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Ausgabe:

Januar/2019

Spalte:

107–109

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph

Titel/Untertitel:

Philosophie der Kunst und weitere Schriften (1796–1805). Hrsg. v. Ch. Binkelmann u. D. Unger. Unter Mitwirkung v. A. Wieshuber. 2 Bde.

Verlag:

Stuttgart-Bad Cannstatt: frommann-holzboog 2017. XXIV, 805 S. m. 5 Abb. = Historisch-kritische Ausgabe. Reihe II: Nachlass, 6/1–2. Lw. EUR 592,00. ISBN 978-3-7728-2401-2.

Rezensent:

Georg Neugebauer

Neben dem angegebenen Titel in dieser Rezension besprochen:

Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph: Ideen zu einer Philosophie der Natur. Zweite Auflage (1803). Hrsg. v. M. Durner u. P. Leistner. Stuttgart-Bad Cannstatt: frommann-holzboog 2017. X, 436 S. = Historisch-kritische Ausgabe. Reihe I: Werke, 13. Lw. EUR 296,00. ISBN 978-3-7728-2609-2.


In die Philosophiegeschichte ging Friedrich Schelling vor allem als Philosoph der »Natur« ein. Durch ihn wurde Letztere zu einem neuralgischen Punkt idealistischen Denkens. Den Auftakt machten in dieser Hinsicht die Ideen zu einer Philosophie der Natur (1797), die Schelling im Alter von 22 Jahren in Leipzig verfasst hatte und durch die sein Ansehen innerhalb der geistigen Elite Deutschlands massiv stieg. Die Naturphilosophie wird darin allerdings noch nicht in totalphilosophischer Perspektive dargestellt. Vielmehr umfasst diese Schrift eine »Reihe einzelner Abhandlungen zu diesem Thema«. Innerhalb der von der Bayerischen Akademie der Wissenschaften verantworteten kritischen Edition der Werke Schellings erschien diese Untersuchung bereits im Jahre 1994 (I/5). Die Änderungen der Zweitauflage der Ideen von 1803, die den Textumfang erheblich erweiterten, wurden in diesen Band nicht aufgenommen. In diesen Änderungen (vor allem die Zusätze zur Einleitung sowie zu den einzelnen Kapiteln) spiegeln sich einerseits Neuerungen innerhalb der zeitgenössischen Naturforschung wi­der, die Schelling seit seinem Studium der Medizin und Naturwissenschaften intensiv verfolgte. Andererseits rückte er 1803 die Erstauflage in das Prinzipiengefüge seiner Identitätsphilosophie ein, als deren Entstehungsdokument die Darstellung meines Systems der Philosophie (1801) gilt. Dieser quantitativen Erweiterungen sowie der systematischen Umstellungen wegen wird die Zweitauflage der Ideen von den Herausgebern der Akademie-Ausgabe als ein eigenständiges Werk Schellings betrachtet und liegt nun als Band 13 der ersten Abteilung dieser Ausgabe vor (I/13).
Damit hat sich die Quellenlage gegenüber den von Schellings Sohn Karl Friedrich August herausgegebenen Sämmtlichen Werke (SW) deutlich verbessert. Dieser hatte sich einerseits dafür entschieden, die Ideen nur in der Zweitauflage (1803) abzudrucken und die wichtigsten Abweichungen der Erstauflage (1797) in den Fußnoten zu vermerken. Andererseits platzierte er diese Abhandlung in seiner chronologisch angelegten Werkausgabe im zweiten, Schriften der Jahre 1797–1798 umfassenden Band, was in der Forschung immer wieder dazu geführt hat, diesen Text mit dem Entstehungsjahr der Erstauflage zu versehen. Erschwerend kommt hinzu, dass Schellings Sohn lediglich in der Einleitung des Bandes bemerkt, dass sich die Zusätze der Ideen nur in der Zweitauflage fänden. Im Text selbst wird darauf nicht hingewiesen, was suggeriert, die Zusätze gehörten zum Textbestand der 1797er Ausgabe.
