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Ausgabe:

Januar/2019

Spalte:

53–55

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Germany, Stephen

Titel/Untertitel:

The Exodus-Conquest Narrative. The Composition of the Non-Priestly Narratives in Exodus-Joshua.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2017. XIV, 515 S. = Forschungen zum Alten Testament, 115. Lw. EUR 139,00. ISBN 978-3-16-155518-3.

Rezensent:

Christoph Berner

Die zu besprechende Studie ist die überarbeitete und erweiterte Fassung einer von Jacob Wright betreuten Dissertation, mit der Stephen Germany 2016 an der Emory University in Atlanta promoviert wurde. Ihr Gegenstand, die These einer vorpriesterlichen Exodus-Landnahme-Erzählung, hat gerade in der jüngeren kontinentaleuropäischen Forschung vermehrt Befürworter gefunden und ist eines der Schlüsselthemen in der aktuellen Diskussion über die Genese des Penta-/Hexateuchs. Im Kern geht es um die Frage, ob sich in den Büchern Exodus bis Josua ein alter Erzählbestand freilegen lässt, der vom Auszug der Israeliten aus Ägypten und ihrer Eroberung des verheißenen Landes berichtet und sowohl den deuteronom(ist)ischen als auch den priesterlichen Partien des Textbereiches literargeschichtlich vorausgeht.
In einer konzisen Einleitung verortet der Vf. den Gegenstand der Arbeit in der Forschungsgeschichte und umreißt die Methodologie des eigenen Vorgehens. Er legt prägnant dar, wie die maßgeblich von Julius Wellhausen geprägte These eines vorpriesterlichen Hexateuchs im Gefolge der Arbeiten von Martin Noth zeitweise in den Hintergrund gedrängt und durch die Unterscheidung von Tetrateuch und Deuteronomistischem Geschichtswerk ersetzt wurde. Erst in der zweiten Hälfte des 20. Jh.s, im Zuge der schrittweisen Verabschiedung der Neueren Urkundenhypothese, habe die Hexateuchhypothese erneut ein gewisses Revival erlebt, wobei ihre Befürworter allerdings in der Regel eine konkrete Abgrenzung des Textbestandes schuldig geblieben seien. Allein Reinhard G. Kratz habe in seiner Komposition der erzählenden Bücher des Alten Testaments eine Rekonstruktion der Grundschrift der von ihm angenommenen Exodus-Landnahme-Erzählung vorgelegt, doch sieht der Vf. auch hier noch zahlreiche Fragen unbeantwortet, da an vielen Stellen offenbleibe, ob es sich bei den von Kratz angenommenen Zusätzen zur Grundschrift noch um vor- oder bereits um nachpriesterliche Partien handele (4 f.). Eine exakte Rekonstruktion des vorpriesterlichen Textbestandes in den Büchern Exodus bis Josua stehe damit immer noch aus, womit bereits das Vorhaben benannt ist, dem sich der Vf. in seiner Studie widmet.
Gegenstand der Analyse sind die nichtpriesterlichen Partien in Ex 1–12; 13–18; 19–24; 32–34; Num 10–14; 16; 20–24; Dtn 1–34; Jos 1–12; 23–24. Im Unterschied zu Vertretern der Neueren oder Neuesten Urkundenhypothese geht der Vf. von der wichtigen Prämisse aus, dass der nichtpriesterliche Text nicht per se als vorpriesterlich gelten kann. Vielmehr sei damit zu rechnen, dass beträchtliche Teile desselben nachpriesterlichen Ursprungs seien. Um diese nach-priesterlichen Partien zu identifizieren, reiche es indes nicht aus, nach expliziten terminologischen oder konzeptionellen Bezügen zu priesterlichen Texten zu suchen, denn es sei »quite plausible that a post-priestly text could forego the use of specifically priestly terms or concepts if these were not relevant to the rhetorical aims of that text« (9). Um dieser Schwierigkeit zu begegnen, sei es zunächst nötig, die relative Chronologie jeder einzelnen Texteinheit zu rekonstruieren. Erst in einem zweiten Schritt könne auf dieser Grundlage gefragt werden, wie sich die einzelnen Schichten in Relation zu den priesterlichen Strata positionieren ließen. Die Vorzüge dieses Vorgehens liegen auf der Hand, denn es ermöglicht, eine Schicht auch dann als nachpriesterlich zu klassifizieren, wenn diese explizite Bezüge zu priesterlichen Texten vermissen lässt, aber im direkten Kontext einen Textbestand voraussetzt, der sich als priesterlich oder nachpriesterlich erweist (»criterion […] of narrative dependence«; 448). Auf der Grundlage der skizzierten me­thodologischen Vorüberlegungen geht der Vf. bei der Analyse jeder einzelnen Texteinheit in zwei Schritten vor: Zunächst wird jeweils die relative Chronologie rekonstruiert ( literary-critical analysis) und sodann kontextübergreifend nach den Bezügen der einzelnen Schichten zu priesterlichen und nachpriesterlichen Texten gefragt (macrocontextual analysis).
