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Ausgabe:

März/2019

Spalte:

186–189

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Stowasser, Martin [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Das Gottesbild in der Offenbarung des Johannes.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2015. VIII, 256 S. = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament. 2. Reihe, 397. Kart. EUR 79,00. ISBN 978-3-16-153449-2.

Rezensent:

Stefan Alkier

Der Band versammelt acht Beiträge einer im März 2014 an der Römisch-Katholischen Fakultät der Universität Wien gehaltenen Fachtagung, die zum Ziel hatte, »sich auf die Konturen des Gottesbildes in der Offenbarung des Johannes zu konzentrieren und (sic!) aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu beleuchten.« (Vorwort) Vorangestellt ist eine Einführung des Herausgebers (1–9), der die Beiträge knapp zusammenfasst. Stellenregister, Autorenregister und Sachregister runden den Band ab.
Beate Kowalski vertritt in ihrem Beitrag »Gottesbilder in Offb 21,1–8. Alttestamentliche Vernetzungen« (11–52) folgende These: »In 21,1–8 werden zahlreiche semantische Felder und Motive des Makrotextes miteinander und mit alttestamentlichen Prätexten vernetzt. Dabei entsteht ein unübertroffen neues Bild von der Erlösung durch Gott.« (12) Nach einer semantischen und syntagmatischen Analyse, die Kowalski auch in Schaubildern übersichtlich und gewinnbringend darstellt, zeigt sie methodisch stichhaltig zunächst intratextuelle Vernetzungen der Perikope mit dem Makrotext der Apk auf und analysiert danach intertextuelle Bezüge zu »alttestamentlichen« Texten. Kontrastierende Darstellungsweisen der Apk – z. B. Hure Babylon versus himmlisches Jerusalem – missinterpretiert Kowalski allerdings als »dualistisch«, was sie dann mit Blick auf 21,7 f. zu dem Fehlschluss verleitet, »dass auch das Gottesbild der Offb vom dualistischen Denken geprägt ist und damit seine Grenzen hat.« (29) Ihre intertextuellen Beobachtungen führen sie zu der Interpretation, dass in der Apk Gott zum »Bundespartner aller Völker« (41) wird. Die Systematisierungen einer »Flut an Gottesbildern« (46.50), die Kowalski in 21,1–8 zu finden meint, überzeugen dann aber nicht mehr, da hier weniger philologische, textanalytische und intertextuelle Interpretationen zusam mengeführt als vielmehr systematisch-theologische Begrifflichkeiten appliziert werden. Dass Kowalski »Gott als Zentrum der ökumenischen Kirche« in Offb 21,2 f. sieht und das »neue Jerusalem« (Apk 21,2) sogar als »vollendete Kirche« identifizieren kann, ist philologisch unbegründet und als theologisches Postulat eher der Ekklesiologie der Verfasserin, als ihrer Textanalyse geschuldet.
Einen innovativen Beitrag zur Intertextualitätsforschung und zur religionsgeschichtlichen Verortung der Apk steuert Martin Karrers Aufsatz »Das Gottesbild der Offenbarung vor hellenistisch-frühkaiserzeitlichem Hintergrund« (53–81) bei. Karrer legt sein Augenmerk auf Bezüge der Apk zu solcher griechischer und römischer Literatur, die nicht der Verehrung des Gottes Israels verpflichtet ist. Dabei gibt er mit seinem intertextuellen survey be­gründeten Anlass, die Intertextualitätsforschung zur Apk nicht länger einseitig an der (anachronistisch formulierten) Frage nach dem »Alten Testament im Neuen Testament« auszurichten. Karrer weist nach, dass der Autor der Apk mit dem Bildungsgut helle-nistisch-römischer Kultur vertraut war. Dabei lässt er offen, ob Johannes die Anspielungen etwa auf Homer oder auf die sogenannte Mithrasliturgie intendiert hat. In jedem Fall gilt aber re­zeptionsorientiert: »Er gestattet seinen Leserinnen und Lesern die Assoziation zu Homer« (57). Karrer kommt zu dem Schluss: »Das Götterbild der Offb hat daher am Ende manche Facetten überraschend mit Zeus gemeinsam und ignoriert ebenso andere theologisch wichtige Facetten frühchristlichen Denkens, weil sie Zeus-Jupiter ähnlich wären.