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Ausgabe:

Januar/2019

Spalte:

66–68

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Mamic, Vinko

Titel/Untertitel:

Matthew’s Response to an Early Missionary Issue. Meaning and Function of the Parable of the Workers in the Vineyard (Matt 20:1–16).

Verlag:

Rom: Gregorian & Biblical Press 2016. 350 S. = Tesi Gregoriani, 219. Kart. EUR 20,00. ISBN 978-88-87839331-8.

Rezensent:

Martin Vahrenhorst

Bei der zu besprechenden Studie von Vinko Mami handelt es sich um eine im Jahr 2011 von der Gregoriana in Rom angenommene Dissertation. Sie widmet sich dem Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg (Mt 20,1–16). In der Einleitung setzt M. sein Werk in Beziehung zur vorangegangenen Forschung. Dort sei das Gleichnis vornehmlich als Fortsetzung von Mt 19,16 ff. gelesen worden, während die folgenden Verse Mt 20,17–28 nur unzureichende Beachtung fanden (13). M. möchte das Gleichnis in seinem gesamten »context« (damit ist der literarische Kontext im MtEv gemeint) untersuchen, um dessen rhetorische Absicht und den pragmatischen Einfluss auf den Leser herauszuarbeiten.
Es sei schon hier hervorgehoben, dass M. es seiner Leserschaft leicht macht, sich in seinem Buch zurechtzufinden. Nicht nur, dass der Aufbau detailliert vorgestellt wird (16 ff.), jedes Kapitel schließt mit einer Zusammenfassung, so dass man sich schnell einen Überblick über den Duktus der Studie machen kann.
Da es M. darum geht, die rhetorische Funktion des Gleichnisses zu untersuchen, setzt er konsequenterweise mit einem Kapitel zur Wirkung von Gleichnissen im Allgemeinen ein. Gleichnisse zeichnen sich nach M. durch »fünf Ironien« aus. Die »Ironie der Unabhängigkeit des Lesers« bestehe darin, dass der Gleichniserzähler den Eindruck erweckt, er überlasse das Urteil ganz dem Leser. In Wahrheit dränge er diesem jedoch seinen Standpunkt auf (46 f.). Die »Ironie der Distanz« sei dadurch gekennzeichnet, dass der Leser glaube, ihm werde eine Geschichte präsentiert, die mit seinem Leben nichts zu tun hat, während er im Verlauf des Erzählens mehr und mehr in die Geschichte hineingezogen werde (47 ff.). Damit verwandt sei die »Ironie der desinteressierten Objektivität«, die den Rezipienten vermuten lasse, zu der Geschichte keinen Standpunkt einnehmen zu müssen. Am Ende stelle sich ihm jedoch die Frage: »Was ist deine Meinung?« (54) Mit der »Ironie der intertextuellen Interpretation« meint M. das Phänomen, dass die Erfahrungswelt der Leserschaft und die des Evangeliums oft auseinandergehen. Die Gleichnisse führten zu einer »Horizontverschmelzung«, so dass Gottes Welt dem Rezipienten besser zugänglich werde (57 f.). Die »Ironie der Koexistenz zweier impliziter Leser« bestehe schließlich darin, dass der eine Leser gleichsam im Gleichnis und seinen Strukturen verbleibe, während der zweite sich bewusst sei, dass es sich um ein Gleichnis handelt. So baue das in 1Sam 12,1–6 erzählte Gleichnis darauf, dass König David sich ganz mit dem ersten Leser identifiziere und sein Urteil spreche. Danach trete der erste Leser in den Hintergrund und der zweite werde entscheidend: Der König merkt, dass er mit dem Gleichnis gemeint sei (63 f.).
Im folgenden Kapitel (69–99) bespricht M. in aller Kürze den kommunikativen Charakter der jesuanischen Gleichnisse bei den Synoptikern und kommt zu dem Schluss, dass die gleichnishafte Rede ihren vollen Erfolg nur dann entfalten könne, wenn zwei Voraussetzungen gegeben seien: 1. Die Leserschaft müsse zur Gruppe der Jesusjünger gehören. Sie müsse 2. in der praktizierten Nachfolge stehen.