Es ist nicht möglich, an dieser Stelle genauer auf die einzelnen Textanalysen einzugehen, die der Vf. auf über 400 Seiten entfaltet. Es sei aber ausdrücklich betont, dass diese durchgängig den höchs-ten exegetischen Standards genügen. Dem Vf. gelingt es in vorbildlicher Weise, jede einzelne Passage vorurteilsfrei und einzig auf der Grundlage präziser Textbeobachtungen zu analysieren und redaktionsgeschichtlich zu stratigrafieren. Die literargeschichtlichen Implikationen wichtiger Varianten der Textgeschichte werden da­bei ebenso berücksichtigt wie die wichtigsten Positionen der Forschungsgeschichte. Trotz der hohen Komplexität der Materie ist die Darstellung durchgängig einfach und klar gehalten, so dass sich die Ergebnisse stets leicht nachvollziehen lassen.
Der Ertrag der Einzelanalysen für die Ausgangsfrage nach dem Umfang der vorpriesterlichen Exodus-Landnahme-Erzählung wird in einem knappen Ergebnisteil zusammengefasst (447–455).
Zum ältesten Bestand rechnet der Vf. Teile der Exoduserzählung in Ex 1–12* und der Landnahmeerzählung in Jos 1–12*, die durch einen schmalen Itinerarfaden in Ex 13,20; 15,22b–23a(b).27; 16,1aα; 19,2aα2; Num 20,1aβ, 22a; 21,10b, 11a; 22,1b*; Dtn 34,5* miteinander verbunden werden. Im Einzelnen handelt es sich um die folgenden Partien: Die Geschichte von der Geburt des Mose, seiner Flucht nach Midian und Berufung am brennenden Dornbusch (Ex 2,1–2a.3*.5aαbα.6.10aβb.11aαb.12.15*;3,1*.2b–3a.4a.5a.6b–7a.10*;4,18aα*. 20aβ); ferner eine Sequenz von drei Plagen und der Tötung der Erstgeburt (Ex 5,1–2*; 7,14–18*, 20*–21a, 24a, 26–27, 29; 8,2b.16–17*, 20, 28; 12,29a.30aβb.33.[37?]). Es sei darauf hingewiesen, dass nach dieser Rekonstruktion weder der Meerwunderbericht noch ein wie auch immer gearteter Bestand der Sinaiperikope zum ältesten Erzählfaden gehören. Im Bereich der Landnahmeerzählung findet der Vf. den ältesten Bestand in der Berufung Josuas (Jos 1,1–2*), der Erzählung über den Jordandurchzug (Jos 3,1,a*.14a.16*; 4,[11a?].19b), den Berichten über die Eroberung der Städte Jericho und Ai (Jos 6,1–3.4a β.5*.7a*.11*.14a*.14b–16aα. 20*.21.24a; 8,1a*.2b[?].10*.11aα1*.12*. 13aα*.14a*.19*.21) und schließlich dem Erzählkomplex um die Belagerung der Stadt Gibeon (Jos 9,3.6a.8a.15aα; 10,1aαb.3–4.5–7*.9a.10aβb.29–32*.34–40*.[42?]). Da sowohl der Exo­dus- als auch der Landnahmeteil der Komposition Bezüge zur Sargonidenzeit aufweisen, spricht sich der Vf. dafür aus, die Abfassung der Exodus-Landnahme-Erzählung frühestens im 7. Jh. v. Chr. anzusetzen.
Der rekonstruierte Grundbestand der Bücher Exodus bis Josua umfasst nach der vom Vf. vorgelegten Analyse lediglich einen ge­ringen Bruchteil ihrer heutigen Gestalt, wohingegen bei Weitem das meiste Material erst im Verlauf eines langen Fortschreibungsprozesses ergänzt worden sei. Dabei erweisen sich, folgt man dem Vf., große Teile des nichtpriesterlichen Textes bereits als nachpries-terlich (zu den wenigen vorpriesterlichen Erweiterungen, darunter der Dekalog und eine nach-dtn Bearbeitung von Jos 6–11, vgl. 453 f.). Macht man sich einmal von den Zwängen der Neueren Urkundenhypothese frei, so ist dieses Ergebnis überhaupt nicht verwunderlich, sondern eigentlich nachgerade erwartbar. Der Er­trag der Arbeit, die mit sämtlichen nichtpriesterlichen Partien der Bücher Exodus bis Josua eine Materialbasis hat, welche Stoff für eine Vielzahl monographischer Abhandlungen böte, reicht damit weit über die Frage nach dem Umfang der vorpriesterlichen Exodus-Landnahme-Erzählung hinaus. Sie enthält eine Vielzahl weiterführender Beobachtungen, die für die Literargeschichte des Hexateuchs insgesamt von Belang sind.
Der Vf. hat mit seiner Studie einen entscheidenden Beitrag zur gegenwärtigen Hexateuchkritik geliefert, an dessen umsichtigen Analysen künftig auch diejenigen nicht vorbeikommen werden, die nicht bereit sind, jedem einzelnen seiner Ergebnisse zu folgen.