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Ausgabe:

Januar/2019

Spalte:

138–139

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Guerriero, Elio

Titel/Untertitel:

Benedikt XVI. Die Biographie. M. e. Vorwort v. Papst Franziskus u. e. Interview m. Benedikt XVI.

Verlag:

Freiburg i. Br.: Verlag Herder 2018. 653 S. Lw. EUR 38,00. ISBN 978-3-451-37832-4.

Rezensent:

Helmut Moll

Drei Jahre nach dem Rücktritt von Papst Benedikt XVI. legt der »italienische Bestseller-Autor und langjährige[r] Begleiter von Benedikt XVI.« (Klappentext) Elio Guerriero eine umfassende Biographie über den deutschen Pontifex vor, die im Mailänder Verlag Mondadori erschienen war. G. war über 20 Jahre Schriftleiter der italienischen Ausgabe der Internationalen Zeitschrift Communio, deren Mitbegründer Joseph Ratzinger war; zudem übersetzte er zahlreiche Veröffentlichungen Ratzingers und las die italienische Übersetzung von »Jesus von Nazareth« aus dem Jahre 2011 für die Ge­samtausgabe gegen.
Die Biografie, G.s »Lehrern Hans Urs von Balthasar, Henri de Lubac und Joseph Ratzinger« (5) gewidmet, beginnt mit einem Vorwort von Papst Franziskus, der seinem Vorgänger dafür dankt, dass er »sein profundes theologisches Denken stets in den Dienst der Kirche gestellt hat, zuletzt in Ämtern mit höchster Verantwortung« (13). In seiner »Einleitung« würdigt G. ausdrücklich Benedikt, besteht doch dessen Erbe »in der tapferen Verkündigung der Wahrheit – ein wertvolles Gut für die gesamte Menschheit« (16).
In chronologischer Folge präsentiert G. in 19 Kapiteln die wichtigsten Stationen im Leben Benedikts auf der Grundlage von zahllosen Quellen und Zeitzeugenbefragungen. Selbst kenntnisreiche Theologen und Historiker erfahren neue Perspektiven, nicht wenige Hintergrundinformationen und hilfreiche Übersichtsdarstellungen, nicht zuletzt in den Kapiteln »Deutschland im Dritten Reich« (21–52) und »Der Weg zum Priestertum« (53–87).
Breit gibt G. die Qualifikationsschriften Benedikts, die Sitzungsperioden des Zweiten Vatikanischen Konzils sowie der universitären Stationen von Freising über Bonn, Münster, Tübingen nach Regensburg wieder. Bereits in Bonn setzt sich Benedikt mit den evangelischen Theologen Emil Brunner und Karl Barth auseinander; er schließt Freundschaft mit dem Konvertiten Heinrich Schlier sowie mit dem »glühenden Protestanten« (119) Paul Hacker. Ebenso wenig fehlte der »Dialog mit der Orthodoxie« (243 f.). Eingeflochten werden die in jenen Jahren publizierten Schriften, wie z. B. über die Eschatologie, durch die die Entwicklung im theologischen Denken Benedikts deutlich hervortritt. Das nach 1969 entstandene Klischee, Benedikt sei vom Progressiven zum Konservativen geworden, wird überzeugend widerlegt. Es folgt dessen fünfjährige Zeit als »Erzbischof von München und Freising« (223–255). Die »ersten Jahre in Rom« (257–284) waren nicht leicht, insbesondere die Auseinandersetzung mit den Strömungen der »Theologie der Befreiung«, aber auch mit einzelnen Theologen wie Hans Küng, Edward Schillebeeckx, Charles Curran oder Leonardo Boff; hier hätte man sich mehr gewünscht über die Beurteilung abweichender theologischer Meinungen, insbesondere gegenüber den in die Kritik geratenen Personen Jacques Pohier, György Bulanyi, Anthony Kosnik, André Guindon, Marciano Vidal, Tissa Balasuriya, Robert Meßner, Anthony de Mello, Roger Haight oder Jeannine Gramick mit Robert Nugent, zumal die Glaubenskongregation offizielle Erklärungen über sie veröffentlichte. »Schwierige Amtsjahre« (433–456) urteilt G. über das Papstamt Benedikts, die »Kirche im Sturm« (513–538) angesichts des Skandals um pädophile Priester und den Konflikt mit den Lefebvrianern. Kardinal Bertone schneidet schlecht ab, auch wegen Vati-leaks (vgl. 516–518.548–552). Mit viel Einfühlungsvermögen skizziert G. den Amtsverzicht im Jahre 2013. Benedikt zieht sich in das Kloster Mater Ecclesiae im Vatikan zurück (569–581); am Ende steht ein »Interview mit Papst Benedikt XVI.« (583–587).