In dem editorischen Bericht des hier anzuzeigenden Bandes, der die Schwierigkeiten und die Komplexität des Kollationierungsgeschäfts einmal mehr deutlich macht, äußern sich die Herausgeber zur »Entstehungsgeschichte des Textes«. In diesem Zusammenhang findet sich auch eine kurze und prägnante werkgeschichtliche und inhaltliche Einführung in den vorliegenden Text, die auch die wichtigsten systematischen und terminologischen Unterschiede zwischen beiden Auflagen der Ideen kenntlich macht. Diese Ausführungen werden durch »Hinweise auf die frühe Rezeption« ergänzt. Vor allem diese Hinweise sind sehr interessant, weil sie illustrieren, wie disparat und kritisch Schellings Projekt von den Zeitgenossen aufgenommen wurde. Zur Illustration sei die Stellungnahme des Mediziners Philipp Karl Hartmann erwähnt, an der sich das konkurrierende Verhältnis ablesen lässt, das zwischen fachwissenschaftlicher Forschung und Philosophie bestand. Den Anspruch der Schelling-schen Philosophie, als Prinzipien- bzw. Leitwissenschaft innerhalb der Naturforschung zu fungieren, wird dort mit einem lapidaren Hinweis auf die Veränderlichkeit und damit Unsicherheit des naturphilosophischen Programms abgewiesen.
Erklärende Anmerkungen zu der Zweitauflage der Ideen, eine Bibliographie aller von Schelling und von den Herausgebern verwendeten Literatur sowie Namen-, Orts- und Sachregister schließen diesen nach allen Regeln der Kunst edierten Band ab. Für dessen Verwendung ist es jedoch nicht nur des Textvergleichs wegen sinnvoll, den Band I/5 mit heranzuziehen, sondern auch deswegen, weil die dort festgehaltenen erklärenden Anmerkungen zur Erstauflage in die Edition der Zweitauflage nicht mit aufgenommen wurden. Allerdings weist diese wiederum mittels der Marginalverweise auf die entsprechenden Anmerkungen in Band I/5 hin, was zur Orientierung ausgesprochen hilfreich ist.
Neben der Naturphilosophie trat im ausgehenden 18. Jh. mehr und mehr die Ästhetik im Denken Schellings auf den Plan. Das belegen nicht zuletzt die Vorlesungen zur Philosophie der Kunst, die er zwischen 1799 und 1805 an den Universitäten Jena und Würzburg hielt. Schellings Sohn hat diese Vorlesungen, deren Manuskript als verschollen gilt, erstmals im Rahmen der SW veröffentlicht. Jetzt wurden sie von Christoph Binkelmann und Daniel Unger sowie unter Mitwirkung von Alois Wieshuber neu editiert und herausgegeben. Diese Vorlesungen sind im ersten Teilband des sechsten Nachlassbands der Akademie-Ausgabe abgedruckt (II/6–1). Die Edition ist von der Intention bestimmt, Schellings Ästhetikvorlesungen »als ein Ganzes zu präsentieren« (7) bzw. ein »vollständiges Bild« (13) davon zu geben. Aus diesem Grund werden Texte bzw. Textpassagen aufgenommen, die Schellings Sohn ausgespart hatte (vgl. 6). Das gilt zunächst für die vierzehnte Vorlesung (»Über die Wissenschaft der Kunst«) aus Schellings Vorlesungen über die Methode des akademischen Studiums, die – worauf Karl Friedrich August Schelling hinweist – im ursprünglichen Vorlesungsmanuskript der Philosophie der Kunst als Einleitung fungierte. In der Edition erscheint sie nun als »Einleitung 1«. Hinzu kommt eine Pas-sage aus der achten, der historischen Konstruktion des Christentums gewidmeten Vorlesung über die Methode (164 f.), die von Binkelmann und Unger gleichermaßen in die Ästhetikvorlesung integriert wurde. Über die Gründe, Schellings Abhandlung über Dantes göttliche Komödie, die nach Auskunft des Sohnes im Vorlesungsmanuskript ebenfalls enthalten war, nicht mit aufzunehmen, geben die Herausgeber keine Auskunft.
Pionierarbeit leistet die vorliegende Edition, indem sie die bekannten Nachschriften der Philosophie der Kunst mitberücksichtigt. Bemerkenswerte Varianten, die in jenen dokumentiert sind, halten die erläuternden Anmerkungen im Anhang fest. Darüber hinaus umfasst der zweite Teilband (II/6–2) einerseits die vollständigste Nachschrift der Jenenser Vorlesungsfassung (407–484), die aus der Feder Johann Friedrich Heinrich Schlossers stammt. Zum anderen werden zwei Passagen aus der Nachschrift der Würzburger Vorlesungsfassung wiedergegeben. Sie gehen auf Johann Peter Pauls zurück und sind im Anhang dokumentiert (541–555). Die Berücksichtigung dieser Textzeugen ist insofern von Bedeutung, als auf diesem Wege die unterschiedlichen Bearbeitungsstufen von Schellings Ästhetikvorlesungen sichtbar gemacht werden.
