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Ausgabe:

März/2019

Spalte:

234–235

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

Autor/Hrsg.:

Garhammer, Erich

Titel/Untertitel:

Erzähl mir Gott. Theologie und Literatur auf Augenhöhe.

Verlag:

Würzburg: Echter Verlag 2018. 165 S. Kart. EUR 14,90. ISBN 978-3-429-04426-8.

Rezensent:

Christoph Gellner

»Wer die Bereiche Literatur auf der einen Seite, Theologie auf der anderen mit einem ›und‹ verknüpft, muss«, so der emeritierte Würzburger Pastoraltheologe Erich Garhammer, »wissen, dass dieses ›und‹ nicht harmlos sein kann oder je war, sondern höchst spannungsgeladen.« (12) Für G. ist die Beschäftigung mit Literatur, die vor allem Sprach- und Dialogkompetenz fördert, ein Gegengift ge­gen Selbstverzwergung und Selbstmarginalisierung durch kleine und ängstliche Fragen in Kirche und Theologie. Sein auf ein breites Publikum zielendes neues Buch bezeichnet er selbst als »eine ›Dreinrede‹ gegen Sprachschlamperei und Trivialitätenkonjunktur in kirchlicher Verkündigung« (9). Allein die Kraft der Poesie, »in einer nichtpossessiven Sprache über das Unverfügbare zu sprechen« (70), lohnt die Aufmerksamkeit.
Von Haus aus auch Germanist und Ausrichter zahlreicher Begegnungen mit Gegenwartsautoren, hat G. große Verdienste im Aufspüren und Erschließen religiös, spirituell und existentiell relevanter Spuren in der zeitgenössischen Literatur. Gerahmt von seiner Würzburger Antrittsvorlesung 2001 und seiner Abschiedsvorlesung 2017 behandeln die sieben Beiträge des Bandes u. a. Tankred Dorst, Botho Strauß, Thomas Hürlimann, Patrick Roth, Sibylle Lewitscharoff, Hanns-Josef Ortheil, Arno Geiger, Ralf Rothmann und Reiner Kunze. Eine kleine Entdeckung ist Peter Handke als wohl intensivs-ter Bibelleser der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur: Das wird sichtbar in seinen Tagebüchern, die im Marbacher Literaturarchiv als Vorlass einsehbar sind. Zugleich schreibt G. sein Plädoyer für eine »poetische Pastoral« (142) – »Poesie ist das, was durch mich hindurch gegangen ist und Sprache wird«, beruft er sich dabei auf Reiner Kunze – und die unverzichtbare Bedeutung des Literarischen für eine zeit- und kulturell sensible Theologie fort.
Mit der Pastoralkonstitution »Gaudium et spes« Nr. 62 fordert G., die Lebens-, Sprach- und Erfahrungsautorität zeitgenössischer Literatur und Kunst für die Inkulturation des Evangeliums fruchtbar zu machen. Die Art und Weise, wie sich Literatur und Kunst um das Verständnis der Menschen und ihrer vielfältigen Lebenssituation bemühen, hat paradigmatische Bedeutung für sein Verständnis von Pastoral. Es steht der »Suche, Offenheit, Lernfähigkeit« näher als der »Gewissheit, Sicherheit, Zweifelsfreiheit« (27). Nicht von ungefähr wird Literatur vom Konzil als Partnerin im Suchen nach dem Glücken des Menschen positiv gewürdigt.
»Beschäftigung mit Literatur ist ein Therapeutikum gegen kognitives Verschanzen. Sie verwickelt in Lebensgeschichten, löst Schwarz-Weiss-Töne auf, provoziert zu neuem Denken […] Sie mobilisiert einen Überschuss der Transzendenz und widersetzt sich den Pazifizierungsversuchen end-gültiger Antworten […] Literatur ist dabei weder Verkündigungsort noch glaubensferne Wüste: In ihr wird Menschliches dekliniert, und insofern ist sie manchmal auch ein überraschender Ort für den Glauben.« (37 f.)
Lebensgeschichten, ja, von Gott erzählen: »Wer nichts erzählen kann, hat auch nichts zu sagen«: Unter diesem Zitatmotto aus Christoph Ransmayrs Rede zur Eröffnung der Basler Buchmesse resümiert G. in seiner Abschiedsvorlesung biographische Prägungen seiner Pastoraltheologie, die maßgeblich von der Verbindung von Bibel und Leben wie von der Resonanz zwischen Literatur und Existenz geprägt ist. Dabei stützt sich G. auch auf den Schweizer Soziologen Franz-Xaver Kaufmann: »Die Tradierungschancen des Christentums steigen mit dem Grad der Entkirchlichung des Chris-tentums. Die Verkirchlichung steht hier im Weg. Viel chancenreicher sind die individuelle Präsenz des Christentums in Lebens-geschichten und seine kulturelle Präsenz.« Im Anschluss an den Schriftsteller Wilhelm Genazino, der Literatur als palliative Heimat für die Sehnsüchte und Bedürfnisse der Menschen bezeichnet hat, streicht G. mit dem Eingangssatz von »Gaudium et spes« heraus: »Poetische Pastoral ist die palliative Heimat für Freude und Hoffnung, Trauer und Angst. Damit werden die aktuell notwendigen Transformationsprozesse in der Kirche nicht weggedrückt, sondern sie bekommen ein Ziel.« (148)
Die Kirchen scheinen den Kontakt zur ›Seele‹ der meisten Menschen verloren zu haben, können sie innerlich nicht mehr ansprechen. Daher brauche es »die Meridiane der Gefühle der Menschen«, so G.: »Pastoral ist die palliative Heimat der Sehnsüchte der Menschen«, vor allem aus dem »stahlharten Immanenzgehäuse« der säkularen Moderne auszubrechen.
»Pastoral heisst, dass wir in allem Betrieb und Gemache Raum lassen für unsere Geschichten und für die Geschichten der Menschen und sie in Wahrhaftigkeit und in der Offenheit für andere Geschichten erzählen […] Was wir brauchen, ist das Vertrauen in die biografische Validierung der Gottespräsenz in den Lebensgeschichten der Menschen.« (150)