Rückblickend ist G. für seine ebenso minutiöse wie quellenorientierte Biographie sehr zu danken. In mühevoller Kleinarbeit gelingt es ihm, ein ebenso vollständiges wie differenziertes Bild des deutschen Papstes nachzuzeichnen. Er versucht, ein wirklichkeitsgerechtes und ausgewogenes Porträt wiederzugeben, ohne kritische Punkte auszublenden: Im Berufungsverfahren für Johann Baptist Metz an die Universität München schreibt G.: »Es folgte eine Welle von Protesten gegen Maier, aber auch gegen Ratzinger, dem man nicht zu Unrecht vorwarf, die Entscheidung des befreundeten Minis-ters beeinflusst zu haben« (249). Das zweite Dokument der Glaubenskongregation über die »Theologie der Befreiung« (1986) war G. »zu lang« (293). In Sachen des Jesuiten Jacques Dupuis moniert G.: »Die Maßnahme, die das Lehrverbot für einen Professor mit sich brachte, der damals 74 Jahre alt war und kurz vor der Pensionierung stand, erschien sehr engherzig« (376). Die Bischofssynode über die Eucharistie 2005 endet nach G. in einem »gewissen Misskredit«, denn das »Fehlen echter Entscheidungen vermittelte den Eindruck, dass die Synode nunmehr zu einem trägen Ritual geworden war, unfähig, Entscheidungen für das Leben der Kirche zu treffen« (427 f.). Bezüglich des von Rom erlaubten Personalordinariates der Anglikaner heißt es: »Die Maßnahme Papst Benedikts rief bei Katholiken wie Anglikanern nicht wenig Kritik hervor.« (535)
Im finalen Gespräch mit G. betont Benedikt: »Ich habe 15 Kapitel gelesen« (583). Gleichwohl fällt der Faktencheck wenig günstig aus: Die Behauptung: »Der Beitritt zur Hitlerjugend […] wurde schon bald für die gesamte deutsche Jugend Pflicht« (43), stimmt nicht (Das italienische Original spricht auf S. 26 von: »obbligo per i giovani tedeschi«). Regens Michael Höck hat nicht »am Germanikum in Rom studiert« (55), sondern an der Päpstlichen Universität Gregoriana. Gehört Belgien zu den »hauptsächlich protestantischen Gegenden und Ländern« (109)? Wohnten im Päpstlichen Priesterkolleg Santa Maria dell’Anima in Rom »deutsche Seminaristen« (132)?; handelt es sich um ein »deutsches Kolleg« (136)? Der Schülerkreis Benedikts traf sich nicht »gewöhnlich alle vierzehn Tage« (185), sondern einmal monatlich. Der spanische Priester Maximino Arias Reyero war kein »lateinamerikanischer Schüler Ratzingers« (246). Edward Schillebeeckx war auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil kein »Berater des Bischofs von Nijmegen« (298). Im Jahre 1990 gab es keine »16 römische Kongregationen« (332), sondern neun. Die römische Hochschule Regina Apostolorum ist keine »Universität« (447). Glaube, Hoffnung und Liebe sind göttliche Tugenden, keine »Kardi-naltugenden« (458). »Traditionell wurden seit dem Mittelalter« die Selig- und Heiligsprechung »in Rom gefeiert« (464), ist nicht möglich, weil die Seligsprechungen erst mit Urban VIII. einsetzten. In formaler Hinsicht lässt das Werk bisweilen nicht wenig zu wünschen übrig.
G. hat mit viel Sympathie das Leben des deutschen Papstes auf der Grundlage zahlreicher Quellen, Dokumente, An­sprachen und Zeitzeugen erarbeitet, was große Dankbarkeit verdient. Schwächen unterschiedlicher Art können die positive Wertung dieser umfänglichen Arbeit nicht wesentlich schmälern. Die sachlichen Fehler sollten aber in einer evtl. Zweitauflage korrigiert werden. Insgesamt fehlt der objektivierende Abstand zu Benedikt. Die Biographie verdient gleichwohl eine zahlreiche Leserschaft, vor allem solche, die mehr über diesen Papst wissen wollen bzw. sich an ihm reiben.