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Ausgabe:

Januar/2019

Spalte:

122–124

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Saure, Phillipp

Titel/Untertitel:

Christliches Naturrecht in der pluralis-tischen Moderne. Jacques Maritains Kritik der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte.

Verlag:

Paderborn u. a.: Ferdinand Schöningh 2017. 327 S. = Gesellschaft – Ethik – Religion, 11. Kart. EUR 59,00. ISBN 978-3-506-78765-1.

Rezensent:

Wolfgang Vögele

Neben dem angegebenen Titel in dieser Rezension besprochen:

Neumann, Josef N.: Behinderte Menschen in Antike und Christentum. Zur Geschichte und Ethik der Inklusion. Stuttgart: Anton Hiersemann Verlag 2017. XI, 258 S. m. 16 Abb. = Standorte in Antike und Christentum, 8. Kart. EUR 49,00. ISBN 978-3-7772-1713-0.


In seinem Buch Behinderte Menschen in Antike und Christentum leistet der emeritierte Medizinhistoriker der Martin-Luther Universität Halle-Wittenberg, Josef N. Neumann, einen Beitrag zur aktuellen Inklusionsdebatte, und er tut dies, indem er »Behinderung in historischer Perspektive« erörtert und damit »einen Bezug zwischen Gegenwart und Geschichte« herstellt (20), um die ge­genwärtigen Probleme einer Lebensethik von behinderten und nichtbehinderten Menschen als Resultat einer geschichtlichen Entwicklung zu fassen (20–24). N. ist durch zahlreiche Arbeiten zu Krankheit und Missbildungen im (Ur-)Christentum und der neueren Medizingeschichte bekannt und erweist sich zudem als engagierter Streiter für Inklusion und Behindertenrechte (X–XI).
Beide Interessen, historische wie auch lebensethische, versucht N. in dem Buch methodisch reflektiert miteinander zu verknüpfen, indem er regelmäßig auf die paradoxe Form der »einschließenden Ausschließung« (22–23 u. ö.) des italienischen Philosophen Giorgio Agamben verweist, der damit die paradoxe Rechtsfigur des Homo sacer, eines Menschen, der aus der politisch-rechtlichen Gemeinschaft ausgegrenzt und allein auf seine physische Existenz zurückgeworfen war, beschreibt (merkwürdigerweise fehlt Agamben im Personenregister). Es ist dieser Begriff der »einschließenden Ausschließung«, der die Gratwanderung zwischen dem ζωή, des Lebendig-Seins als einfacher Tatsache des Lebens, und dem βιός, der politisch-kulturellen Existenz oder auch rechtlichen Seins eines Menschen stellt und den Blick auf diejenigen Menschen der Gesellschaft lenkt, die »einschließend« ausgeschlossen sind und auf das nackte Leben reduziert werden. Vertieft wird diese Theorie an­hand des von René Girard bekannten »Sündenbockmechanismus«, gemäß dessen die Gewalt aller in einer Perpetuierung anderer, fremd erscheinender Menschen und deren »Transformationen« in Geschichte und Gegenwart mündet.
Der Hauptteil des Werkes (25–177) nimmt die Darstellung der historischen Perspektive ein; in einem zeitlich weiten Bogen, der vom frühantiken Mesopotamien bis zur Vormoderne reicht, ist ein inhaltlich anspruchsvolles Programm eingewoben, das von men-taler Behinderung und körperlicher (congenitaler) Missbildung in textlichen Überlieferungen wie auch visuellen Darstellungen reicht. Kapitel I ist dem altorientalischen Reich, dem frühantiken Ägypten und Israel gewidmet. Unter der Überschrift »Missbildungen und Behinderung in der Bibel (sic!)