Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

März/2019

Spalte:

244–246

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Gutschmidt, Rico

Titel/Untertitel:

Sein ohne Grund. Die post-theistische Religiosität im Spätwerk Martin Heideggers.

Verlag:

Freiburg u. a.: Verlag Karl Alber 2016. 413 S. Geb. EUR 49,00. ISBN 978-3-495-48838-6.

Rezensent:

Christoph Demmerling

Von Gott zu reden, ohne dabei theistische Implikationen mitzuführen, mag in den Ohren derjenigen verwunderlich klingen, welche sich den Kernbestand religiöser Überzeugungen vor Augen führen. Scheint doch zumindest für die abrahamitischen Religionen kein Gedanke so zentral zu sein, wie der an einen Gott, der exis-tiert, bestimmte Eigenschaften wie Allmacht und Güte aufweist, einen Einfluss auf die Geschicke der Menschen und den Lauf der Welt ausübt, als deren Schöpfer er in der Regel angesehen wird. Einem so verstandenen Gott werden häufig auch die Züge eines personalen Wesens zugeschrieben. In der Philosophie freilich lassen sich immer wieder Versuche ausmachen, theistische Verständnisse des Glaubens und seiner Gehalte auf eine religionsimmanente Weise zu kritisieren und sie nicht einfach aus atheistischer Perspektive zurückzuweisen. Man denke u. a. an die mittelalterliche Tradition der theologia negativa und ihre philosophische Rezeption bis in die so genannte Postmoderne, an religionsphilosophische Analysen im Umfeld von Phänomenologie und Hermeneutik oder im Kontext der Sprachphilosophie Wittgensteins, allesamt Ansätze, die häufig herangezogen worden sind, um ein antirealistisches Verständnis der Rede von Gott zu etablieren.
Rico Gutschmidts Buch reiht sich in diese Traditionen ein und verfolgt das systematische Ziel, ein Gottesverständnis jenseits von Theismus und Nonkognitivismus zu etablieren. Der Ausdruck »Gott« bezeichnet G. zufolge kein existierendes Wesen; Sätze, in denen dieser Ausdruck vorkommt, sind aber auch nicht einfach als Ausdruck religiöser Gefühle zu verstehen. Vielmehr soll sich die Rede von Gott im Sinne einer absoluten Metapher auf die Grundlosigkeit des Seienden beziehen und darauf, dass der Mensch aufs Ganze gesehen von etwas abhängt, was er nicht begreift. Redeweisen wie die von der Grundlosigkeit oder vom Unbegreiflichen sind freilich ebenso erläuterungsbedürftig wie die Rede von Gott, und in diesem Sinne scheint mit ihnen nicht viel gewonnen zu sein. G. scheut die Mühen einer Explikation der angeführten Redeweisen nicht und macht sich auf einen weiten und anspruchsvollen Weg, um seine systematische Kernthese zu erläutern, indem er eine groß angelegte Interpretation von Heideggers Spätwerk vorlegt, die gleichzeitig ein neues Licht auf das Verständnis von Heideggers Philosophie insgesamt werfen soll.
G. zufolge kreisen Heideggers Überlegungen immer wieder um eine Bestimmung des Verhältnisses von Philosophie und Theologie im Sinne einer positiven, d. h. für Heidegger ontischen Wissenschaft. Philosophie und Theologie zielen darauf, ein Verständnis vom Ganzen des menschlichen Lebens und der Welt zu präsentieren, wobei Heidegger mit Begriffen wie »Sein« und »Ereignis« die Unbegreiflichkeit dieses Ganzen thematisiere und sich so für eine post-theistische Auffassung religiöser Gehalte stark mache. Im Rahmen post-theistischer Positionen werden traditionelle Gottesvorstellungen abgelehnt. Die Gehalte der Religion gelten aber nicht als irrational, sondern werden zu im Rahmen von säkularen Weltbildern akzeptablen, auf die Situation des Menschen im Ganzen bezogene Überzeugungen umgedeutet. Ob sich diese Rekonstruktion mit dem Selbstverständnis von Heidegger deckt, ist eine Frage, über die sich nur spekulieren lässt. Das ist kein Einwand gegen G.s Lektüre, zumal das Selbstverständnis eines Autors für die Rekonstruktion einer philosophischen Position nicht unbedingt von ausschlaggebendem Belang ist. Viel wichtiger ist, dass es sich um eine Deutung handelt, die mit Blick auf das Werk eine aufschlussreiche Perspektive entwickelt und sich in systematischer Hinsicht so konzise wie eben möglich präsentiert. Das in vielerlei Hinsicht kryptische Spätwerk von Heidegger, zu dessen Gestus es geradezu gehört, sich einem diskursiven Zugriff zu entziehen, stellt seine Interpreten in dieser Hinsicht vor jede auch nur erdenkliche Schwierigkeit. G. meistert diese Schwierigkeiten, indem er Heideggers Überlegungen weitestgehend frei von Jargon zu rekonstruieren versucht. Über seine Heidegger-Deutung und – vielleicht noch mehr – über die systematische Tragweite des Konzepts einer post-theistischen Religiosität mag man streiten, die handwerkliche Qualität der Arbeit und die Originalität der entwickelten Perspektive sind jedoch über jeden Zweifel erhaben.
