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Ausgabe:

Januar/2019

Spalte:

128–130

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Eimterbäumer, Alexandra

Titel/Untertitel:

Kirchenleitung durch das Wort. Eine empirisch-homiletische Untersuchung ephoraler Predigten zur Visitation.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2018. 367 S. = Arbeiten zur Praktischen Theologie, 72. Geb. EUR 58,00. ISBN 978-3-374-05412-1.

Rezensent:

Eberhard Winkler

Alexandra Eimterbäumer ist Pastorin in Celle und Referentin am Lektoren- und Prädikantendienst der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers. Sie wurde mit dieser von Jan Hermelink betreuten Arbeit in Göttingen promoviert. Fünf Superintendenten und zwei Superintendentinnen der Hannoverschen Landeskirche stellten dafür je vier bis fünf Visitationspredigten bzw. -ansprachen zur Verfügung, so dass der Analyse 31 Texte zugrunde lagen. Davon sind sechs im Anhang abgedruckt. Nicht veröffentlicht wurden Predigten eines Hamburger Propstes, die dazu dienten, Beispiele aus dem großstädtischen Kontext mit denen aus der eher ländlich ge­prägten Situation zu vergleichen. Dabei ergaben sich erstaun-licherweise keine signifikanten Unterschiede. Eine Bitte um Visitationspredigten aus der sächsischen Landeskirche wurde von dort mit der Begründung abgelehnt, die Ephoren wollten zum Ab­schluss der Visitation »ganz normale Sonntagspredigten« halten (38, Anm. 99). Wenn Visitatoren predigen, ist es normal, dass sie von diesem Kasus ausgehen. Meist ergänzen sie die im selben Gottesdienst vom Ortspastor gehaltene Predigt, so dass es sich um keine »ganz normale Sonntagspredigt« handelt und auch in sehr unterschied-licher Weise auf biblische Texte Bezug genommen wird. Manche »Predigten« werden ausdrücklich als »Ansprache« oder »Grußwort« bezeichnet, und eine schließt mit dem homiletisch atypischen Satz: »Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.« E. untersucht akribisch mit gründlicher Rezeption der sozial- und sprachwissenschaftlichen Referenzwissenschaften, wie die verschiedenen Situationsbezüge sprachlichen Ausdruck finden. Dabei ist im Blick, dass die Predigten lediglich einen Teil der Visitation bilden und im Rahmen des Gesamtgeschehens wirken, das sich nur begrenzt der Analyse eines Manuskriptes erschließt. Umso wichtiger ist, dass E. großen Wert auf die emotionalen Aspekte legt. Dabei ist allerdings ebenfalls zu bedenken, dass die verschiedenen Emotionen der am Kommunikationsprozess beteiligten Personen nur bedingt durch die Analyse eines schriftlichen Textes interpretiert werden können.
Der Aufbau der Untersuchung orientiert sich am Begriff der Inszenierung, worunter E. eine »sich im Vollzug reflektierende Selbstreflexion« versteht, die die kirchenleitende Funktion der Predigt ausmache (327). Nach einer Einführung erläutert Teil II die »Inszenierung der Visitation« als Kontrollgeschehen einerseits, Trost und Ermutigung andererseits. Es wird deutlich, dass das meist negativ konnotierte Kontrollmodell unverzichtbar ist und praktisch in verschiedenen Kombinationen zur Wirkung kommt, etwa als Beratung und öffentliche Würdigung. E. ordnet die einzelnen Predigten bestimmten mentalen Modellen zu, wobei sie dominant gesetzte und weitere aktivierte Modelle unterscheidet (335 f.), z. B. »Kontrolle in einem Dienstleistungsunternehmen« als dominant gesetztes und »Parteitagsrede« als weiter aktiviertes Modell. Das Beispiel zeigt die Neigung, Kriterien aus dem außertheologischen Bereich auf die Predigtanalyse und die kirchentheoretischen sowie homiletischen Konsequenzen anzuwenden. Es ist zu fragen, ob die beteiligten Personen das Kontrollmodell primär unter betriebswirtschaftlichem Aspekt verstehen. So wichtig dieser nicht nur angesichts abnehmender Finanzen ist, so naheliegend wäre es, Kontrolle als Rechenschaft über die anvertrauten Gaben im Sinne der Haushalterschaft und damit von der biblischen Basis aus zu verstehen.