« behandelt N. hauptsächlich physiologische Phänomene, die in der LXX mit τέρας übersetzt sind, einem Begriff, dessen theologische Implikationen sich von dem Gebrauch in der Profangräzität unterscheiden und der u. a. ›Entsetzen auslösendes Aussehen‹ bezeichnen kann; im Neuen Testament kommt er gleichsam nur im Plural und in Verbindung mit σημεῖον (»Wunder«, »Zeichen«) vor. »Behinderte« werden in der hebräischen Bibel als sozial abhängig und nur eingeschränkt kultfähig beschrieben. N. verweist besonders auf eine »Untauglichkeit« zum kultischen Dienst (38); diese Einschätzung ist nur insofern richtig, als Menschen mit körperlichen Einschränkungen nicht zum Tempeldienst zugelassen waren. Aber anders als von N. dargelegt, haben diese weder alle priesterlichen Privilegien verloren (Essen vom Heiligen ist möglich, Lev 21,27) noch werden sie als unrein betrachtet (Lev 22,6 f.). In Lev 21,18 wird die eingeschränkte Kultfähigkeit mit dem Begriff »Fehler« םומ begründet. Als weiteren Schwerpunkt nennt N. die Weisheitsliteratur; an dieser Stelle wäre eine Ausweitung der Begrifflichkeit von Krankheit wünschenswert gewesen.
Kapitel II hat die griechisch-römische Mythologie zum Thema und kapriziert sich neben dem körperlich versehrten Gott Hephais-tos auf den »hässlichen« Thersites. Zudem analysiert er hier das Sündenbockritual, das zu Ehren von Apollon gefeiert wurde, indem man zwei Männer, die φαρμακόι, aus der Stadt trieb, um Übel von der Stadt abzuwenden. Doch dass diese Männer zweifellos den Umgang mit »Behinderten« beleuchten, wird in den neueren Forschungsarbeiten bezweifelt.
In Kapitel III steht die antike Naturphilosophie und Medizin griechisch-römischer Provenienz im Zentrum. Wollte man Missbildungen des Körpers benennen, verwendete man am häufigsten τέρας (Missbildung) und die Verben πηρόω (verstümmeln) und κωλύω (hindern). N. widmet sich gleichsam im Rahmen der Vererbungstheorien der Vorsokratiker oder des Aristoteles im Sinne von Missbildungen. Einem der wichtigsten antiken Mediziner, Galen von Pergamon, wird nur kurze Aufmerksamkeit zuteil.
Die Kapitel IV und VII sind der visuellen Darstellung von Behinderung gewidmet: Kapitel IV ist mit »Infragestellungen in Kunst und Literatur der Spätantike« überschrieben, was verwirrend ist, weil das präsentierte Material eher der hellenistischen Epoche und der Kaiserzeit zuzurechnen ist. Es wäre an dieser Stelle interessant gewesen, einen Einblick in die Medizin des Westens zu gewähren, denn die lateinischen Mediziner verfolgen unterschiedliche Übersetzungsstrategien der griechischen Begriffe, die dann grundlegend für Augustinus sind (siehe Kapitel V). In Kapitel VII, das mit »Behinderte Jesuskinder und kleinwüchsige Menschen« überschrieben ist, werden Andachtsbilder und Statuetten interpretiert, in denen N. »körperliches Anderssein« sieht.
Das Kapitel V ist dem Christentum (Neues Testament [107–117] und Alte Kirche [117–132]) gewidmet. Als einzige Ursache für Krankheit und Behinderung kann N. »Dämonen« und »Geister« entdecken, die er auf den Begriff »pneuma« zurückführt und mit »Geist« und »Seele« (sic!) übersetzt, die auf eine »Vorstellung« verweise, »dass im Tod die Seele den Menschen verlässt und als körperloses Geistwesen weiterexistiert« (108). An dieser Stelle übersieht N. krankheitsindizierende Hinweise, wie etwa »Mondsucht« (Aret. SD I,4,2; Mt 17,15) oder »Fieber«, »Zähneknirschen« (Cael.Aur. acut. I,65; Mk 9,18), die durchaus im Einklang mit antiker