Das Buch enthält fünf Kapitel, von denen das erste einen einführenden Charakter hat, indem es Heideggers Verhältnis zur Theologie erläutert und die Frage nach Gott in den Kontext der in bestimmten Ausschnitten neueren und auch analytischen religionsphilosophischen Diskussion stellt, dabei allerdings weit von einer umfassenden Sichtung neuerer Vorschläge entfernt bleibt. Kapitel zwei diskutiert mit den Begriffen des Seins und des Ereignisses zwei für Heideggers späte Philosophie zentrale Begriffe und erläutert diese vor dem Hintergrund religionsphilosophischer Fragestellungen. Zentral sind die Kapitel drei und vier, in deren Zentrum eine Analyse der (religiösen) Sprache und der Rolle von (religiöser) Erfahrung für das Denken steht. In Kapitel fünf wird Heideggers Rede von Gott oder vom Göttlichen auf die Konzeption eines post-theistischen Verständnisses von Religiosität bezogen als einer Haltung, »die nicht auf einen theistisch verstandenen Gott gerichtet [ist], sondern als grundloses Vertrauen auf die Grundlosigkeit des Seienden« (305).
Folgt man der Interpretation von G., ist es eine sprachphilosophische Frage, welche den Nukleus von Heideggers Philosophie bildet und für dessen Verständnis von Religion charakteristisch ist. Es geht um das Problem, dass man häufig gezwungen ist, in vergegenständlichender Form über etwas zu reden, was kein Gegenstand ist. Beispiele aus dem Bereich der Alltagssprache werden angeführt, ebenso Wittgensteins Analysen zur Bedeutung von Ausdrücken für Empfindungen wie Schmerzen, oder Heideggers Rede vom Sein und die theologische Rede von Gott. In allen diesen Fällen, so macht G. geltend, werde über etwas, was kein Gegenstand ist, so geredet, als sei es ein Gegenstand. Ich vermag nicht recht zu sehen, warum die all tagssprachliche, philosophische oder auch theologische Verwendung von Substantiven für etwas, was weder ein Gegenstand im materiellen noch auch ein Gegenstand im ideellen oder transzendenten Sinne ist, mit besonderen philosophischen Problemen verbunden sein sollte. G. selbst macht im Anschluss an Hans Julius Schneider deutlich, dass nicht alles, was Gegenstand der Rede, Ge­genstand in einem grammatischen Sinn ist, in einem anderen Sinne gegenständlich sein muss (vgl. 172). Das ist eine vergleichsweise triviale Einsicht. Freilich ist darüber nachzudenken, wie Wörter zu deuten sind, die sich nicht auf Gegenstände im materiellen oder ideellen Sinne beziehen; aber ihr bloßer Gebrauch als solcher erfordert noch nicht die Einführung eines besonderen Sprachmo dus, um den es – folgt man G. – Heidegger geht. Dieser versuche durch Neo-logismen der vergegenständlichenden Sprache zu entkommen, müsse aber seinerseits einräumen, dass dies misslinge (vgl. 181). Mit Heidegger möchte G. zeigen, dass die Rede von Gott nicht gegenständlich verstanden werden darf, sondern bildlich aufgefasst werden muss, wobei das im Normalfall zu einem Bild oder einer Metapher gehörende Moment des Vergleichs wie bei den absoluten Metaphern im Sinne Blumenbergs entfällt. G. distanziert sich zwar von den Vorschlägen einer Theopoetik, welche die religiöse Sprache in die Nähe der Dichtung rückt, macht aber ebenfalls auf den besonderen welterschließenden Charakter der religiösen Sprache aufmerksam, welche die Ausbildung neuer Sinnhorizonte ermöglicht. Im Kern »kann die religiöse Rede Bedeutungen ohne Gegenstandsbezug herstellen«, wobei sie »von gehaltvollen Aussagen über die endliche Situation des Menschen ausgeht« (205). Doch wie, so möchte man G. fragen, gelangt man von der religiösen Rede zur Situation des Menschen, ohne diesen Zusammenhang von vornherein zu unterstellen? Wie verhält sich sein Vorschlag, der sich in erster Linie in die Tradition negativ-theologischer Reflexionen einreiht, zu anderen Verständnissen der Rede von »Gott«, wie sie zum Beispiel in der ana lytischen Philosophie diskutiert werden? Dazu hätte man gerne mehr erfahren.
Entscheidend ist G. zufolge, dass die Auseinandersetzung mit dem Gehalt religiöser Rede nicht nur in einer theoretisch-kontemplativen Perspektive zu erfolgen hat, sondern mit Erfahrungen verknüpft sein muss, in denen sich insbesondere das Scheitern der Denkbarkeit solcher Gehalte manifestiert (vgl. u. a. 219 ff.). Wie jedes Verstehen ist auch das Verstehen religiöser Rede in faktischen Lebensvollzügen fundiert, die einer expliziten Vergegenwärti-gung ihrer Gehalte vorhergeht. Aufschlussreich sind in diesem Zusammenhang die Überlegungen zu Heideggers früher Hermeneutik der Faktizität, die sich von der These leiten lassen, dass sich der Primat des Erlebens, mit dem Heidegger die Phänomenologie vom Kopf auf die Füße zu stellen versucht, der Auseinandersetzung mit der religiösen Erfahrung verdankt.
G.s gelehrtes Buch präsentiert eine Fülle von Einsichten und wartet auch bezogen auf zunächst einmal esoterisch anmutende Redeweisen Heideggers (beispielsweise die Rede vom »Geviert«; 139 ff.) mit Rekonstruktionsvorschlägen auf, die den Lesern weiterhelfen. Ob freilich der schmale Grat eines posttheistischen Verständnisses der religiösen Rede begangen werden kann, ohne in die Schlucht eines dezidiert religionskritischen Atheismus abzustürzen oder sich letztlich am Seil eines theistischen Gottesverständnisses zu retten, das ist eine Frage, die sicher weiterhin Gegenstand einer kontroversen Diskussion bleiben wird.