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Ausgabe:

März/2019

Spalte:

184–186

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Öhler, Markus

Titel/Untertitel:

Geschichte des frühen Christentums.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2018. 366 S. m. 9 Ktn. = UTB 4737. Basiswissen Theologie und Religionswissenschaft. Kart. EUR 24,99. ISBN 978-3-8252-4737-9.

Rezensent:

Axel Wiemer

Nach Dietrich Alex Koch, Geschichte des Urchristentums (2013; 2. Aufl. 2014) und Udo Schnelle, Die ersten 100 Jahre des Christentums (2015; 2. Aufl. 2016) legt Markus Öhler die dritte deutschsprachige Darstellung der Anfänge innerhalb von fünf Jahren vor. Sie unterscheidet sich von ihren Vorgängern durch ihren Umfang, der den knapperen Vorgaben der Reihe »Basiswissen Theologie und Reli-gionswissenschaft« genügen muss, aber auch durch eigene Posi-tionen. So hilfreich es ist, sich einen Überblick schneller erlesen zu können, wünscht sich der Leser mitunter eine differenziertere Argumentation, als Ö. sie aus Platzgründen bieten kann. So bleibt dann doch auch (!) der Griff zu den ausführlicheren Werken nötig.
Zum Inhalt: In den ersten drei Kapiteln klärt Ö. Grundfragen historischen Arbeitens und leuchtet in einem recht straffen Überblick über die griechisch-römische Welt sowie Religion und Kultur der Judäer die Bühne aus, auf der die Geschichte des frühen Chris-tentums ihren Weg fand.
Nach einer knappen Erörterung von dessen Chronologie beginnt die inhaltliche Darstellung dann mit historischen Überlegungen zu Jesus und seiner Passion, eine für Studierende hilfreiche Verknüpfung. Schon hier fällt auf, dass Ö. – bei aller Tendenzkritik, etwa der Apg – den historischen Wert der neutestamentlichen Quellen relativ hoch veranschlagt, z. B. wenn er Jesu Sterberuf Mk 15,34 für »wahrscheinlich historisch« (123) hält. Es schließen sich Kapitel über Ostern und Pfingsten und die ersten Gemeinschaften in Judäa, Galiläa und Samaria an. Ö. zeigt, dass die Christusgläubigen schon in Jerusalem keine homogene Gruppe, sondern nach ihrem geographischen und sprachlichen Hintergrund mehrere Kreise bildeten, und erreicht so seine erklärte Absicht, »die von Anfang an bestehende Diversität des frühen Christentums er­kenntlich werden« zu lassen (10; vgl. den »Rückblick« am Ende dieser Kapitel, 161 f.). Durch die Bevorzugung der Bezeichnung »Judäer/judäisch« vor »Jude/jüdisch« (vgl. 14) unterstreicht er wirksam die antike Wahrnehmung der »Judäer« mehr als Volk denn als Religion und plausibilisiert so seine These, dass mit der Aufnahme von Nichtjudäern in die Gemeinde kulturelle Vorbilder wie antike Vereine oder Mysterienkulte an Bedeutung gewinnen. Dies ist schon in den Gemeinden der Fall, die – nächstes Kapitel – in Syrien, u. a. Damaskus und Antiochien, durch die aus Jerusalem vertriebenen Diasporajudäer gegründet werden und »die identitätsstiftende und soteriologische Bedeutung des Gesetzes« zunehmend geringer einschätzen als die in Jerusalem verbliebene hebräisch-aramäisch geprägte Gemeinde (174).
Das mittlere Drittel der inhaltlichen Darstellung fokussiert auf Paulus. Nach dessen »Frühzeit« entfaltet Ö. an den Stationen Apos-telkonvent, Antiochenischer Konflikt, Aposteldekret und galatische Krise die »fortwährende Auseinandersetzung um Gesetz und judäische Identität« (10. Kapitel), wobei die Diskussion um Be­schneidung und Speisegebote im Vordergrund steht. Zwei weitere Kapitel stellen die Ausbreitung des Evangeliums durch Paulus sowie seine »nicht-jüdischen Gemeinden« (242) dar. Ö. skizziert dabei auch seine Sicht der Entstehung der authentischen Paulusbriefe, was wiederum für Studierende hilfreich ist.
