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Ausgabe:

Januar/2019

Spalte:

135–137

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Demel, Sabine, u. Michael Pfleger [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Sakrament der Barmherzigkeit. Welche Chance hat die Beichte?

Verlag:

Freiburg i. Br.: Verlag Herder 2017. 637 S. Geb. EUR 39,99. ISBN 978-3-451-34961-4.

Rezensent:

Peter Zimmerling

Dieses Buch stellt eine Art Kompendium zum Sakrament der Beichte in der römisch-katholischen Kirche im deutschsprachigen Raum dar. Anlässlich des 75. Lebensjahrs von Peter Krämer, der als Inhaber des Lehrstuhls für Kirchenrecht viele Jahre an den Katholisch-Theologischen Fakultäten der Universitäten in Eichstätt und Trier tätig war, haben die beiden Herausgeber ein Werk vorgelegt, das die Beichte in einer nahezu umfassenden Weise aus einer Fülle von Perspektiven beleuchtet. Sabine Demel ist seit 1997 Inhaberin des Lehrstuhls für Kirchenrecht an der Fakultät für Katholische Theologie der Universität Regensburg, Michael Pfleger ist Diplom-Theologe und Diplom-Psychologe. Um das Wichtigste vorweg zu sagen: Den beiden Herausgebern ist mit dem Buch eine beeindruckende Bestandsaufnahme des katholischen Bußsakraments gelungen. Das Buch enthält nicht nur nachdenkenswerte Analysen zu dessen gegenwärtiger Situation, sondern rekonstruiert auch seine jahrhundertelange Entwicklung und formuliert Überlegungen im Hinblick auf dessen mögliche Zukunft. Ein wesentlicher Grund für die Qualität der Festschrift liegt darin, dass nicht nur eine Vielzahl akademischer Theologen, sondern darüber hinaus auch viele Laien zu Wort kommen. Wichtig erscheint mir außerdem – gerade aus evangelischer Perspektive –, dass kirchenrechtliche Fragestellungen, trotz des Anlasses der Veröffentlichung, nicht im Zentrum stehen. Das Buch ist in drei Hauptteile gegliedert: In einem ersten Hauptteil wird das katholische Bußsakrament im Spiegel kirchenrechtlicher Normen reflektiert. Im zweiten Hauptteil geht es um die Stellung, Funktion und Bedeutung der Beichte in den unterschiedlichen Feldern der kirchlichen Praxis. Der dritte Hauptteil schließlich stellt das Bußsakrament im Spiegel theologischer Reflexion dar.
Im ersten und kürzesten Hauptteil wird anhand der behandelten kirchenrechtlichen Bestimmungen erkennbar, dass das Beichtgeheimnis ein hohes Gut der Humanität ist, das die Würde des Beichtenden unter allen Umständen schützen will.
Dabei gehen die Autorin Sabine Demel und der Autor Georg Bier in ihren Beiträgen davon aus, dass die auch in den kirchenrechtlichen Bestimmungen zur Beichte sichtbar werdenden Rechtsstrukturen der Kirche die Aufgabe haben, die Gemeinschaft mit Gott und untereinander herbeizuführen und zu bewahren, mithin die Lebendigkeit der Kirche zu gewährleisten. Kirchenrechtliche Normen werden als geronnene Theologie und Ausfluss pastoraler Praxis definiert. Eine Definition, die mir als evangelischer Theologe mindestens fremd ist: Eher einleuchten würde mir, von einer lebendigen Interdependenz zwischen Theologie bzw. kirchlicher Praxis und kirchenrechtlichen Normen zu sprechen.
Der zweite und gleichzeitig längste Hauptteil nimmt die vielfältigen Erfahrungswelten der Beichtpraxis in Gegenwart und Vergangenheit in den Blick. Angesichts der Fülle der Perspektiven können die unterschiedlichen gemeindlichen Praxisfelder leider im Folgenden nur stichwortartig aufgeführt werden, um wenigstens einen Eindruck des inhaltlichen Reichtums der Ausführungen zu vermitteln. Es ist auch nicht möglich, die vielen Autoren und die (immerhin) drei Autorinnen einzeln zu nennen.
Beschrieben wird die Rolle des Bußsakraments in der Gemeinde, bei der Erstkommunionvorbereitung, im Gefängnis, in Krankenhaus und Hospiz, in der Psychiatrie, in Schule und Hochschule, in der geistlichen Begleitung und bei Exerzitien, bei der Pilgerreise, an Wallfahrtsorten, auf einer Kreuzfahrt, beim Volksfest, auf dem Flughafen, in der Telefon- und Internetseelsorge, im Rahmen der Ehe-, Familien- und Lebensberatung und schließlich in der Schwan-gerenberatung. Bei den Einblicken in die Praxisfelder der Beichte fällt eines un­mittelbar ins Auge: Immer dann, wenn das Beichtsakrament als isolierte Routineveranstaltung im Sinne der Tradition praktiziert wird, lässt sich der rasante Ab­bruch der Inanspruchnahme konstatieren. Überall dort jedoch, wo die Beichte ausgerichtet ist auf den einzelnen Gläubigen und eingebettet in ein Seelsorgegespräch oder ein längeres Weggeschehen, scheint sich ihr eine (neue) Zukunft zu eröffnen.
Im gleichen Hauptteil kommen 23 Statements zu persönlichen Beichterfahrungen von Gläubigen im Alter zwischen acht und 80 Jahren zum Abdruck. Sie erlauben einen instruktiven Einblick in die Chancen und Probleme, die ihre »Nutzer« mit dem Beichtsakrament heute verbinden. Dabei werden die Probleme der Beichte nicht verschwiegen, aber auch gelungene Beichten beschrieben. Den Abschluss des zweiten Hauptteils bilden acht Essays, in denen zum Teil prominente Katholiken von ihren positiven und negativen Beichterfahrungen (durchaus kritisch) berichten. Der ehemalige bayerische Staatsminister Hans Maier etwa beschreibt die Beichte als Akt der Entlastung.
