Verlangen neu zu kultivieren. Anstatt wie die Moderne Erotik auf Sexualität zu reduzieren, kultiviere die Liturgie das Verlangen nach Gott. Anstatt aber – wie in der vormodernen Theologie üblich – dieses Verlangen von der Sexualität zu trennen, sei es als deren Horizont zu betrachten: Wie man sich in der Mystik einem anderen hingebe, nämlich Gott, um sich von ihm her neu zu empfangen, so gehe es auch in der Sexualität darum, to »expose myself to the risk of being transformed by the other through the fact that the other perceives my body« (483). Dabei komme gerade der Mystik eine gendersprengende Kraft zu: »A male mystic could understand himself in female terms, and vice versa.« (451) Wenn das Verlangen nach Gott – und nicht die Reproduk-tion – der Horizont der Sexualität sei, dann könne dieser Horizont gleichnishaft sowohl in hetero- als auch in homosexuellen Bezie hungen aufleuchten. »In other words, homosexual love cannot be said to be a love for ›the same,‹ and so a self-centered love, to a greater degree than heterosexual love.« (478; vgl. 475–478, auch 479) Entscheidend sei, dass die Liebe zu Gott, die sich in der Hingabe an den anderen gleichnishaft ausdrückt, die Beziehung präge – und nicht die Selbstliebe mit ihrem Verlangen zu herrschen (vgl. 593).
Wer den Leib im Heilsdrama verortet und wahrnimmt, der muss auch von der Auferstehung des Leibes reden (vgl. 549). Die Rede von der Auferstehung halte daran fest, dass keine wie auch immer geartete Körperideologie das letzte Wort habe, denn sie hält sowohl gut johanneisch als auch gut marxistisch fest, dass noch nicht erschienen sei, was wir sein werden, da wir Leiber bisher immer nur unter entfremdeten Bedingungen wahrgenommen hätten. S. bestimmt deshalb die Rede von den Leibern der Auferstandenen, von einem pneumatischen Leib, als »a grotesque conception« (509). Das Groteske sei eine Möglichkeit, vom lebensweltlich Vertrauten, dem Leib, noch einmal als etwas Fremden zu reden, d. h. Kontinuität und Diskontinuität zwischen dem jetzigen und dem kommenden Leib zugleich zu denken (vgl. 551).
Wer in der Moderne vom Leib redet, der meint zumeist den individuellen Leib. Zu zeigen, dass dieser nicht verstanden werden kann »without reference to the social body« (579), ist ein zentrales Anliegen des Buches. Dass der Leib immer schon in soziale Strukturen eingebunden ist, sei aber nicht nur zu beklagen, sondern auch Voraussetzung für eine mögliche Transformation des Leibes, der wir sind. Menschen können in der Gemeinschaft der Kirche, zentral, aber nicht nur durch die Begegnung mit Gott und anderen in der Liturgie, zu anderen werden. Es bedarf dazu einer kritischen Lektüre und eines kritisch-engagierten Weiterdenkens der eigenen Tradition, wie es Aufgabe der Theologie ist und in diesem Buch weithin vorbildlich geschieht. Zu fragen bleibt, ob und wie Menschen »baptism, communion, prayer, and worship« (599) als sie leiblich berührende und transformierende Rituale erleben (können), in denen sie erfahren, dass sie Menschen sind, »illuminated by God’s erotic gaze« (589).