Der von Binkelmann und Unger verfertigte editorische Bericht gibt über die hochgradig komplexe Entstehungsgeschichte der Vorlesung, über den Stellenwert der Ästhetik in Schellings Denken sowie über die Quellen seines Ästhetikkonzepts Auskunft. Nicht minder interessant sind die Ausführungen zu der ausgesprochen schwer aufzuspürenden frühen Rezeption von Schellings Vorlesung.
Neben den genannten Texten umfasst der zweite Teilband weitere, den Bereich der Ästhetik in unterschiedlichem Maße berührende Schriften der Jahre 1796–1805. Dazu gehört zunächst der Beitrag [eine Ethik]. Besser bekannt ist dieser anonym verfertigte Beitrag unter dem Titel, den Franz Rosenzweig ihm gegeben hat: Das älteste Systemprogramm des deutschen Idealismus. Die Frage, wer als der Verfasser dieses Fragments gelten kann, ist nach wie vor nicht endgültig entschieden. Auch wenn sich innerhalb der Forschung die Überzeugung mehr und mehr durchzusetzen scheint, dass dieser Text nicht nur Hegels Handschrift trägt, sondern auch von diesem konzipiert wurde, führt Binkelmanns editorischer Bericht Belege und Argumente auf, die nach wie vor für eine Verfasserschaft Schellings sprechen, nicht zuletzt um zu begründen, warum es berechtigt ist, den Text in die historisch-kritische Schellingausgabe aufzunehmen.
Sodann werden zwei Texte abgedruckt, die Schellings lyrische Ambitionen unterstreichen. Dabei handelt es sich zum einen um das Epikurisch Glaubensbekenntniß Heinz Widerporstens, das um 1800 entstanden ist. Es ist eine kritische Replik auf das frühromantische Religions- und Christentumsverständnis Schleiermachers und No­valis’. Dass es nicht wie geplant im Athenaeum erscheinen sollte, ist der Skepsis August Wilhelm Schlegels und vor allem dem Einspruch Johann Wolfgang von Goethes geschuldet. In der vorliegenden Edition wird Schellings Spottgedicht nicht allein in der bekanntesten, von Gustav Leopold Plitt im Jahre 1869 veröffentlichten Fassung ab­gedruckt, sondern erstmals auch in einer Variante, die zum Be­stand des Goethe- und Schiller-Archivs Weimar gehört.
Zum anderen sind dreizehn Stanzen aufgenommen worden, die im Jahre 1861 in den SW unter dem Titel Das himmlische Bild. erstmals erschienen waren. Die vorliegende Edition folgt dem Text der SW, datiert das Gedicht aber im Unterschied zu diesen deutlich vor 1807. Dem knappen editorischen Bericht zufolge spiegeln sich in den Stanzen unterschiedliche Einflüsse wider (Dante, Schiller, Goethe, Herder). Vor allem der Geheimrat verdient an dieser Stelle erneut Erwähnung. An der Wende vom 18. zum 19. Jh. hatte dieser mit dem Gedanken gespielt, ein Lehrgedicht über die Natur zu schreiben. Allerdings nahm er davon wieder Abstand und trat es – Caroline Schlegel zufolge – an den Naturphilosophen Schelling ab. Dieser Aspekt ist hier insofern von Belang, als Das himmlische Bild. in den Entstehungszusammenhang des geplanten Naturgedichts Schellings gehört, das aber nie realisiert werden sollte. Gleichwohl ist sein Ansinnen, die Naturphilosophie poetisch zu figurieren, ausgesprochen interessant und für das Verständnis philosophischen Ringens um einen angemessenen Ausdruck der Gedankenarbeit aufschlussreich.
Die im Anhang befindlichen erklärenden Anmerkungen, die Bibliographie, das Namen-, Orts-, Sach- und Werkregister sowie die Seitenkonkordanz runden die beiden wiederum hervorragend edierten Teilbände ab.