Der dritte, inhaltlich dichteste Hauptteil reflektiert die Beichte aus unterschiedlichen theologischen Perspektiven. Auch hier kann ich zunächst nur die einzelnen Zugänge kurz nennen und zum Schluss noch vier Beiträge exemplarisch herausgreifen. Neben neutestamentlichen stehen fundamentaltheologische, liturgische, kirchenhistorische, moraltheologische, pastoraltheologische, religionspädagogische und psychologische bzw. therapeutische Annäherungen.
Wohltuend an allen Beiträgen ist, dass sie schonungslos von der Krise der Beichte ausgehen. Auch verzichten die meisten Autoren darauf, deren Ursachen in mangelnder Spiritualität bzw. Unfähigkeit der Beichtväter zu suchen (so kirchenamtlich in den vergangenen Jahrzehnten – auch von Seiten der Päpste immer wieder geschehen), sondern gehen davon aus, dass für die Krise strukturelle, d. h. soziologische bzw. in der Geschichte weit zurückliegende theologische Gründe verantwortlich sind. Darum ist ihr auch nicht durch die einfache Selbstoptimierung des traditionellen Beichtinstituts beizukommen. Am weiterführendsten erscheinen mir auf diesem Hintergrund die praktisch-theo-logischen Beiträge von Peter Scheuchenpflug »Neue Räume für ein altes Sa­krament? Pastoraltheologische Perspektiven zur Beheimatung der Beichte in der heutigen Gesellschaft« und von Markus Arnold »Buße vor Beichte. Religionspädagogische Problemanzeige und Lösungsvorschläge auf moraltheologischer Basis«. Beide Artikel gehen davon aus, dass die heutige Gestalt des katholischen Bußsakraments eine sich wandelnde Biographie besitzt.
In der kritischen Reflexion dieser Ge­schichte spüren sie problematische Weichenstellungen auf und schlagen im Rückgang auf die Anfänge des Bußinstituts in der Alten Kirche und bei den Wüstenvätern Lösungen vor, die das Beichtsakrament wieder in seinem ursprünglichen Sinn ekklesiologisch verorten helfen. Dazu ist in ihren Augen die Ausweitung der Beichte auf unterschiedliche Formen und ihre Einbettung in ein Weggeschehen unerlässlich. In diesem Hauptteil finden sich auch zwei kürzere Beiträge von prominenten katholischen Autoren: von Klaus Mertes und Anselm Grün. Sie schöpfen aus ihren jeweiligen Spezialgebieten: der eine aus dem Problembereich der Missbrauchsfälle in der katholischen Seelsorge, der andere aus der Seelsorge der Wüstenväter. Beide Artikel sind gut geschrieben und enthalten eine Fülle von reflektierten Anregungen für die Praxis.
Die Aktualität des Buches – nicht nur für die innerkatholische Diskussion – liegt auf der Hand. Die katholische Beichte hat wie kein anderes Sakrament in den vergangenen 50 Jahren eine beispiellose Geschichte des Niedergangs erlebt. Auch im evangelisch-volkskirchlichen Bereich sind die unterschiedlichen Formen der Beichte (im Gottesdienst, wohl genauso in der Privatfrömmigkeit) mehr und mehr in den Hintergrund getreten. Die mit der Beichte un­trennbar verbundene Perspektive der menschlichen Schuld coram deo ist – auch für viele Kirchenmitglieder – in den Hintergrund getreten.
Viele Evangelische verstehen die Einzelbeichte heute als konfessionsunterscheidendes Merkmal: Beichte ist für sie katholisch. Sie wissen nichts davon, dass Martin Luther die Beichte keineswegs abschaffen, sondern sie lediglich reformieren wollte. Erst recht ist ihnen unbekannt, dass der Reformator die Einzelbeichte zeit seines Lebens regelmäßig praktizierte und sich im Großen Katechismus maßlos darüber erregte, dass die evangelisch Gewordenen die Freiheit zur Beichte als Freiheit von der Beichte missverstanden. Angesichts dessen, dass für beide Konfessionen die Frage der Buße bzw. des Umgangs mit Schuld und Vergebung im Zentrum des Glaubens stehen und dass es konkrete spirituelle Möglichkeiten geben muss, um Gottes Vergebung zu erfahren, wenn das Evangelium nicht eine bloße Idee bleiben soll, kann der Verlust der Beichte gar nicht dramatisch genug empfunden werden.
Die Stärke des Buches scheint mir in der Situationsanalyse zu liegen. Die meisten Autoren und Autorinnen wagen es, die Situation des Beichtsakraments ungeschminkt beim Namen zu nennen, und verzichten nicht auf Kritik am Umgang mit dem Zusammenbruch der Beichtpraxis in kirchenamtlichen Verlautbarungen und der dort vorgenommenen Diagnose und empfohlenen Therapie. Das verdient angesichts der Macht des Lehramts in der katholischen Kirche hervorgehoben zu werden. Bewundernswerterweise flüchtet angesichts der alarmierenden Situationsanalyse niemand in Pessimismus. Stattdessen wird immer wieder hervorgehoben, dass die Beichte dort, wo sie noch praktiziert wird, an inhaltlich-theologischer und spiritueller Qualität gewonnen hat. In dem Mo­ment, wo das Gesetz des Quantums seine Macht über die Beichte verliert, wird der Weg frei, das Sakrament in seiner ursprünglichen seelsorgerlichen Bedeutung als Inspiration für ein mündiges Christsein wiederzuentdecken.