« (66) Karrer findet darüber hinaus nicht nur Anspielungen auf weitere Götter wie Dionysos und vor allem Apollon (vgl. 66 ff.). Seine intertextuellen Beobachtungen sind vielmehr ein Plädoyer »für den religionsgeschichtlichen Ort der Offb im kaiserzeitlichen Hellenismus« (71).
Der Beitrag von Michael Labahn, »Der Menschensohngleiche als Gottes Richter und Gottes Krieger in Offb 1,9–20. Christologie zwischen Schriftrezeption, griechisch-römischer Vorstellungswelt und christlicher Deutung« (83–111) bietet in methodischer Klarheit und erkenntnisreicher Komplexität eine Analyse der Figurenzeichnung des kosmischen Christus. Labahn zeigt auf, wie nah die Apk Christus an Gott heranrückt, ohne aber die Grenze zwischen Gott und Christus zu verwischen. Der Titel »Pantokrator« bleibt trotz der Partizipation des kosmischen Christus an göttlicher Macht und göttlichen Insignien allein Gott vorbehalten. Wie Karrer mit Blick auf das Gottesbild der Apk verweist Labahn mit Blick auf die Chris-tologie auf intertextuelle Bezüge zu griechisch-römischer Literatur. Hier bringt er vor allem solche Kaiserverehrung ins Spiel, die die Identifikation mit dem Sonnengott Helios in Anspruch nahm (100). Labahn zeigt zudem intertextuelle Bezüge zur Rede von Gott in den Heiligen Schriften Israels auf, die für die Figurenzeichnung des kosmischen Christus in Anspruch genommen werden. Diese hohe Christologie interpretiert Labahn als präsentische Soteriologie, die den bedrängten Christusanhängern die für sie »pro-aktive« (91), d. h. die im erhöhten Christus bereits jetzt wirksame Macht Gottes vor Augen führt: »Die Darstellung der Figur lässt ihn als eine himmlische Gestalt an der Macht Gottes und an dessen Herrschaftsausübung partizipieren; sie ist primär handlungsorientiert und an der Relation zur Gemeinde interessiert.« (109)
In Anschluss an Otto Böcher und Traugott Holtz sieht Klaus Wengst in seinem Beitrag »Protest als Zeugnis und Widerspruch. Soziale und politische Aspekte im Gottesbild der Offenbarung« (114–128) die grammatischen Regelverstöße der Apk nicht als »Dokument sprachlichen Unvermögens, sondern« als »eine ›Kunstsprache‹ auf hebräisch-aramäischer Basis« (Zitat von Otto Böcher in Anm. 5, 115 f.) Anders aber als Karrer und Labahn ist Wengst darum bemüht, jeglichen Einfluss griechisch-römischen Denkens auf den Autor der Apk zu marginalisieren: »Die formale Gestaltung der Aussage in Offb 1,4 mag von der griechischen Dreizeitenformel an­geregt sein, inhaltlich ist sie von der biblischen Tradition be­stimmt.« (115) Diese wiederum interpretiert Wengst nicht innerhalb ihrer ursprünglichen enzyklopädischen Kontexte, sondern aus der Perspektive späterer rabbinischer Literatur (vgl. 116 f.). Hermeneutische oder methodische Reflexionen dieses Auslegungsverfahrens unterbleiben indes. In der Tradition allegorischer Interpretation versteht Wengst »den Drachen als auctor römischer Staatsgewalt« (122), die für Wengst »die Macht des Chaotischen« (122) darstellt. Wengst kontrastiert die von ihm undifferenziert als böse gebrandmarkte Herrschaft der Römer mit Gottes Macht (vgl. 123). In dieses dualistische Weltbild zeichnet er dann die »Gemeinde« ein: »Die Gemeinde wird so verstanden als eine Gegenwelt zum Imperium Romanum« (127).
