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Ausgabe:

Januar/2019

Spalte:

141–142

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Raabe, Gerson

Titel/Untertitel:

Ökumene um jeden Preis? Ein protestantischer Zwischenruf.

Verlag:

München: Claudius Verlag 2018. 176 S. Kart. EUR 16,00. ISBN 978-3-532-62822-5.

Rezensent:

Ulrich H. J. Körtner

Hier schreibt ein überzeugter Barthianer – allerdings kein Anhänger Karl Barths, sondern des Hallenser Systematikers Ulrich Barth. Dessen Protestantismusdeutung bietet die Folie für Gerson Raabes Plädoyer für eine »Ökumene der Profile« (153 ff.), die sich der »GroKo«-Mentalität bzw. dem ökumenischen »Kuschelkurs« (10), den evangelische und katholische Kirche in Deutschland verfolgen, widersetzt. Die Formel von der Ökumene der Profile stammt allerdings von Wolfgang Huber, was R. unterschlägt. Der so erzeugte falsche Eindruck, er habe diese Formel neu erfunden, ist mehr als ärgerlich. Tatsächlich geht es R. darum, die von ihm gekaperte Wendung Hubers kulturprotestantisch umzudeuten. Er will seinen Essay als »religiöse Flugschrift« (7) und Streitschrift verstanden wissen, womit er wohl auf die Flugschriften im Reformationszeitalter anspielt. Die Einebnung konfessioneller Unterschiede ist ihm zuwider, hat er doch seine Zweifel, dass tatsächlich zusammengehört, was heute nach Wünschen kirchenleitender Funktionäre, aber auch vieler Zeitgenossen, zusammenwachsen soll. R. ist jedenfalls »nicht wohl bei der Sache« (10), wie er anhand von persönlichen Erlebnissen illustriert.
Seine holzschnittartige Darstellung dessen, was man in der älteren Konfessionskunde Unterscheidungslehren nannte, arbeitet mit einem essentialistischen Konfessionsbegriff. R. meint als »Re-ligionsprofessioneller« (15) über ein ausreichendes konfessionskundliches »Hintergrundwissen« (12) zu verfügen, gibt aber un­umwunden zu, in der jüngeren römisch-katholischen Lehrbildung und den gegenwärtigen innerkatholischen Debatten nicht sonderlich bewandert zu sein. Die Mühen solider Quellenarbeit auf sich zu nehmen, »mag anderen überlassen bleiben« (37). R.s Darstellung reformatorischer Positionen stützt sich im Wesentlichen auf Ulrich Barth, Emanuel Hirsch und Karl Holl. Eigenständige Lutherlektüre ist nicht zu erkennen.
R. beklagt nicht nur den heutigen Traditionsabbruch, sondern auch die Verengung kirchlicher Zukunftsmodelle auf die Kerngemeinde und eine damit verbundene Verkirchlichung des Protestantismus. Seine Hoffnung setzt er dagegen auf eine unsichtbare Kirche bildungsbürgerlicher Kulturprotestanten, die zwar kaum zur Kirche gehen, der Institution Kirche kritisch bis ablehnend gegenüberstehen, viele überlieferte Glaubensinhalte für obsolet halten, das traditionelle Gebet längst aufgegeben haben, dafür aber in Kunst, Konzertsaal und Kino ihre Andacht suchen. Während die konfessionellen Großkirchen ihre Religionsfähigkeit weithin eingebüßt hätten, existiere auch weiterhin eine lebendige Religion, die freilich »für ihre Praxis auf die Kirchen verzichten kann« (33). Zwar ist, wie R. einräumt, eine Religion außerhalb der Kirchen noch schwerer als ein außerkirchliches Christentum zu identifizieren, aber das ficht ihn nicht an, fest mit einer solchen zu rechnen und sogar daran zu glauben, »dass wir es hier im besonderen Maße mit lebendiger Religion zu tun haben« (33). So wärmt R. die hinlänglich bekannte These von der unsichtbaren Religion (Thomas Luckmann) auf, die zum Credo heutiger Kulturprotestanten ge­hört, um in einer unsichtbaren Volkskirche freier Geister die Kirche der Zukunft zu erblicken (vgl. 165).
Die Welt von heute – wer wollte das bestreiten – ist einigermaßen kompliziert. Verständlich ist daher der Wunsch nach Komplexitätsreduktion auf allen Gebieten des Lebens. Im Bereich des Religiösen sei auch die Ökumene »gewissermaßen ein Instrument zur Komplexitätsreduzierung« (25), das R. in einem Atemzug mit »un­terschiedlichen Populismen« (ebd.) nennt. Ihn stören auch die ständigen kirchlichen Verlautbarungen, die zu komplexen Fragen eindeutig Stellung beziehen wollen. Der prophetische Gestus kirchlicher Funktionäre ist tatsächlich nicht immer angebracht. Die These, dass die Kirchen in der modernen Gesellschaft grundsätzlich kein Wächteramt reklamieren dürfen (21), zumal die ausdifferenzierte Gesellschaft von heute ein solches Amt auch gar nicht mehr nötig habe (34), verdient Widerspruch.
R. spricht einer privatisierten Innerlichkeit das Wort, die aus der Öffentlichkeit in die Intimsphäre verbannt wird und mitunter ins Unbewusste abgleitet (vgl. 13), was aber seiner These von der überaus großen Lebendigkeit dieser privatisierten Religion offenbar keinen Ab­bruch tut. Wie die Absage an ein kirchliches Wächteramt damit zusammengehen soll, dass R. gegen Ende seines Buches fordert, die Kirchen sollten »ihre Stimmen erheben« (163) und sich »Gehör verschaffen« (165), um im Sinne eines christlichen Menschenbildes humanitäre Standards zu fördern – egal. Zu guter Letzt bemüht R. die Formel von der Einheit der Kirchen in versöhnter Verschiedenheit (166 ff.). Wie solche Versöhnung theologisch zu denken ist, welche Form der Einheit zu erstreben ist, bleibt völlig offen. Wer über eine Ökumene der Profile konstruktiv nachdenken will, sollte lieber zu Wolfgang Huber greifen.