Medizin stehen. Gleichsam finden sich im Neuen Testament wie in medizinischen Traktaten auch Ausdrücke, die Heilung signalisieren (z. B. ἀφῆκεν αὐτὴν ὁ πυρετός, Lk 4,40 f.). Die medizinsoziologische Perspektive vermag diesen Aspekt noch zu vertiefen: Auch von antiken Medizinern sind uns zahlreiche religiöse Deutungen von Krankheiten erhalten. Eine weitere Engführung zeigt sich anhand der Anwendung des Sündenbockmechanismus in Joh 9; die grundlegenden schöpfungstheologischen Referenzen wurden unbeachtet gelassen. Vernachlässigt werden gleichsam weitere Aspekte wie etwa die Heilungen am Sabbat (bspw. Mk 3,1–6parr.), die als Wiederherstellung der Schöpfung zu lesen sind, wie auch die Frage nach dem Glauben der Geheilten (Mk 5,34; 10,52 etc.). Zudem wäre eine Auseinandersetzung mit der Krankheit des Paulus naheliegend gewesen, der ja ausdrücklich nicht geheilt wird.
Das Kapitel VIII beschließt den Hauptteil des Buches, indem sich N. nun der Neuzeit zuwendet. An dieser Stelle wäre wohl eine vertiefende Darstellung der Biologie Darwins wünschenswert ge­wesen, die besonders in der Nazizeit in Verbindung mit antiker Biologie zu trauriger Reputation verhilft, wie neuere Arbeiten deutlich machen.
Das Buch bietet einen Überblick über die unterschiedlichen Zugänge zum Thema Behinderung und kann als Ausgangspunkt für Interessen historischer und lebensethischer Provenienz dienen. Hilfreich ist zudem das Glossar mit griechischen und lateinischen Begriffen. Der methodische Zugang der »einschließenden Ausschließung« ist innovativ und weiterführend. Ich möchte drei Aspekte zu bedenken geben: 1.) Die grundlegende These N.s ist die der wechselseitig sich bedingenden historischen Deutung und der ethischen, normativen Reflexionen. Aber genau dieser Wechsel­­seitigkeit von Geschichte und Lebensethik wird das Werk nicht gerecht, denn es bleibt letztlich unklar, wie heutige Lebensethik historisch bedingt ist. 2.) In seiner historischen Darstellung kapriziert sich N. auf den Begriff der »Behinderung«/»Missbildung«. Dieser Begriff ist indes für die hebräische, griechische und lateinische Antike verwirrend, denn es existiert meines Wissens kein Lexem, das eine körperliche oder mentale »Behinderung« in einen Begriff kleidet. In den Disability-Studies unterscheidet man zudem zwischen Krankheit und Behinderung, Gesundung und dem An­spruch normgemäßer Körperlichkeit; indes ist es fraglich, ob diese Differenzierung auch für die historischen Texte zutreffend ist: Gerade die antike Medizin kennt eher den Zustand des Krank-seins als den der Behinderung oder Krankheit. Die Bezeichnungen νόσος, νόσημα, νοσέω treten beispielsweise in den Schriften Galens auffallend zurück. Benannt wird vielmehr das betroffene Körperglied. Der von N. vorgeschlagene Begriff τέρας ist für das aristotelische Verständnis von vorgeburtlicher Missbildung grundlegend, tritt aber in anderen Schriften der griechisch-römischen Literatur auffallend zurück und ist zudem in den verschiedenen Schriften unterschiedlich konnotiert. Eine kurze Begriffsanalyse wäre demnach hilfreich gewesen. (3) Es ist durchaus verständlich, dass sich N. bei der Breite des vorgestellten Materials auf eine bibliographische Auswahl beziehen muss; indes wirken die aufgeführten Werke disparat, fast durchgehend auf die deutsche Forschung bezogen und bilden die derzeitige Diskussion in keiner Weise ab.

