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Ausgabe:

Januar/2019

Spalte:

131–132

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Haendler, Otto

Titel/Untertitel:

Schriften und Vorträge zur Praktischen Theologie. Eingel., komm. u. hrsg. v. W. Engemann. Bd. 2: Homiletik. Monographien, Aufsätze und Predigtmeditationen.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2017. 726 S. = Otto Haendler Praktische Theologie, 2. Geb. EUR 98,00. ISBN 978-3-374-03139-9.

Rezensent:

Michael Meyer-Blanck

Das praktisch-theologische Werk Otto Haendlers (1890–1981), der ab 1930 in Greifswald und von 1950–1967 an der Humboldt-Universität Berlin Praktische Theologie lehrte, wird von Wilfried Engemann (Wien) durch eine auf fünf Bände geplante Edition neu zugänglich gemacht. Nach dem Erscheinen des ersten Bandes zur Allgemeinen Praktischen Theologie (vgl. meine Anzeige in ThLZ 141 [2016], 1293–1295) ist es Engemann und seinem Team gelungen, bereits im Folgejahr den 2. Band der Edition zu publizieren. Im Zentrum steht dieses Mal H.s wirkungsmächtiges Lehrbuch »Die Predigt. Tiefenpsychologische Grundlagen und Grundfragen« von 1941 ( 21948; 31960), das damit erneut zum Abdruck kommt (269–632). Das Buch hatte in der Kriegszeit wie auf dem Höhepunkt der Epoche der Wort-Gottes-Theologie nach 1945 etwas zutiefst Unzeitgemäßes, entfaltete dann aber im Zuge der »empirischen Wende« und der Tendenz zur »persönlichen Predigt« ab 1970 eine umso größere spätere Wirkung.
Dem Lehrbuch vorangestellt ist H.s bisher noch nicht publizierte Greifswalder Habilitationsschrift »Die Idee der Kirche in der Predigt« von 1930 (43–204). Dieses Werk führt erneut die Stellung der Berneuchener (zu denen H. gehörte) zwischen Liberalismus und Wort-Gottes-Theologie vor Augen. H. schlug sich auf keine der beiden Seiten, sondern blieb mit seiner Anknüpfung an Friedrich Niebergalls Rede von der Predigt für den »modernen Menschen« (102–111) einerseits und mit seiner differenzierten Rezeption Karl Barths andererseits außerhalb der konzeptionellen Schulbildungen. Was Karl Barth über Gotteswort und Menschenwort formuliert habe, gehört nach H.s Habilitationsschrift »zu dem Stärksten, Tiefsten und darum Besten, was in letzter Zeit darüber gesagt worden ist« (55). Im Gegenzug kritisiert H. – typisch für die Berneuche ner – die theologische Fokussierung auf die Christologie zu Un­gunsten des Ersten Glaubensartikels: Die einseitige Betonung des christologischen Moments habe »in der Gesamthaltung der Durchschnittspredigt […] vielfach Schäden angerichtet« (123).
Gleichwohl wird deutlich, dass man H. auch nicht zum Vertreter der spätmodernen Subjektorientierung in der Homiletik erklären kann. Gerade dieses Prinzip war es, das im Berneuchener Buch und in den entsprechenden Texten und Liturgien unisono als Unglück ausgemacht worden war. Wo »Ich« ist, sollen Form und Gemeinschaft werden, so könnte man diese Grundmaxime plakativ umschreiben. Entsprechend wählte H. das Thema seiner Habilitationsschrift und gab deren Ziel in zeittypischer expressionistischer Diktion zu verstehen: Seine Arbeit wolle »zeigen, dass in der heutigen Lage eine der wesentlichen Aufgaben der Predigt darin besteht, den Subjektivismus zu überwinden und ein lebendiges Bewusstsein der Glieder unserer Kirche davon zu schaffen, dass sie Kirche als Kampffront und als Lebensform sind« (52, dort kursiv). Es gehe in der Kirche um »den Kampf gegen die feindlichen Fronten« und die Kraft der Verkündigung müsse »darauf gerichtet sein, die Glieder der Kirche zu einer solchen Front zusammenzuschweißen« (74). Die Predigt steht im Dienste der weltanschaulichen Auseinandersetzungen. Spricht man hier von »Mission«, ist das noch eher zu harmlos formuliert – es geht vielmehr um die Aufgabe der Apologetik im Kampfmodus. In diesen Zusammenhang gehört die da­malige politische Entwicklung: Im Jahr der Abgabe von H.s Habilitationsschrift wurde die NSDAP zur zweitstärksten Partei (Reichstagswahl am 14.9.1930).
Fast scheint es, als habe H. die kommende Zeit des unfreien Geis-tes vorausgeahnt: Für die weltanschaulichen Auseinandersetzungen wird die Kirche und für deren Schlagkraft wird die Predigt ge­braucht. Das »Wesen des Evangeliums« ist für H. nicht die »Botschaft an sich, sondern Botschaft, die Kirche schaffen soll.« (70, dort kursiv) Die protestantische Konzentration auf die Rechtfertigung und auf die Verantwortung der Persönlichkeit bergen laut H. gleichermaßen die Gefahr in sich, »dass die subjektivistischen Interessen stark hervortreten und die Idee der Kirche vernachlässigt wird« (153). Damit setzt die Habilitation einen deutlich anderen Akzent als das elf Jahre später veröffentlichte tiefenpsychologische Lehrbuch und es ist in jeder Weise zu begrüßen, dass das homiletische Werk H.s damit in neuem Licht erscheint. Man erinnere sich an Kurt Nowaks Analyse, dass seit 1929/30 eine »akute Politisierung des Pfarrerstandes« einsetzte, wie man sie vorher nicht gekannt hatte (Evangelische Kirche und Weimarer Republik, Göttingen 21988, 210).
Mit den Vorträgen am Schluss des Bandes (640–674) werden einige Facetten des homiletischen Denkens von H. hinzugefügt, die das Bild komplettieren. Da es sich jedoch vor allem eher um Werkstü-cke bzw. Vortragsvorlagen handelt (u. a. zur Erntedankfestverkündigung und zur Predigtmeditation) als um konzeptionell durchgearbeitete Texte, ist der Ertrag eher begrenzt.
Alle Texte H.s sind vom Herausgeber wiederum mit detaillierten Einleitungen versehen worden, so dass sich auch der mit der Geschichte der Homiletik nicht so Vertraute gut zurechtfinden kann. In den Anmerkungsapparat sind zahlreiche Anmerkungen des Herausgebers eingestreut, die hintergründige Umstände und Diskussionslinien bewusst machen können. Vielleicht hätte man diese editorischen Anmerkungen noch deutlicher kennzeichnen und von dem Anmerkungsapparat des Originals unterscheiden können, um die parallele Benutzbarkeit beider Ausgaben des Lehrbuchs zu erhöhen.
Auch der zweite Band ist mit ausführlichen und sorgfältigen Anhängen und Registern (677–726) sehr sorgfältig gestaltet. Darüber hinaus finden sich in den Anmerkungen verteilt viele wichtige, zum Teil auch breiter angelegte Biogramme. Für eine mögliche 2. Auflage möchte ich anregen, diese äußerst hilfreichen Angaben in einem gesonderten und alphabetisch geordneten Anhang zu­sammenzuführen. Das würde das Auffinden dieser für das Verständnis zentralen Informationen erheblich erleichtern.
Dem Herausgeber und dem Team ist wiederum Dank und Bewunderung auszusprechen für die umfangreiche Arbeit, die in diesem gewichtigen Band deutlich zu erkennen ist.