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Ausgabe:

Januar/2019

Spalte:

58–60

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Brodersen, Alma

Titel/Untertitel:

The End of the Psalter. Psalms 146–150 in the Masoretic Text, the Dead Sea Scrolls, and the Septuagint.

Verlag:

Berlin u. a.: De Gruyter 2017. X, 321 S. = Beihefte zur Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft, 505. Geb. EUR 99,95. ISBN 978-3-11-053476-4.

Rezensent:

Bernd Janowski

Neben dem angegebenen Titel in dieser Rezension besprochen:

Neumann, Friederike: Schriftgelehrte Hymnen. Gestalt, Theologie und Intention der Psalmen 145 und 146–150. Berlin u. a.: De Gruyter 2016. X, 513 S. = Beihefte zur Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft, 491. Geb. EUR 139,95. ISBN 978-3-11-045724-7.


Lange Zeit war es um das Kleine Hallel bzw. Schluss-Hallel des Psalters relativ still. Zu eintönig schien das unablässige Hallelu-Jah »Lobt JH!« zu sein, das die Ps 146–149 jeweils rahmt und das in Ps 150 nicht enden will. Erst mit der neueren Psalmen- und Psalterforschung (E. Zenger, F.-L. Hossfeld) ist das Interesse an diesen, den Psalter solenn abschließenden Ps 145 und 146–150 spürbar gestiegen (s. zusammenfassend B. Weber, Werkbuch Psalmen III, Stuttgart 2010, 201 ff., und F.-L. Hossfeld/E. Zenger, Psalmen 101–150 [HThK.AT], Freiburg/Basel/Wien 2008, 807 ff.) und hat auch für ein neues Verständnis ihrer Poetik und Theologie gesorgt. Diese Psalmen sind offenbar so angeordnet, »dass im jeweils nachfolgenden Psalm ein im Schluss des vorhergehenden Psalms angesprochenes Motiv bzw. Thema aufgegriffen und entfaltet wird« (Hossfeld/Zenger, a. a. O., 807 [Zenger]). Die Frage ist nur, ob das zutrifft und was es für die Entstehung dieser Teilsammlung bedeutet. Dieser Frage gehen die Monographien von F. Neumann und A. Brodersen mit durchaus unterschiedlichem Zugang – und entsprechend unterschiedlichen Ergebnissen – nach.
Die Arbeit »Schriftgelehrte Hymnen« von F. Neumann stellt ihre für den Druck überarbeitete Dissertation dar, die im Sommersemester 2015 von der Theologischen Fakultät Göttingen angenommen wurde (Doktorvater Prof. Dr. R. G. Kratz). Der Titel ist programmatisch gemeint, denn er besagt, dass die Ps 145 und 146–150 sukzessiv für den Psalterschluss verfasst wurden. Was »Schriftgelehrsamkeit« und »Hymnus« bedeuten, erläutert die Vfn. in der Einleitung (3–26, besonders 7 ff.–16 ff.) und hält dabei mit der neueren Forschung fest: »Die Psalmen verweisen auf andere Psalmen und sie verweisen auf das übrige Alte Testament. Daraus folgt: Die alttestamentlichen Texte wollen selbst intertextuell gelesen werden und das kann nur jemand, der die Schrift selbst gut kennt und in dieses intertextuelle Lesen (und Schreiben!) eingeübt ist« (18). Ein Protagonist dieser Lesehaltung ist der Beter von Ps 1 (s. dazu F. Hartenstein/B. Janowski, Psalmen [BK XV/1,1], Neukirchen-Vluyn 2012, 7 ff. [Janowski]). Innere Kriterien für diese Art der »Schriftaus legung in der Schrift/im Alten Testament« sind der Vfn. nach »ge­meinsame Lexeme, Wörter und Wortverbindungen in mindes-tens zwei Texten, andernorts auch als Stichwortverbindung be­zeichnet« (24).
Das ist seit Langem methodisches Allgemeingut der Psalmenforschung (die darüber hinaus nicht nur Lexeme, Wörter und Wortverbindungen, sondern auch gemeinsame Motivkomplexe, Metaphern u. a. in den Blick nimmt!), wird hier aber konsequent auf die untersuchten Psalmen angewendet. Das ge­schieht ausführlich im Hauptteil der Arbeit (29–425), in der die Ps 145–150 jeweils übersetzt und im Blick auf ihre literarische Gestalt und ihr theologisches Profil analysiert werden. Am Ende folgt eine kurze Zusammenfassung der jeweiligen Konzeption, was die Re­zeption der Hauptergebnisse erleichtert. Anschließend wird noch die Komposition des Kleinen Hallel beschrieben und vergleichend sein Vorkommen in Qumran (11Q5) besprochen (429–477). Ein kurzes Resümee (481–483) sowie ein Literaturverzeichnis und ein detailliertes Stellenregister (484–513) beschließen das Buch, das exegetisch sorgfältig gearbeitet und in der Präsentation seiner Ergebnisse (Zusammenfassungen!) vorbildlich gestaltet ist.