Halle (Saale)Annette Weissenrieder




Diese in Erlangen erarbeitete philosophische Dissertation von Phillipp Saure beschäftigt sich mit der Menschenrechtstheorie des katholischen Naturrechtlers Jacques Maritain (1882–1973) und seiner Rolle bei der Entstehung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte im Kontext der Vereinten Nationen und der UNESCO. Damit kommt S. das Verdienst zu, innerhalb der ohnehin komplexen Entstehungsgeschichte der Allgemeinen Erklärung die Rolle eines der wichtigsten Interpreten und engagierten Anwalts der Menschenrechte weiter aufzuhellen. Dabei sind die katholisch-theologischen und rechtsphilosophischen (Naturrecht) Hinter gründe der Philosophie Maritains von besonderem Interesse. S. stellt am Anfang die These auf, Maritain sei nicht als katholischer Anwalt und Gewährsmann der Allgemeinen Erklärung zu verstehen, sondern als einer ihrer Kritiker, der der Meinung war, die Allgemeine Erklärung müsse durch eine Art universalen Moralkodex abgelöst und überboten werden, da es der Allgemeinen Erklärung an einer distinkten philosophisch-theologischen Basis fehle (14 ff., besonders 16). Für Maritain stellte sich die Frage, ob eine distinkt christliche Weltanschauung zur Fundierung einer Menschenrechtserklärung nötig ist oder ob ein Nebeneinander unterschiedlicher Weltanschauungen dafür genügt. Genau diesem Themenstrang in Maritains umfangreichem Werk folgt S. und stellt darüber neue Thesen auf.
Am Anfang der Arbeit steht eine biographische Skizze (21 ff.): Sie legt den Fokus auf sein Engagement bei der UNESCO und die indirekte Mitwirkung Maritains bei der Entstehung der Allgemeinen Erklärung. Es folgt eine Vorstellung der Grundbegriffe der Philosophie Maritains, orientiert an den Perspektiven Person und Naturrecht (53–118). Maritain verfolgt die Idee einer christlich inspirierten Gesellschaft. Aus dem allgemein zugänglichen Naturrecht er­geben sich Menschenwürde und Menschenrechte.
In einem nächsten Teil skizziert S. die faktische Beteiligung Maritains an den Verhandlungen der Kommissionen, die schließlich zur Verabschiedung der Allgemeinen Erklärung führten. Und er kommt zu dem Ergebnis, dass der Philosoph den Text, den Entstehungskontext und die politische Debatte um die Allgemeine Erklärung weitgehend ignorierte (130 f.). Umso schwerer wiegt dann die Kritik an der bis heute verbreiteten Annahme, Maritain sei einer der christlichen Gewährsleute der Allgemeinen Erklärung gewesen.
S. entwickelt nun aus Maritains Texten eine Konstellation, die sich so skizzieren lässt: Auf der einen Seite gründen die Menschenrechte im christlichen, aber allen vernünftigen Menschen einsichtigen Naturrecht. Deswegen muss es einerseits eine spezifische christlich-naturrechtliche Begründung der Menschenrechte geben (und Maritain wollte genau daran arbeiten), andererseits muss er konzedieren, dass auf dem Feld der Begründung der Menschenrechte unterschiedliche Weltanschauungen, religiöse und philosophische Konzeptionen konkurrieren. Die eine Seite kommt in folgenden Spitzensätzen zum Ausdruck: »Maritains Theorie der Menschenrechte ist das Naturrecht. Maritains Weltanschauung […] ist das Christentum.« (138) Konsequent muss Maritain weltanschaulich-religiöse Differenzen für ein Übel ( malheur) halten. In anderen Worten: Maritain muss konzedieren, dass nicht nur die Menschenrechte in ihren Inhalten strittig sind, sondern auch ihre Begründung. Der Konsens über die universalen Menschenrechte kann darum kein inhaltlich-theoretischer sein, sondern er bleibt auf die Ebene des Praktischen, Juristischen fixiert. Das nennt S. die »dünne praktische Übereinkunft« (204) von Maritains Konvergenztheorie, die für den Philosophen selbst verständlicherweise ergänzungsbedürftig war, denn eine volle, »dichte« und für den Philosophen vor allen Dingen wahre Begründung der Menschenrechte findet sich nur im Naturrecht. An dieser Skizze von Menschenrechten, Naturrecht und