Eine solche Einbettung klassischer Einleitungsfragen in die his­torische Darstellung bieten auch die folgenden Kapitel, die nicht mehr chronologisch vorgehen, sondern verschiedene Blickwinkel auf den Zeitraum 60–135 n. Chr. nebeneinanderstellen. Zunächst unterstreicht Ö. nochmals die Diversität des frühen Christentums, indem er nacheinander dessen »Aufnahme und Weiterführung judäischer Identität […] vom Apostelkonvent […] bis zum Bar-Kochba-Aufstand« (13. Kapitel, u. a. zu Mt, Jak) und dessen Entwicklung »in der griechisch-römischen Gesellschaft« (14. Kapitel, u. a. zu 1Petr) darstellt. Dass beide Kap. auf Offb/Apk eingehen, lässt verstärkt fragen, ob Ö. die Distanz zwischen den beiden Entwicklungslinien nicht tendenziell überbetont bzw. neben dem unterscheidenden »Judäisch«-Ethnischen das verbindende »Jü­disch«-Religiöse zu gering veranschlagt. Abschließend bietet eine sachlich bestimmte Doppelperspektive Überlegungen zu inneren Krisen sowie inneren Wandlungen des frühen Christentums. Mit Wolter differenziert Ö. Kontinuitätskrise und Kohärenzkrise und verbindet deren Darstellung wiederum mit Situierungen neutestamentlicher Literatur (hier Deuteropaulinen, synoptische Traditionen und Apg, dort das Ringen um die Eschatologie). Durchweg sind neben später kanonischen Texten auch andere Quellen im Blick, auch später als häretisch ausgeschiedene Positionen wie die beginnende Gnosis werden dargestellt. Dass sich die Traditionsbildung in Gestalt des neutestamentlichen Kanons nur als Fortschreibung der frühen Entwicklungen und Auseinandersetzungen verstehen lässt, wird so mehr als deutlich. Das letzte Kapitel beschreibt die sich herausbildende religiöse Identität des Christentums daneben auch durch die Entwicklung grundlegender religiöser Vollzüge und einer Ämterstruktur sowie die soziale Gestalt und das teils spezifische Ethos.
Der Rezensent, der Studierende des nichtgymnasialen Lehramts unterrichtet, liest ein solches Buch auch mit Blick auf seine Zugänglichkeit. Mancher Satz ist recht komplex gebaut – oft, weil ein Nebensatz noch abgelehnte Gegenpositionen andeutet –, doch werden neutestamentliche Begriffe stets auch in Umschrift und Übersetzung geboten und der Einsatz von Fremd- und vor allem Fachvokabular nicht übertrieben. Die Erschließung durch Personen-, Orts-, Sach- und Stellenregister ist vorbildlich, die Nennung leitender Stichworte in der Randspalte bietet gute Orientierung. Leider nicht so leicht finden sich die Exkurse zu Einzelfiguren (Petrus, Maria Magdalena, Barnabas, Timotheus, Jakobus) und die Karten: Weder Inhaltsverzeichnis noch klare Verweise in Personenregister oder Abbildungsverzeichnis helfen hier.
Das ist vor allem dann schade, wenn die Platzierung nicht einleuchtet – die S. 26–28 zu »Herrschaft in Palästina« vermisste Karte findet sich erst S. 98 zu »Geburt und Herkunft« Jesu und der Exkurs »Timotheus« hätte besser in das 11. als in das 12. Kapitel gepasst. Uneinheitlich ist die Verwendung der schattierten Felder – mal bieten sie Überblick (elementare Daten oder informative Listen), mal Hintergrund (Exkurse z. B. zu Begrifflichkeiten oder Datierungsfragen), mal Illustration (Zitate oder exemplarische Bibelstellen). Für Studierende scheint die von Lukas Bormann, Theologie des Neuen Testaments (2017), in derselben Reihe verfolgte Linie hilfreicher, solche Felder durchgängig für kurze Zwischenresümees zu nutzen.