Teil III stellt die »Inszenierung der Außengrenze von Kirche« dar. Hier sind nicht nur negative Abgrenzungen gemeint, sondern auch positive Bewegungen wie Sich-Öffnen, Einladen, Sich-auf-den-Weg-Machen. Die Grenzen oszillieren, aber es dominiert die Innensicht. Als kybernetische Programme, in denen der Außenbezug besonders prägnant hervortritt, nennt E. den missionarischen Wachstumsdiskurs bei M. Herbst und seinen Mitarbeitern sowie das Herberge-Modell von Jan Hendriks. Die Rede von Grenzkonstruktionen oder -inszenierungen ist leicht so misszuverstehen, als gehe es darum, durch Grenzziehungen Menschen auszugrenzen. Primär zielen die missionarischen Konzepte jedoch darauf, Menschen für den Glauben zu gewinnen und darin zu stärken. Sekundär verändern sich dadurch Grenzen, die aber nicht präzis definierbar sind, weil die Kirche ein corpus permixtum ist. E. kritisiert bei Herbst, die Orientierung an der Schrift bedeute für ihn, »dass ein distanziertes Christentum fehlerhaft und zu bearbeiten sei« (168). Soll das heißen, ein distanziertes Christentum sei fehlerlos oder eine Orientierung an der Schrift sei falsch? Die gegenwärtig dominante evangelische Kirchentheorie leidet nicht an zu viel, sondern an zu wenig biblischer Orientierung.
Teil IV gilt der »Inszenierung der Vergemeinschaftung nach Innen«. Diese erfolgt, indem eine fröhlich-zuversichtliche Wir-Gemeinschaft inszeniert wird. Gemeinsam geteilte Werte, Normen und Emotionen schaffen Gemeinschaft. Sorgfältig zeigt E., wie bedeutsam der Gebrauch der Personalpronomina durch die Prediger ist. Terminale Werte, die in den Predigten dargestellt werden, sind Gottvertrauen, Glaube und (Gottes-)Liebe, die das gemeinsame Handeln motivieren. Es werden primär positive Emotionen ausgedrückt und gefordert. Konflikte werden typischerweise durch Inszenierungen der formellen Organisation bearbeitet, z. B. bei notwendigen Stellenkürzungen. Als rationale Organisation bedient Kirchenleitung sich gruppenhafter Kommunikationsformen (272). Diese Beobachtung ist bemerkenswert, da die Predigt ja von einer einzelnen Person gehalten wird. Sie wirkt aber kybernetisch nur in einem gruppendynamischen Zu­sammenhang, der homiletisch Beachtung verlangt. Die Kirche wird in ihrer erfahrbaren Gestalt als ethische Größe verstanden, wobei immer die Grunddifferenz zwischen opus Dei und opera hominum zu beachten wäre. E. findet aber, dass in den Predigten »weniger eine Darstellung des Evangeliums als eine Darstellung des kirchlichen Ethos erfolgt« (268). Ein gemeinsames Verständnis des Wortes Gottes werde als selbstverständliche Basis vorausgesetzt. Damit weist E. auf ein für die Kybernetik wie für die Homiletik fundamentales Problem hin.
Teil V reflektiert die »Inszenierung des Verhältnisses von Superintendent und Gemeinde«. Mit Hilfe von Sprechakttheorie und soziolinguistischen Höflichkeitstheorien untersucht E., wie die Superintendenten ihr Verhältnis zur Gemeinde durch Dank-Äußerungen inszenieren. Höflichkeitsstrategien dienen dazu, das als problematisch empfundene asymmetrische Verhältnis zwischen Leitung und Egalität auszubalancieren. Theologisch geht es um die Spannung zwischen geordnetem Amt und Allgemeinem Priestertum. Mit Recht äußert E. den Wunsch nach empirischen Forschungen, die Licht auf die Erfahrungen der Geleiteten werfen. Ebenso ist ihr darin zuzustimmen, dass die Predigtrezeption ein wichtiges Forschungsdesiderat darstellt. In der abschließenden Bündelung plädiert E. für eine normative Ausrichtung auf posi-tive, biblisch begründete Emotionen und angesichts negativer Erfahrungen für eine entsprechende Emotions-Transformation. Dass damit keine Abwertung rationaler Argumente gemeint ist, bedarf nach der Lektüre dieser stark von der Bezugnahme auf so-zial- und sprachwissenschaftliche Forschungen geprägten Arbeit keiner Betonung. Die Verschränkung homiletischer und kybernetischer Aspekte bereichert beide Disziplinen der Praktischen Theologie. Für künftige entsprechende Arbeiten ist zu hoffen, dass die Biblische Theologie als grundlegende Bezugswissenschaft stärker zur Geltung kommt. Die notwendigen Reformen im deutschen Protestantismus konnten nicht Gegenstand der vorliegenden Untersuchung sein, aber die Kirchentheorie wird irrelevant, wenn sie dazu keine in der norma normans begründete Orientierung gibt.