Personphilosophie bei Maritain misst S. nun unterschiedliche Maritain-Interpretationen, solche aus dem Bereich der Menschenrechtsphilosophie, aber auch solche aus dem Bereich der Maritain-Deutung. Danach war Maritain kein christlicher Bürge der Allgemeinen Erklärung, sondern er kritisierte sie und strebte nach einer »Moralische[n] Charta, die den Werte- und Normenkanon der pluralistischen und zugleich christlich inspirierten Gesellschaft bildet« (235). S. stellt die Frage, ob Maritains Konvergenztheorie avant la lettre dem entspricht, was John Rawls später overlapping consensus nennen sollte (239–274). Im Vergleich zwischen Maritain und Rawls kommt S. zu dem Ergebnis, dass der Konvergenztheorie der Allgemeinen Erklärung nicht nur die theoretische Begründung fehlt, das war von Anfang an klar; sie ist darüber hinaus auch praktisch nicht konsequent und vor allem nicht vollständig (274). Zur Überprüfung dieser These untersucht S. die Bemerkungen Maritains über Religionsfreiheit und Toleranz. Rawls und Maritain unterscheiden sich darin, dass der overlapping consensus sich als kleinster gemeinsamer Nenner einer Vielzahl von Weltanschauungen, Philosophien und Religionen darstellt, während Maritain als philosophisch-theologische Konvergenztheorie der Menschenrechte ein christlich bestimmtes Naturrecht entwickelt. Damit ist es S. gelungen, eine der entscheidenden Paradoxien herauszuarbeiten, die sich durch das gesamte menschenrechtsrelevante Werk Maritains ziehen.
In der Schlusspassage (310) sagt S., man müsse Maritains Menschenrechtsphilosophie lesen als die Abwehr des Versuchs, Menschenrechte als säkulare Religion zu lesen. Und ebenso dürfe man die Menschenrechte nicht als eine Kritik religiöser Glaubensüberzeugungen lesen. S. arbeitet sich an mannigfachen Interpreta-tionen und Fehldeutungen Maritains ab. Dabei werden auf faszi-nierende Weise Zeitgeschichte, die Geschichte der Allgemeinen Erklärung, Philosophie, theologische und kulturelle Hintergründe be­rücksichtigt. Ich habe mich gefragt, ob der weitere Vergleich Maritains mit zeitgenössischen Positionen katholischen Naturrechts nicht noch weiter geführt hätte. Für das deutsche Grundgesetz ist im Übrigen im Vorfeld eine ähnliche Diskussion geführt worden, an der sich katholische Politiker, Philosophen und Theologen beteiligten.
So wäre deutlich geworden, dass Maritains dichte Beschreibung eines universalen Naturrechts, die dissentierende, »irrende« oder abweichende Weltanschauungen wenigstens als Denkmöglichkeit in Betracht zog, gegenüber anderen zeitgenössischen katholischen Modellen sehr viel moderner und gegenwartsnäher war. Maritain setzte sich, auch das arbeitet S. genau heraus, mit dem Verhältnis von universaler Geltung der Menschenrechte und partikularer Be­gründung auseinander. Ob er das stets bewusst und auf der Höhe des Problems getan hat, bleibt nach den luziden Analysen S.s offen. Maritain, so lässt es sich nach den Analysen dieser Arbeit sagen, steht prototypisch für die nicht immer widerspruchsfreie Zuordnung von starker Begründung und schwachem Konsens in Bezug auf die Menschenrechte. Sie kennzeichnet bis heute katholische Positionen zu den Menschenrechten, wie sie in Enzykliken, Hirtenbriefen und ethischen Entwürfen entwickelt werden. Trotzdem soll auch vermerkt werden, dass dieser naturrechtlichen Position aus der innerkatholischen Perspektive autonomer Moral widersprochen worden ist. Und es wäre an das Gespräch zu erinnern, das der damalige Kardinal Ratzinger in München mit dem Philosophen Jürgen Habermas geführt hat, als Ersterer meinte, im Angesicht der Vielfalt der Religionen müsse der Diskurs über das Naturrecht noch einmal ganz neu begonnen werden. Der spätere Papst hat diese Äußerung nicht wiederholt. Aber aus der Perspektive einer öffentlichen Theologie der Menschenrechte würde es sich lohnen, dem nachzugehen. Und Maritain wäre nicht ein missverstandener christlicher Philosoph, sondern ein Prophet.