Was die Frage nach der Bedeutung der kunstvollen Komposition des Kleinen Hallel für dessen Entstehung angeht, so vertritt die Vfn. die These, dass Ps 145 und 146–150 um 200 v. Chr. zwar »für den ihnen vorliegenden Psalter verfasst worden sind« (429), es aber »keine Bezüge zu den je nachfolgenden Psalmen« (431) gibt. Vielmehr sei statt mit einer entstehungsgeschichtlich homogenen Textgruppe mit einer sukzessiven Fortschreibung zu rechnen, die die Individualität jedes Einzeltextes wahrt und profiliert. Ob sich diese These bewährt, bleibt angesichts der zahlreichen Bezüge, die auch von der Vfn. noch einmal zusammenfassend benannt und eingeordnet werden (vgl. 433 ff.), abzuwarten. Möglich wäre m. E. auch die Annahme eines »gestuften Wachstums« (443) bzw. einer Fortschreibung, für das/die auch die Bezüge zu dem/den jeweils vorgehenden und nachfolgenden Psalm/en eine maßgebliche Rolle spielen. Die Plausibilität dessen hängt aber davon ab, was man unter einem »innerbiblischen Bezug« versteht, den die Vfn. auf die Wortebene reduziert (vgl. 24) und damit m. E. unterbestimmt. Aber selbst dabei gibt es genügend Textindizien, die einen zögern lassen, der These der Vfn. einfach zu­zustimmen.
Mit einer ähnlichen Fragestellung beschäftigt sich auch die Monographie von A. Brodersen, die 2016 bei der Theologischen Fa­kultät Oxford als Dissertation eingereicht wurde (Doktorvater Prof. Dr. J. Barton). Sie nähert sich ihrem Thema aber auf eine ganz andere Weise, indem sie nach einer Einleitung (1–30, dort auch die Festlegung der Kriterien für intertextuelle Bezüge: 24 ff.) zum einen mit der Analyse von Ps 150 beginnt und dann mit Ps 149 usw. fortsetzt und zum anderen nicht nur MT, sondern auch die entsprechenden Qumrantexte und Septuaginta ausführlich einbezieht. Die Entscheidung, mit Ps 150 zu beginnen, begründet die Vfn. einerseits mit der besonderen Stellung dieses Textes als Fermate des MT-Psalters und andererseits mit der Absicht, Ps 146–150 in ihrer jeweils individuellen Gestalt und nicht aufgrund ihrer Abfolge in MT zu lesen (vgl. 30). Das wirkt – weil die Vfn. unbedingt den Eindruck eines »progressing order« (30) vermeiden möchte – etwas gezwungen und ist deshalb nicht wirklich weiterführend. Weiterführend sind dagegen die Einzelexegesen, die nach einer Übersetzung des jeweiligen Textes dessen Struktur, Poetik, Syntax und intertextuelle Bezüge analysieren. Auch hier fügt die Vfn. knappe Zusammenfassungen und einen »Comparison« genannten Abschnitt am Ende jeder Textanalyse ein.
Für die Frage nach der Entstehung von Ps 146–150 kommt die Vfn. zu einem doppelten Ergebnis. So betont sie zum einen, dass die in Qumran jeweils überlieferte(n) Textversion(en) ebenso wie auch die griechische Übersetzung älter sind als MT (vgl. 11 ff.). Was das für das Gesamtverständnis austrägt, bleibt trotz aller analytischen Anstrengung weiterhin offen (vgl. auch 277 f.). Zum anderen wird sie nicht müde, eine Intertextualität von Ps 146–150 zu leugnen (eine Ausnahme ist ihrer Meinung nach nur für Ps 146 und 147 zu machen, vgl. 276 f.). Und das heißt: »Psalm 146–150 are originally separate texts. They were not originally written to end or frame the Psalter as a unit« (270). Das klingt gut, lüftet m. E. aber nicht das Geheimnis der Entstehung und auch der Kohärenz der durch das wiederholte Hallelu-JH gerahmten Teilsammlung.
Es lohnt sich also, Ps 145 und 146–150 aufmerksam zu lesen. Und es lohnt sich, sich dabei von den Arbeiten von F. Neumann und A. Brodersen anregen und in mancherlei Hinsicht belehren zu lassen. Nimmt man beide Monographien synoptisch zusammen und gleicht so die Schwäche der einen durch die Stärke der anderen aus (jede von ihnen hat ihre Stärken!), hat man einen kundigen Führer durch die komplexen Sinnwelten des Schluss-Hallel in der Hand. So gesehen ist das fast gleichzeitige Erscheinen beider Monographien ein Umstand, der von den beiden Autorinnen nicht beabsichtigt war, aber dennoch glücklich zu nennen ist.