Nach diesen Vorbemerkungen wendet sich M. dem Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg zu (103–162), dessen Struktur er zunächst ausführlich bespricht. Exposition und Konflikt prägen die Erzählung, allerdings werde der Konflikt nicht erwartungsgemäß aufgelöst. Das Gleichnis endet mit einer offenen Frage, die sich eher an die Leserschaft als an die Protagonisten der Geschichte wende: »After all, the reader is put in a position to look at oneself and to scrutinize one’s own character, perspectives and beliefs.« (161)
Nach einer Strukturanalyse des Kontextes (163–192) kommt M. zur eigentlichen Deutung des Gleichnisses (193–281). Dabei kommt der Interpretation von Mt 19,28 entscheidende Bedeutung zu, denn sie bestimmt den Blick auf die Sachebene des Gleichnisses ganz wesentlich (205 ff.). M. vertritt die These, dass dieser Vers nicht von einer eschatologischen Belohnung spreche, sondern die nachösterliche Zeit der Kirche im Blick habe. Verschiedene unterschiedlich gewichtige Beobachtungen sprechen für ihn dafür: Mt 16,27 und 25,31 kennen nur einen einzigen eschatologischen Richter und nicht viele. Mt 26,64 beziehe sich auf die Zeit unmittelbar nach der Auferstehung, also müsse dies für Mt 19,28 auch gelten. Dan 7,9–27 stehe im Hintergrund. Dieser Text kenne den Menschensohn, dem das Gericht übergeben wird, aber auch die Heiligen des Höchsten, die herrscherliche Funktionen wahrnehmen werden (Dan 7,18.27). Mt 28 erfülle gleichsam das Versprechen von Mt 19,28. Zwei Schlüsselbegriffe müssen dabei näher betrachtet werden. Was bedeutet παλιγγενεσία? Damit sei, so M., »the new birth of individuals in the new period of the world« gemeint (210). Diese sei mit Jesu Tod und Auferstehung angebrochen, wie die kosmischen Ereignisse in Mt 27,51 andeuteten. Wie ist das Verb κρίνω zu deuten? Damit sei »the post-Easter activity of the twelve« gemeint (211). Mt 19,28 »actually represents a promise to the twelve regarding their govern-ing role in early Christianity« (216). An dieser Stelle liegt der Schwachpunkt der Deutung, denn wenn man U. Luz glauben darf, ist es ein »philologisches Märchen«, dass κρίνω herrschen heißen könne (U. Luz, Das Evangelium nach Matthäus, EKK I/3, Neukirchen-Vluyn 1997, 129). Wie dem auch sei, für M. ist damit deutlich, dass das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg nicht die eschatologische Entlohnung im Blick habe, sondern in die Zeit der Kirche hineinspreche.
Die Terminologie zu Beginn erinnere stark an Mt 9,37 f. und 10,5, so dass für die Leserschaft klar sei, dass es um Missionstätigkeit gehe (230). Zu Beginn des zweiten Teils taucht dann ein ἐπίτροπος auf. Diesen müsse die Leserschaft mit den Zwölfen identifizieren (242). Schließlich greife Mt 20,13 auf die Aussendungsrede in Mt 10 zurück, die den Gesandten verheißt, sie bekämen alles, was sie zum Leben bräuchten – genau das sei mit einem Denar gemeint (245). M. fasst zusammen: »The actual reader is in-structed that those who recently renounced their goods and joined communities would have all their needs met just as the earlier members had. It does not give the latter any right to have more. The text also encourages the leaders of the communities to carry out such generosity/justice.« (252 f.)
Der nachfolgende Kontext, den M. recht kurz abhandelt, diene dazu, die Botschaft des Gleichnisses zu bekräftigen. Die dritte Leidensankündigung habe die Funktion, die Leser dazu zu bewegen, die paradoxe Logik des Gleichnisses ebenso zu akzeptieren, wie Jesus die paradoxe Logik des Kreuzes akzeptiert habe (274). Die Thematik Erste versus Letzte sei auch in der Frage der Mutter der Zebedaiden präsent und bekomme eine Antwort, die der des Gleichnisses entspreche (275).
Insgesamt legt M. eine konsistente Auslegung des Gleichnisses vor, die man allerdings nur dann vollständig teilen wird, wenn man seiner Deutung von Mt 19,28 zustimmen kann.
Zum Schmunzeln regt ein Fehler an, der sich sicher der automatischen Rechtschreibprüfung verdankt. Im Abkürzungsverzeichnis wird die Reihe BBB als »Bonner Bellyache Beiträge« aufgelöst.