Der »Relation von Theologie und Christologie, von monotheis-tischer Grundüberzeugung und Christusglaube« (129) widmet sich Konrad Huber in seinem Beitrag »›Gott bete an!‹ (Offb 19,10; 22,9). Christusbild und Gottesbild der Johannesoffenbarung im Spannungsfeld von wesensmäßiger und funktionaler Einheit und Differenz.« (129–147) Huber skizziert zunächst die exzeptionelle Nähe zwischen Gott und Christus durch die Würde der Anbetung (130–134) sowie der Throngemeinschaft (134–136), verweist dann auf »Aspekte von Handlungs- und Funktionseinheit Christi mit Gott« (136–143), um aber abschließend in überzeugender Weise die »Vater-Sohn-Relation als Kern der Differenz« (144–146) herauszustellen. Damit entwirft Huber tatsächlich »ein facettenreiches, vielschichtiges und auch nicht immer einfachhin auf einen Nenner zu bringendes Bild« (146) und trägt zu einer sachgemäß komplexen Diskussion der Zuordnung von Theologie und Christologie der Apk bei. Hubers »Überzeugung von Wesensgleichheit und entsprechender Handlungs- und Funktionseinheit mit Gott« (146) ist jedoch sowohl terminologisch als auch sachlich eher eine systematisch-theologische Positionierung, die seinen eigenen differenzierten exegetischen Ergebnissen zuwiderläuft.
Der Beitrag von Martin Stowasser, »Gottesepitheta als Christus-epitheta. Überlegungen zur Gottheit Gottes in der Offenbarung des Johannes« (149–175) bezieht zum Verhältnis von Theologie und Christologie die Gegenposition zu Hubers »Überzeugung von Wesensgleichheit«. Stowasser betont die Differenz zwischen Gott dem Schöpfer und seinem »Geschöpf«, dem Lamm Jesus Christus (vgl. 155): »Das Lamm erhält also göttlichen Lobpreis wegen seiner Stellung im Geschichtsplan Gottes, nicht aber entfaltet sich ein gottgleiches Wesen des Lammes in seinem Heilswirken.« (156) Das Zusammenwirken von Gott und Christus bezeichnet Stowasser mit Anton Vögtle als »Aktionseinheit« (174). Die auf Christus übertragenen göttlichen Epitheta bedeuten qua Übertragung etwas anderes, weil Gott als Schöpfer und Christus »als eschatologischer Richter wie Herrscher« denotiert und die Bedeutung der Epitheta jeweils dahingehend verschieden konkretisiert werden müssen.
Martin Hasitschka stellt in seinem Beitrag »Zeugnis für Gott in der Offenbarung des Johannes und im Johannesevangelium. Ge­meinsamkeiten und Unterschiede« (177–197) in assoziativer Aneinanderreihung Elemente aus der Apk und dem JohEv gegenüber. Für grundlegend erklärt er den gemeinsamen Bezug auf den Gott Israels und auf die heiligen Schriften Israels – was allerdings auch für die anderen neutestamentlichen Schriften gilt. Den Unterschied der Darstellung Jesu Christi sieht Hasitschka vor allem darin, dass im Evangelium das Zeugnis im irdischen Leben stattfindet, während in der Apk »die Tätigkeit des von den Toten auferweckten Christus« (178) im Vordergrund steht.
Rita Müller-Viehberg setzt sich mit ihrem Beitrag »›Nah ist und schwer zu fassen der Gott‹ (F. Hölderlin). Das Gottesbild der Johannesoffenbarung in ausgesuchten Beispielen literarischer Rezeption« (199–227) dafür ein, vermittelt über die literarische Rezeption der Apk eine exegetische Grundhaltung zu befördern, die »die dunklen Seiten Gottes« und die »Widersprüche« (226) in biblischen Texten nicht verschweigt, sondern sie als Chance begreift, sich im Kontext der je eigenen Welt damit auseinanderzusetzen.