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Ausgabe:

März/2019

Spalte:

221–222

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Zaunstöck, Holger, Klosterberg, Brigitte, Soboth, Christian, u. Benjamin Marschke [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Hallesches Waisenhaus und Berliner Hof. Beiträge zum Verhältnis von Pietismus und Preußen.

Verlag:

Wiesbaden: Harrassowitz Verlag; Halle: Verlag der Franckeschen Stiftungen 2018. XVI, 242 S. m. 2 Abb. u. 3 Tab. = Hallesche Forschungen, 48. Kart. EUR 44,00. ISBN 978-3-447-10961-1.

Rezensent:

Albrecht Beutel

Dass der brandenburgisch-preußische Staat und der Hallische Pietismus zwischen dem ausgehenden 17. Jh. und dem Regierungsantritt Friedrichs des Großen (1740) in eminenter Wechselwirkung miteinander verbunden waren, ist seit Langem bekannt und in den Grundlagenstudien von Klaus Deppermann (1961) und Carl Hinrichs (1971) ausführlich belegt. Das Bemühen, diese folgenreiche Konstellation durch exemplarische Tiefenbohrungen und repräsentative Feldstudien immer noch tiefer auszuloten, gehört seit annähernd drei Jahrzehnten zu den Kerninteressen des Interdiszipli-nären Zentrums für Pietismusforschung an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie der dort angesiedelten Franckeschen Stiftungen. In diesem Zusammenhang stand auch die im Januar 2013 unter dem Titel »Francke und seine Könige. Hallischer Pietismus und Preußen (1690–1750)« abgehaltene interdisziplinäre Tagung, deren Beiträge in dem vorliegenden Band dokumentiert werden. Die Herausgeber – die vom Alphabet abweichende Reihung ihrer Namen bleibt rätselhaft – sprechen ihm bescheiden einen »durchaus transitorischen Charakter« (XV) zu. Diese Einschätzung mindert nicht die fachwissenschaftliche Qualität der Beiträge, sondern unterstreicht deren forschungsbefördernde Intention.
Unter der etwas gezwungenen Überschrift »Berufungen und Institutionen« versammelt das erste Kapitel drei ganz unterschiedliche Fallstudien. Dabei erkundet Marianne Taatz-Jacobi, basierend auf ihrer 2014 publizierten Dissertation, August Hermann Franckes Berufung und erstes Wirken in Halle. Den als »Franckes Kronprinz« titulierten Johann Daniel Herrnschmidt macht Claudia Drese erstmals detailliert und quellengesättigt bekannt. Am Beispiel der 1719 in Züllichau vollzogenen Waisenhausgründung illustriert Antje Schloms die ausstrahlende Prägekraft der von Francke in Halle errichteten Anstalt.
Im zweiten Kapitel (»Netzwerkbildung und politisches Handeln«) wird der in vorzüglicher Edition bereitstehende Briefwechsel zwischen Philipp Jakob Spener und Francke auf die darin greifbaren Beziehungen zur preußischen Staatsführung hin untersucht, wobei nicht zuletzt das von Francke in Berlin filigran ge­knüpfte, ihm vielfach, wenn auch nicht immer zuträgliche Netzwerk ins Blickfeld rückt (Mathias Müller). Hans-Jürgen Schrader arbeitet den Antagonismus zwischen der irenisch-toleranten Religionspolitik der Hohenzollern und den widerständigen Halleschen Pietisten luzide heraus. Instruktiv ist auch der von Frank Göse unternommene sozialgeschichtliche Zugriff auf die Beeinflussung der residenzgesellschaftlichen Verflechtungen durch die Repräsentanten der Theologischen Fakultät Halle.
Unter der wieder nicht ganz glücklich gewählten, profilschwachen Überschrift »Theologie und Politik« bietet das dritte Kapitel eine lesenswerte Detailstudie zu der Frage, welche Behandlung das Thema der Kirchenzucht in Franckes Collegium Pastorale (1713) gefunden hat (Terence McIntosh). Zu der bereits detailliert erforschten Eskalation, in die der Streit zwischen Christian Wolff und den Halleschen Pietisten 1723 ausmündete, steuert Jürgen Overhoff in­teressante neue Aspekte bei. Deutlich weiter ausgreifend analysiert Peter James Yoder die in der Theologie Franckes aufscheinenden martialischen Semantiken und Diskurse. Damit korrespondiert die exzellente Fallstudie, die Malte van Spankeren zu Gehalt und Wirkung der von Herrnschmidt 1704 publizierten Schrift Der fromme Soldat vorgelegt hat.
Das letzte Kapitel widmet sich exemplarischen Fragen der »Traditionsbildung und Rezeption«. Christoph Schmitt-Maaß fahndet in den 1713 auf den Tod König Friedrichs I. gehaltenen Leichenreden sowie auf den Regierungsantritt König Friedrich Wilhelms I. vorgetragenen Huldigungspredigten nach pietistischen Obrigkeitseinschätzungen. Daneben treten die historiographische Dis­tanzierung, die König Friedrich II. seinem Vater angedeihen ließ (Andreas Pecar), und das von Wilhelm Roscher im späten 19. Jh. rekonstruierte Verhältnis von Preußentum und Pietismus (Tim Petersen) detailscharf hervor.
Der Band schließt mit einem Personen- und Ortsregister. Es steht außer Zweifel, dass er den ihm zugedachten »transitorischen Charakter« vielfältig zu erweisen und nutzbar zu machen imstande sein wird.