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Ausgabe:

Januar/2019

Spalte:

75–77

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Mennecke, Ute, u. Hellmut Zschoch[Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Von des christlichen Standes Besserung – 500 Jahre Reformation.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2017. 252 S. Kart. EUR 28,00. ISBN 978-3-374-05231-8.

Rezensent:

Reinhold Rieger

Der in Anlehnung an die Schrift Martin Luthers von 1520 »An den christlichen Adel deutscher Nation von des christlichen Standes Besserung« betitelte Sammelband enthält die Beiträge zu einer Ringvorlesung, die gemeinsam von der Bonner Evangelisch-Theologischen Fakultät und der Kirchlichen Hochschule Wuppertal/ Bethel im Rahmen des Reformationsjubiläums 2017 veranstaltet wurde. Die Beiträge wollen die Reformation in »ihrer Vergangenheitsbedeutung wie ihrer Gegenwartsrelevanz« thematisieren und dabei die Profile der beiden Fakultäten widerspiegeln (5).
Der Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland, Manfred Rekowski, eröffnet den Band mit einem Geleitwort, in dem er betont, dass die ständige Erneuerung der Kirche reformatorisches Anliegen und die reformatorische Kirche ökumenisch ausgerichtet sei. Die Reihe der wiedergegebenen Vorträge eröffnet der Kirchenhistoriker Hellmut Zschoch mit einer der Jubiläumsprogrammatik entgegenkommenden präzisen Datierung des Beginns der Reformation auf den »31. Oktober 1517«. Zur Bestätigung macht er ein »erstes kleines Reformationsjubiläum« (19) aus, das Luther selbst zehn Jahre nach der Veröffentlichung der 95 Thesen begangen habe, ohne schon den Begriff »Reformation« zu verwenden. Der Autor versteht den Brief Luthers an Kardinal Albrecht von Brandenburg von 1517 mit den beigefügten 95 Thesen als »Beginn der Reformation als eines epochalen Umbruchs« (22) und stellt ihn in den Mittelpunkt seiner Ausführungen. Er sieht in diesem Brief die Keime zur späteren Entwicklung der Reformation konzentriert: Konflikt mit der Papstkirche, Popularisierung des Evangeliums, Betonung des Heils durch Glaube allein, Freiheit als Leitbegriff, Lehre vom allgemeinen Priestertum der Glaubenden.
Zschochs kirchengeschichtliche Kollegin Ute Mennecke stellt in ihrem Beitrag die Frage, »wie eine evangelische Kirche entsteht«, und sieht in den theologischen Motiven Luthers von 1517 bis 1520 »das Konzept einer evangelischen Kirche« (35) entfaltet, das zu konkreten Kirchenreformen geführt habe. Der Alttestamentler Udo Rüterswörden wendet sich der Stellung Luthers zum alttestamentlichen Gesetz in seiner Schrift »Ein Unterricht, wie sich die Christen in Mose sollen schicken« von 1526 zu. Der Neutestamentler Martin Karrer sieht die Bibelkritik als Konsequenz der humanistischen Methode von Luthers Bibelübersetzung. Er spricht sich für die Übernahme der lutherischen Bezeichnung der Heiligen Schrift als Bibel aus, da sie auf die Benennung der hebräischen Bibel zurückgehe und daran erinnere, dass die darin enthaltenen Texte die heiligen Schriften der ersten Christen waren. Der Systematische Theologe Johannes von Lüpke betont in seinem Beitrag, dass Luthers Reformanliegen nicht nur das kirchliche Leben, sondern auch das gesellschaftliche Leben betreffe, also das Ganze des christlichen Lebens. Der Praktische Theologe Michael Meyer-Blanck interpretiert Luthers Gottesdienstreform als Konsequenz und Ausdruck der Zuspitzung der Religion auf den Einzelnen und seine Unvertretbarkeit vor Gott. Das Entscheidende geschehe im Gottesdienst nicht auf dem Altar, sondern im Herzen, dem Personzentrum des Menschen. Insofern sei Luthers Gottesdienstlehre eine »Quelle moderner Subjektivität« (125). Matthias Benad versucht in seinem Beitrag, Grundlinien der Geschichte der Diakonie von der Reformation bis heute zu skizzieren, die er auch in einem Schema veranschaulicht. Der Sozialethiker Hartmut Kress widerspricht der Auffassung, »die moderne Idee der Gewissens- und Religionsfreiheit lasse sich auf Luther, die Reformation und den Protestantismus zurückführen« (164). Vielmehr seien sie durch die Aufklärung und das liberale Verfassungsrecht auch gegen das protestantische Christentum durchgesetzt worden und höchstens eine unbeabsichtigte Nebenfolge des Protestantismus gewesen. Der Autor sieht die »Rückständigkeit des Protestantismus« (166) in den Strömungen des Luthertums, der reformierten Tradition und im liberalen Protestantismus gegeben. Die Systematische Theologin Cornelia Richter möchte zeigen, dass Luther von der Komplexität der Politik überfordert war. Ein weiteres Beispiel für diese politische Inkompetenz von Intellektuellen ist für sie die 2015/16 geführte publizis-tische Debatte zwischen Sloterdijk, Safranski und Münkler über die Flüchtlingspolitik in Deutschland. Die Lösung sieht sie in einem komplexen Verständnis des Gebots der Nächstenliebe. Der Beitrag von Reinhard Schmidt-Rost zu Luthers Provokation für die Leis-tungsgesellschaft ist essayistisch gehalten. Ganz im Gegensatz zur Position von Kress im selben Band ist der Wirtschaftswissenschaftler Martin Büscher der Überzeugung, die Reformation habe die modernen »Leitideen von Demokratie, Wirtschaft und Gesellschaft« entwickelt (213). Die »ökonomischen Kategorien wie Freiheit, Leistung, Interessen« hätten ursprünglich eine religiöse Sinngebung besessen (219), die aber in der modernen Ökonomie ver-lorengegangen sei. Der Missions- und Religionswissenschaftler Henning Wrogemann beschließt den Band. Er berichtet über Re­formbemühungen im ge­genwärtigen Islam und sieht dabei teilweise Parallelen (»funktionale Äquivalente«) zur Reformation.