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Ausgabe:

März/2019

Spalte:

260–262

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Kunz, Ralph, u. Matthias Zeindler[Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Alle sind gefragt. Das Priestertum aller Gläubigen heute.

Verlag:

Zürich: Theologischer Verlag Zürich 2018. 164 S. = denkMal, 9. Kart. EUR 22,90. ISBN 978-3-290-17929-8.

Rezensent:

Eike Christian Herzig

Das »Priestertum aller Gläubigen« ist eine der »wichtigsten (Wieder-)Entdeckungen der Reformation« urteilen die Herausgeber M. Zeindler und R. Kunz im Vorwort des Sammelbandes (7). Herauszustellen, was seine Bedeutung für die kirchliche Tradition, aber auch für die gegenwärtige Situation in der Gemeinde und für die reformierte Identität insbesondere bedeutet, ist das Anliegen, das der Band verfolgt. Dieser ist in drei Teile zu je drei Beiträgen gegliedert und mit einem abschließenden Echo aus »römisch-katholischer Perspektive« versehen.
Das erste Kapitel »Grundlegung« beginnt mit einem Beitrag von M. Zeindler. Das »Priestertum aller Gläubigen« sei ein »zehnfaches Ärgernis«. Es betone im Unterschied zu modernen Lebensentwürfen die christliche Überzeugung, dass jede Existenz zuallererst in Gott gründe. Die Aufgabe, Gott zum »Massstab des eigenen Lebens zu machen« (28), bringe das »Priestertum aller Gläubigen« als eine der »grossen befreienden Einsichten der Reformation« ganz aktuell zur Sprache (14)
Eine praktisch-theologische Perspektive legt R. Kunz dar: Das Priestertum aller Gläubigen bedinge die »Notwendigkeit einer Theologie des Laientums«. Die Geistgaben der Glieder erlaubten deren Beteiligung an der Leitung, dem Aufbau und unterschiedlichen Aufgaben in der Gemeinde. Um die Tätigkeiten der Laien mit der Arbeit und den Aufgaben der Hauptamtlichen angemessen zu verbinden, bedürfe es einer »Leitvorstellung«. Kunz findet diese in der »missionalen Ekklesiologie« (50 f.). In ihr erkennt er in theologischer Hinsicht die Möglichkeit für eine weitreichende »kirchliche Erneuerung« (51).
M. Sallmann hält aus kirchengeschichtlicher Perspektive fest, dass sich Luther mit seinem Pochen auf das »Priestertum aller Gläubigen« zwar gegen die priesterlichen Befugnisse gerichtet habe, aber gleichwohl am »Unterschied des Amtes festhielt« und den Begriff ekklesiologisch nicht weiter differenzierte (55 f.). So habe er die Möglichkeit ungenutzt gelassen, davon ausgehend eine »evangelische Kirchenverfassung« zu entwerfen. Erst die Entwicklungen des 19. Jh.s erlaubten es, eine solche Ordnung – wie Sallmann am Beispiel der Berner »Gemeinde- und Kirchenordnung« darlegt – zu realisieren (63).
Die zweite Rubrik enthält unter dem Titel »Entfaltungen« drei Aufsätze, die über den »kirchlichen Tellerrand« hinausreichen (9). M. Krieg erkennt im Priestertum aller Gläubigen eine »Ähnlichkeit« mit dem Begriff der »Partizipation«. Wie diese aussehen könnte, legt er anhand von sechs Interviews dar, die er mit Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartnern aus unterschiedlichen Ar­beits- und Erfahrungsbereichen führte. Der folgende Beitrag von S. Scheuter und S. Hagenow bietet ein »analytisches Gespräch« zwischen kirchlichen Funktionsträgern (85). Unter dem Label der »[p]artnerschaftlich geistlichen Gemeindeleitung« wird ebenso die Notwendigkeit einer angemessenen Leitung und Versorgung Ehrenamtlicher erörtert wie auch deren Beteiligung an geistlichen Aufgaben und Formen des Konfliktmanagements (91). In einem dritten Beitrag stellt D. Plüss »[r]eligionssoziologische und theologische Erwägungen« zu »distanzierten Kirchenmitgliedern« an und kommt zu dem Schluss, dass das Priestertum aller Gläubigen auch distanzierten Mitgliedern nicht abgesprochen werden dürfe. Eine verständliche Sprache und erkennbare christliche Lebensweisen sollten eine grundlegende Orientierung für die »Glaubwürdigkeit der christlichen Hoffnung alltagspraktisch« geben (109).
In einem dritten Teil werden »Konkretisierungen« des Priestertums aller Gläubigen präsentiert. Die hier vorgestellten Themen vermitteln entgegen dem Eindruck schwindender Beteiligung am Gemeindeleben das Bild zahlreicher nach wie vor zur Mitarbeit in der Gemeinde aufgeschlossener und motivierter Bereitschaft von Gemeindemitgliedern. Diese Mitarbeit lässt sich nach R. Burckhardt u. a. durch »Freiwilligenmanagement« koordinieren und verbessern. Laut A. Bieri bietet der »Kirchsonntag« als »Institution für die Laienbewegung« bei allen Herausforderungen kreative Chancen für die Mitarbeit. Unerlässlich scheint aber die Bildung und Zueignung christlicher Inhalte zu sein. Dass solche »Bildung« eine »Praxis des Glaubens« ist, die es zu leben und zu pflegen gilt, betont der letzte Beitrag von A. Wäffler-Boveland (145).
Abschließend wirft C. M. Rutishauser SJ einen Blick auf das »Priestertum aller Gläubigen aus römisch-katholischer Perspek-tive«. Seine »Replik« auf die vorhergehenden Beiträge betont die »theologisch-spirituelle Bedeutung« des Priestertums aller Gläubigen und die geistliche Leitung (15).
Dem Band »Alle sind gefragt« gelingt es in aller Kürze, ein Bild »reformierter Identität« in der Schweiz zu skizzieren (7). Die Bedeutung der theologischen Einsicht in das »Priestertum aller Gläubigen« wird aus unterschiedlichen Perspektiven kritisch-konstruktiv zum Ausdruck gebracht. Offen aber bleibt die Frage, wie die Ergebnisse der Beiträge in theologischer Absicht pointiert einzuholen wären. Die von R. Kunz angedeutete ekklesiologische Zuspitzung bietet nicht nur Anlass zu einer pneumatologischen, sondern auch Anlass zur rechtfertigungstheologischen Auswertung der Geistgemeinschaft. Eine solche systematisch-theologische Auswertung gerade aus reformierter Sicht hätte die luziden Darstellungen noch ergänzen können.